Gschwind. Urs Mannhart

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Название Gschwind
Автор произведения Urs Mannhart
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966390408



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       KAPITEL 6

      Gschwind sieht es an den von Hillers und von dessen Assistentin Camille de la Rochefoucauld weitergeleiteten Mails: Die Nachricht, die Schweiz verfüge über qualitativ hochwertiges Rapacitanium, schlägt auch in der internationalen Rohstoffszene ein wie eine Bombe: Alle warten darauf, dass die Schweiz ihren neuen Rohstoff liefert. Zahlreiche Handelspartner wollen wissen, wann damit zu rechnen sei, von der Schweiz als Alternative zum chinesischen Rohstoff ein erstklassiges und umweltverträglich produziertes Rapacitanium angeboten zu erhalten.

      Während die Valnoya-Aktie steigt und steigt, diskutieren alle zuständigen und weniger zuständigen Ämter des Kantons Bern über ein abgekürztes Bewilligungsverfahren zu möglichen Sondierungsbohrungen. Dies ruft den Schweizerischen Erdbebendienst auf den Plan, der derartige Tiefenbohrungen grundsätzlich als problematisch einstuft. Gschwind überlegt, wieso ihm Fondsmanager Bahnsen nicht empfohlen hat, unverzüglich mehr Valnoya-Aktien zuzukaufen.

      Er erstellt sich Notizen, kippt einen weiteren doppelten Espresso, scrollt sich ungeduldig durch Bilder aus Peru, greift dann erneut in die Hirschledermappe zu seinem Telefon: Die Financial Times berichtet über transparente Lieferketten und sich allmählich etablierende Standards für umweltverträglichen Rohstoffabbau; auch die Automobilhersteller seien, so heißt es, bemüht, ihre Ressourceneffizienz zu verbessern. Im Fokus stünden auch hier die für die Batterie notwendigen Seltenen Erden, allen voran Rapacitanium. Das Handelsblatt erwähnt den markanten Anstieg der russischen Stromproduktion aus Kohle, die von einer immer noch zunehmenden Elektromobilität profitiere.

      Als er einen im Manager Magazin publizierten Kommentar liest, in dem eine Journalistin behauptet, die Sensibilisierung von Konsumenten für die sozialen und ökologischen Folgen des Rohstoffabbaus nehme zu, ärgert sich Gschwind. Aussagen wie diese hält er für eine typisch journalistische Nebelmaschine: Wie, bitteschön, ist es der Journalistin über Nacht gelungen, Sensibilitäten zu messen? Angesichts ihres Verhaltens ist es den Konsumenten noch immer das Wichtigste, ein schönes und leistungsstarkes Auto zu fahren – das erkennt Gschwind an sich selbst und seinem Tesla am besten.

      Gschwind ist erleichtert, als er vier, fünf Meldungen später in demselben Magazin vom ökologischen Problem lesen kann, dass just dann, wenn die meisten Elektroautos aufgeladen werden, nämlich nachts, Kohle als Stromlieferant viel besser dastehe als die alternativen Energien: Nachts scheint die Sonne nicht, die Winde sind flau.

      Gschwind denkt an Deutschland, das sich seines Erachtens mit einer verfrühten Energiewende wirtschaftlich arg ins Hintertreffen gebracht hat, und hält die an ihren fossilen Rohstoffen festhaltenden Russen für schlau, deren Wirtschaft Jahr für Jahr besser brummt.

      Das macht Gschwind Mut. In seinem Kopf reihen sich diese Nachrichten wie Güterwaggons hinter eine mächtige, auf sicheren Gleisen in eine bestimmte Richtung fahrende Diesellok: Hin zu einer Schweiz, die dank eines auf dem Weltmarkt stark nachgefragten Rohstoffes auch in 50 Jahren zu den reichsten Ländern der Welt gehört. Zu jenen Ländern, die dank ihrer wirtschaftlichen Leistung genügend Mittel haben für einen effizienten Umweltschutz. Die Schweiz wird ihm für sein Engagement in jener Sache keine Medaille um den Hals hängen, auch Hillers wird keine erhalten – aber es wird befriedigend sein, in zehn, 15 Jahren zu fühlen, dass sie diese Medaille im Grunde verdienten.

