Gschwind. Urs Mannhart

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Название Gschwind
Автор произведения Urs Mannhart
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966390408



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sympathische Weise, es sei dies ein Glücksfall für eine Rohstofffirma, und er wäre erfreut, auch bei anderen Mitarbeitern im Hirnareal Rohstoffe zu finden.

      Darauf angesprochen, dass es gewiss nicht einfach werde, das Rapacitanium aus dem Schädel herauszubekommen, ohne den Mitarbeiter zu verletzen, antwortet Hillers, er vertraue auf die Möglichkeiten der zeitgenössischen Medizin. Übrigens handle es sich bei Gschwind um einen überaus loyalen Mitarbeiter; er zweifle keinen Augenblick, dass Gschwind alles tun und geben werde, damit Valnoya an sein Rapacitanium gelange. Aufgrund bereits bestehender Komplikationen im Gehör des Mitarbeiters werde es für diesen eine Erleichterung sein, sich die Ohrmuschel, die man sich wie eine verwachsene, ins Hirn eindringende Höhle vorzustellen habe, operativ verändern zu lassen.

      Gschwind erwacht verstört, reibt sich den Kopf, betastet seine Ohren. Er benötigt eine Weile, um sich von den Traumgespinsten zu lösen und in seinem steril wirkenden Hotelzimmer anzukommen; er fühlt sich matt und entkräftet. Ihm ist, als wäre im Schlaf etwas Ungehöriges mit seinem Hirn geschehen. Einmal mehr fühlt er sich leise dazu gedrängt, an seiner psychischen Gesundheit zu zweifeln, und er vermutet, es bedeute nichts Gutes, derart intensiv zu träumen.

      Zackig steht er auf, um Distanz zu schaffen zu diesem Traum.

      Vier Stunden hat er sicher geschlafen, vielleicht sogar fünf, und zusammen mit dem restlichen Alkohol pulsieren noch die Komplimente vom Abend durch Gschwinds Blutbahnen. Am liebsten würde er Hillers gleich anrufen, diesen betrunkenen Hillers, der sich wünscht, er, Gschwind, würde den Beatenberg kaufen. Gschwind ist klar, der nüchterne Hillers wird ganz anders über die Sache denken.

      Willensstark absolviert Gschwind 25 Liegestützen und stellt sich unter eine eiskalte Dusche; eine zuverlässige Methode, nach schlechten Nächten wach zu werden.

      Blass im Gesicht, im weitläufigen Frühstückssaal des Hotels sitzend, kaut Pascal Gschwind an einem welken, nach Verpackungsindustrie schmeckenden Buttercroissant. Das Messer in der Hand, den zweiten doppelten Espresso in der Tasse, liest er erneut über die anhaltende Trockenheit, unter der die Schweizer Landwirte angeblich zu leiden haben. Er liest, dass Helikopter Wasser hochfliegen zu den Alpweiden, damit das Vieh nicht verdurste, er liest von Ertragsausfällen und starkem Schädlingsbefall bei Gemüse und Getreide, er liest von sinkenden Seespiegeln, trockenen Mooren und sterbenden Amphibien; angeblich alles Folgen der fortschreitenden Klimaerwärmung.

      Was ihn deutlich mehr interessiert, ist die Nachricht von japanischen Wissenschaftlern, die auf dem Boden des Pazifischen Ozeans Rapacitanium entdeckt haben. Die Forscher schätzen den Umfang des Vorkommens auf ungefähr 100 Milliarden Tonnen. Das begehrte Metall soll sich in einer Tiefe von 3500 bis 6000 Metern befinden, in internationalen Gewässern, östlich und westlich von Hawaii und östlich von Tahiti. Ob sich das Rapacitanium tatsächlich aus dem Meeresboden holen lasse, sei unsicher. Zwar ließen sich die Vorkommen mit Säure aus dem Boden waschen, doch dafür müsste der Schlamm hochgepumpt werden. Ob dies technisch möglich und wirtschaftlich tragbar sei, bleibe fraglich. Zu den ökologischen Folgen der Gewinnung von Rapacitanium machten die Wissenschaftler keine Angaben.

      Zufrieden lässt Gschwind die Meldung eine Weile auf dem Display leuchten: Zu wissen, dass das im Beatenberg liegende Rapacitanium einfacher und ökonomisch sinnvoller zu gewinnen sein wird, macht ihm gute Laune. So einfach, wie Tanyeri sich das vorstellt, wird es allerdings nicht gehen.

      Gschwind blickt auf seine in Platin gehaltene, leider keinen Schleppzeiger aufweisende Patek Philippe, beißt nochmals in das entkräftete Croissant und sinniert darüber, dass Hillers keinen Begriff von den Schweizer Verhältnissen hat. Abgesehen davon, dass er in Gstaad eine vielleicht zwei Mal jährlich für zwei Wochen bewohnte Villa besitzt, wo er mit seinem Privatjet bis fast vor die Haustür fliegen kann, und abgesehen davon, dass er sich hin und wieder im Hauptsitz seiner Firma blicken lässt, damit dort nicht vergessen werde, wer der Chef ist, hat Hillers kaum etwas mit der Schweiz zu tun, bewegt sich ausschließlich auf dem internationalen Parkett und kennt eigentlich kein anderes Gesetz als das des Kapitals.

