Название | Seelensplitter |
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Автор произведения | Mitra Devi |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858825872 |
«Das wissen wir doch alles», flüsterte Roland entnervt in Sarahs Richtung. «Bis der fertig ist, verschimmeln die Lachsbrötchen. »
«Nebst Möbeln», fuhr Kowalski fort, «lagern unsere Kunden Kleider, Ordner, Sportartikel, ganze Wohnungseinrichtungen und Restposten von Geschäftsauflösungen bei ‹Store & Go›. Manchmal nur wenige Tage, manchmal über Jahre. Und das für sage und schreibe … » Er schaute erwartungsvoll auf die Anwesenden und hob seine Arme wie ein Dirigent in die Höhe. «Nun, meine Damen und Herren?»
Alle murmelten: «Zwölf Franken pro Kubikmeter!»
«Korrekt!» Kowalski strahlte übers ganze Gesicht.
«Er zieht immer die gleiche Show ab», zischte Claudia leise. «Langsam ist es nur noch peinlich. »
Roland pflichtete ihr bei.
«Darum, werte Mitarbeiter, der langen Rede kurzer Sinn:Ich bedanke mich für Ihr Engagement. Ich fordere weiterhin einen vortrefflichen Einsatz. Das Buffet ist eröffnet!»
«Das ging ja flotter als erwartet», murmelte Tim.
Sarah lächelte. «Er wird durstig sein. »
«Das ist das Stichwort», meinte Roland, «lasst uns anstossen!» Er nahm den Schöpflöffel, tauchte ihn in die Früchtebowle und füllte mehrere Gläser. «Zum Wohl, Sarah! Tim! Gerhard!»
Sie prosteten sich zu, Kowalski schenkte sich bereits zum zweitenmal ein, und sogar Ruth, die älteste der Angestellten, sonst massvoll und zurückhaltend, trank mit sichtlichem Genuss.
«Ausgezeichnet!», meinte Cedric Stark. «Fast wie selbstgemacht. »
«Sie ist auch selbstgemacht», sagte Sarah mit Nachdruck. «Von mir. »
«Tatsächlich? Nur nicht so empfindlich, ‹Fräulein› Dobler. Sie schmeckt trotzdem gut. »
Sarah kam sich blöd vor. Stark hatte es wieder einmal geschafft. Zum Glück hatte sie nicht viel mit ihm zu tun. Sein Büro lag am anderen Ende des Gangs, er war für die PR zuständig.
Der Abend schritt voran, angeregte Gespräche entstanden, wenngleich die Teams sich kaum mischten. Das Reinigungspersonal blieb unter sich. Die türkischen und albanischen Umzugsleute unterhielten sich in ihrer eigenen Sprache. Cedric Stark schleimte sich bei Kowalski ein, der ihn jedoch links liegen liess. Man ass, trank und gab Anekdoten zum besten. Wo immer Kowalski auftauchte, versandeten die Gespräche, da er endlose Monologe an sein Gegenüber richtete.
Sarah sorgte dafür, dass das Buffet immer appetitlich aussah, und brachte mit Ruths Hilfe Nachschub von unten herauf. Gegen zehn tauchte die mexikanische Musikgruppe auf, die Sarah als Überraschung engagiert hatte. Sie war ein voller Erfolg. Fünf Männer mit Sombreros spielten Gitarre, Trommeln und Mandoline, sangen temperamentvolle spanische Lieder und forderten die Frauen und Männer zum Tanzen auf. Nach anfänglichem Zögern wagten es die Ersten, sich zu den feurigen Klängen zu bewegen. Kowalski zog Claudia zu sich heran und schwang das Tanzbein. Sie liess es mit angewidertem Gesichtsausdruck geschehen. Gerhard Furrer wippte unsicher mit dem Fuss zum Takt. Sarah betrachtete sein Geierprofil. Gerhard hatte etwas Unheimliches und Düsteres an sich. Vielleicht kam das daher, dass er seit Jahren in den unterirdischen Lagerhallen arbeitete.
Sarah wandte sich wieder ab und beobachtete die anderen. Tim bat gerade eine portugiesische Dame der Reinigung um einen Tanz, diese stimmte mit kokettem Lächeln zu. Die Stimmung wurde ausgelassener. Sarah plauderte ein bisschen mit Mehmet, konnte ihn wegen der lauten Klänge aber kaum verstehen. Roland in seinem weissen Anzug wirbelte allein zu den südamerikanischen Rhythmen herum, seine Hand balancierte ein halbvolles Glas. Ruth stand am Rand bei einem der Öfen und schien sich auf ihre eigene stille Art über den gelungenen Abend zu freuen.