      Dann erreicht ihn eine Nachricht von seiner Frau. Dass ihm Rina um diese Uhrzeit schreibt, ist ungewöhnlich. Normalerweise erlaubt sie sich private Kommunikation erst abends. Kurz blitzt in Gschwind die Hoffnung auf, Rina habe ihm eine erotische Nachricht geschickt, habe wie nebenbei ihre Luxuslippen erwähnt, (les deux), auch weil sie vielleicht darunter leidet, so wenig Zeit mit ihm zu verbringen. Aber die Neuigkeiten, von denen sie berichtet, haben anderes zum Inhalt: Levin hat sich offenbar entschieden, dem Gymnasium fernzubleiben. Seit drei Tagen wohne und lerne er in einer Waldhütte, die er zu einem Schulhaus umfunktioniert habe; er habe selber eine Schule gegründet, sie heiße Back to the fruits. Es sei idiotisch, sage Levin, schreibt Rina, freitags für das Klima zu demonstrieren, den Rest der Woche aber kohlenstoffbasiert zu leben. Mit der neuen Dürre habe der Klimawandel definitiv auch die Schweiz erreicht, und er ertrage es nicht länger, am Gymnasium auf ein Berufsleben vorbereitet zu werden, das allein in einer am Wachstumsgedanken festhaltenden Welt funktioniert. Es brauche einen radikalen Wandel, und mit Back to the fruits werde ein Weg für diesen Wandel beschritten. Vorbei die Zeit, da man Jugendliche auf eine Schule schicken konnte, die nicht auf die Zukunft ausgerichtet ist.

      Pascal Gschwind liest diese Zeilen gleich zweimal, um sie überhaupt zu begreifen. Er ist höchst besorgt; besorgt auch über den gelassenen Ton, den seine Rina anschlägt. Da sie derart ausführlich formuliert, klingt es, als stecke sie mit Levin unter einer Decke, als habe sie sich diese Nachricht von Levin diktieren lassen.

      Gestern dachte Pascal voller Sehnsucht an seine Rina, jetzt scheint sie ihm fremd.

      Seinen Ehering betrachtend, als könnte er dort eine Erklärung finden, fragt sich Gschwind, ob seine Rina zu viel Yoga mache, ob sie vergessen habe, dass Levin in neun Monaten mit dem Gymnasium fertig sein wird. Dass er ein sehr kluger Junge ist, der sich mit pubertären Ideen dieser Art die Aussicht auf eine Karriere kaputtmacht. Auf eine Karriere, die es auch in einer hin und wieder von Dingen wie einer Dürre heimgesuchten Schweiz noch geben wird.

      In einer kurzen Textnachricht will er von Rina wissen, was sie zu unternehmen gedenkt, um Levin zur Vernunft zu bringen. Ehe er den Zweizeiler losschickt, liest Gschwind ihn nochmals, bemerkt den vorwurfsvollen Ton, ändert die Formulierung. Mehr Achtsamkeit im sprachlichen Umgang hatte sich Rina kürzlich gewünscht; das nervt ihn zwar, aber er möchte das gerne einhalten.

      Rina antwortet umgehend. Sie schreibt, sie unternehme derzeit nichts, Levin lasse sich sowieso nicht aufhalten. Schon gar nicht von seinen Eltern; damit müssten sie sich abfinden. Im Übrigen sei sie der Meinung, Levin werde mit seinen radikal-ökologischen Ideen entweder grob auf die Nase fallen – oder aber richtig erfolgreich sein.

      Pascal liest auch diese Zeilen mehrmals, doch das hilft nichts. Gut möglich, dass Rinas sprachlicher Umgang ein achtsamer ist, aber Gschwind fühlt sich unverstanden und übergangen. Ihr Sohn schmeißt das Gymnasium, und seine Frau denkt, er werde erfolgreich?

      Dass seine Rina vom Yoga so ungemein ausgeglichen und offenbar für nichts zu kämpfen bereit ist, geht Pascal entschieden gegen den Strich.

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       KAPITEL 7

      Als die Flugbegleiterin die Passagiere auffordert, sich für den Landeanflug vorzubereiten und alle elektronischen Geräte auszuschalten, starrt Pascal Gschwind auf den Cursor: Jedes Blinken ein mögliches Wort, eine verpasste Chance für einen weiteren Gedanken. Misslaunig klappt er den Laptop zu; nie wird er verstehen, weshalb die Minuten zwischen Anflug und Landung nicht auch Arbeitsminuten sein dürfen.

      An Back to the fruits denkend fragt er sich, wie sich sein Sohn von Dummheiten dieser Art fernhalten ließe. Kaum befasst er sich mit Levin, füllen sich seine Ohren mit dem ihm bekannten Rauschen; in seinen Armen kribbelt und zieht es; gerne würde er minutenlang etwas zerknüllen, beschädigen und zerstampfen. Und gerne würde er seinem Sohn seine aktuelle Lohnbescheinigung unter die Nase halten, damit dieser sähe, wie sehr sich Bildung auszahlt.

      Der schmale, einen dunklen Dreitagebart tragende Australier kommt ihm in den Sinn, mit dem er auf einem staubigen Parkplatz in Mufulira gesprochen und der ihn gefragt hatte, ob er das auch kenne: Nur zufrieden zu sein, wenn er mehr geleistet habe, als er von sich erwarte. Was natürlich ein bisschen mehr sei, als das, wovon er glaubt, es werde von ihm erwartet, wobei diese eingeschätzte Fremderwartung wiederum ein bisschen höher liege als die tatsächliche – nur, um im Nachhinein zu begreifen, dass der Preis für diese dergestalt um vier Stufen erhöhte Leistung vielleicht doch ein bisschen hoch sei, ein bisschen gesundheitsschädigend?

      Vier