      Kaum hat Gschwind diesen Gedanken halbwegs vollzogen, taucht am Frühstücksbuffet tatsächlich Daniel Hillers auf, und Gschwind muss unwillkürlich an einen Rinderzüchter denken, während er Hillers robuste Lederstiefel betrachtet. Als er seinen am Buffet stehenden und das Angebot prüfenden Chef mustert, wandern seine Gedanken vom Rinderzüchter zu einem sympathisch-altmodischen Banditen, der mit der Kraft der eigenen Hände und mit ein wenig Grips aus dem Knast getürmt ist und sich nun, euphorisiert von der selbst errungenen Freiheit, in wilde Taten stürzt.

      Dem Buffet den Rücken kehrend, steuert Hillers unvermittelt auf Gschwinds Tisch zu. Gschwind fühlt sich ertappt. Nicht nur, weil er das Gefühl hat, Hillers habe bemerkt, dass er ihn beobachtet und in Gedanken wahlweise als Rinderzüchter oder Banditen diffamiert hat, sondern vor allem, weil er vermutet, Hillers würde glauben, es sei arbeitsfaul, derart lange zu frühstücken.

      Eilends streckt Gschwind seinen Rücken durch und befürchtet, noch Schlaf in den Augen zu haben, da steht Hillers bereits vor ihm. Hillers begrüßt ihn auf das Freundlichste, setzt sich gut gelaunt an seinen Tisch und verbindet sich mit ihm durch einen aufmunternden Blick. Gschwind wischt die Scham weg, seinem Chef zerknittert gegenüberzusitzen. Er fühlt, Hillers ist voller Wohlwollen, und die eben noch in Gschwind wirksame Anspannung verwandelt sich umgehend in eine angenehme Neugierde.

      Euphorisch schildert Hillers, er habe vergangene Nacht von einem Mittelsmann zur ETH erfahren, das Rapacitanium im Beatenberg erreiche in allen bisherigen Proben einen Anteil von bis zu 17 Prozent im Muttergestein. Deutlich mehr als in den besten Minen Chinas.

      Hillers strahlt derart, dass Gschwind für einen Moment glaubt, er warte nur darauf, von ihm umarmt zu werden.

      »Und noch wichtiger«, fährt Hillers etwas lauter fort: »Die Proben, das hat die vertrackte Hollenstein bisher verschwiegen, sind über insgesamt vier Quadratkilometer verteilt entnommen worden, und jede einzelne Probe weist Rapacitanium auf. Die Mine wird also nicht klein sein, im Gegenteil: Es sieht schwer danach aus, als könnten wir den ganzen Berg abbaggern!«

      Als er diesen Satz sagt, ballt Hillers seine Fäuste wie ein Elfmeterschütze nach einem Torschuss.

      »Es ist genau so, wie Tanyeri gestern proklamiert hat«, schließt Hillers und schaut Gschwind dann eindringlich an, neigt sich zu ihm vor und sagt leise und bedeutungsschwanger: »Wir brauchen dieses Land, koste es, was es wolle. Und du wirst es uns unter den Nagel reißen!«

      Gschwind, bis eben gerade tatsächlich drauf und dran, Hillers um den Hals zu fallen, weicht unwillkürlich zurück. In seinen Stuhl gelehnt, sucht er in den Augen seines Gegenübers verzweifelt nach einem Hinweis auf Ironie, nach einem wie winzig auch immer ausfallenden Zwinkern, mit dem Hillers signalisieren würde, es sei natürlich Unfug zu glauben, man könne in der Schweiz, was Landnahme angeht, ähnlich vorgehen wie in Afrika.

      Aber Gschwind findet auf der Hillers’schen Gesichtsleinwand keinerlei Signale der Ironie, und das nächste, was Hillers in euphorischem Ton von sich gibt, ist die Frage, wann er mit Neuigkeiten von ihm rechnen dürfe. Es gehe ja erst einmal darum, herauszufinden, wem das Land gehöre, unter dessen Boden man das Rapacitanium gefunden habe.

      Blockiert durch diesen komplett unrealistischen Auftrag, zweifelt Gschwind kurz an Hillers Intelligenz. Fragend blickt er zu den breiten Wangen, zum kräftigen Unterkiefer, blickt suchend hinein in dieses Bauarbeitergesicht – und hält Hillers für einen umwerfend guten Schauspieler.

      Hillers wartet auf seine Replik, und Gschwind nimmt innerlich Anlauf. Er weiß, er wird ein bisschen stottern, seine Anspannung verraten, aber er rafft sich auf zu einem klaren Blick und hört sich sagen: »In acht … acht … 48 Stunden hast du einen ersten Bescheid.«

      Hillers hält kurz inne, als sei es nötig, die gestotterten Silben an sich vorbeiziehen zu lassen, dann umfasst er mit beiden Händen Gschwinds Rechte und schüttelt sie so energisch, dass Gschwind befürchtet, er wolle ihn doch vielleicht wachrütteln.

      Schließlich erhebt sich Hillers schwungvoll vom Tisch, verzieht seine fleischigen Banditenlippen zu einem Lächeln, wünscht Gschwind Erfolg und eilt energisch davon.

      Gschwind