Gläser klirrten. Das Buffet war nach einer Weile ein weinbekleckertes und ölverschmiertes Schlachtfeld. Oliven, Brosamen und Teigreste waren überall verstreut, was Sarah leider nicht hatte verhindern können. Die Mexikaner trieben mit ihrer Musik auf den Höhepunkt zu. Roland lächelte beschwipst vor sich hin. Tim kippte die Portugiesin im Tangostil nach hinten, was diese mit begeistertem Quietschen quittierte.
«Was hat er denn?», hörte Sarah Marco Benedetto neben sich sagen. Sie hatte heute noch kein Wort mit ihm wechseln können.
«Was meinst du?»
«Der ist ja komplett besoffen», antwortete Marco und zeigte auf Kowalski, «Madonna mia, jetzt übertreibt er aber!»
Sarah folgte seinem Blick und sah, wie ihr Chef herumtorkelte und Claudia grob von sich stiess. Sie prallte gegen den Tisch und hielt sich an der Tischdecke fest. Tim eilte ihr zur Hilfe. Bevor alle Gläser zu Boden fielen, konnte sie sich wieder aufrappeln. «He!», machte sie empört zu Kowalski, doch dieser ging gar nicht darauf ein. Sein Gesicht war gerötet, als hätte er einen Sonnenbrand. Er stammelte unverständliche Worte. So hemmungslos hatte Sarah ihn noch nie gesehen. Hoffentlich endete die Party nicht in einem Desaster. Bereits entfernten sich einige Angestellte und starrten aus sicherer Entfernung auf ihren Chef. Der bewegte sich inzwischen mit fast spastischen Bewegungen zur Musik.
«Vengan y bailan!», schrien die Mexikaner, erfreut über die Wirkung ihrer Lieder, «Bailan! Bailan! Kommt und tanzt!»
Kowalski stolperte, richtete sich wieder auf, rief mit schwerer Zunge: «Es ist heiss!» und fuchtelte mit den Armen.
«Wenn ich so viel intus hätte, wär’s mir auch etwas wärmer», meinte Roland.
In diesem Moment krachte und knallte es in der Ferne. Die Mexikaner spielten wacker weiter, alle anderen schauten Richtung Üetliberg hinüber, wo ein Feuerwerk die ganze Umgebung erhellte und die Musik übertönte. Irgendjemand in Wiedikon oder Albisrieden feierte etwas noch Grösseres. Silberpfeile schossen in den Himmel, rote und orangene Funken rieselten wie Schneeflocken herab. Unwillkürlich entfuhr vielen ein «Oh!» und «Ah!».
«Passt ja wie bestellt», sagte Roland. «Das hast nicht etwa du organisiert, Sarah, oder?»
Sie schüttelte den Kopf und sah beunruhigt zu Kowalski hinüber. Dieser blieb stocksteif stehen, starrte entgeistert auf die farbenprächtigen Formationen am Himmel und rief: «Da sind ja die Rateken … Raketen … für unser Jubä … Jäbilu … Jubiläum!» Er lachte, grölte, schlug sich auf die Schenkel. Plötzlich krümmte er sich, als würde er von einem Krampf gepackt. Er rang nach Atem. Seine Finger krallten sich um den Kragen. Er lockerte seine Krawatte, riss sie sich vom Hals und warf sie zu Boden. Seine Wangen waren inzwischen feuerrot, seine Halsschlagadern pulsierten in rasendem Tempo. Jetzt war Sarah in Alarmbereitschaft. Wenn sich ihr Chef zum Narren machen wollte, war das eines. Wenn er aber vor aller Augen eine Alkoholvergiftung erlitt, musste man ihm helfen.
«Herr Kowalski», sagte sie in besänftigendem Ton, der im Geknalle des Feuerwerks völlig unterging, «setzen Sie sich doch, bevor Ihnen übel wird. »
Kowalski wedelte sie weg und brüllte: «Stellt die Musik ab!», worauf die Mexikaner verstummten. «Stellt die Farben ab!», schrie er zum Himmel, während die bunten Kracher weiterhin über das nächtliche Zürich stoben. «Es ist viel zu hell! Viel zu heiss!» Er wirkte äusserst aufgeregt, ob freudvoll oder in Panik, konnte Sarah nicht ausmachen. Wieviel Bowle und Wein hatte er bloss getrunken? Sie eilte zu ihm, versuchte ihn zu stützen, doch er befreite sich.
«Ich will fliegen!», krächzte er.
«Das ist ja so was von peinlich», murmelte Claudia.
Nun wollte Tim ihm zu Hilfe kommen. Aber Kowalski taumelte am Buffet vorbei, fegte eine Platte mit Brötchen vom Tisch und wankte zur Brüstung. Er ruderte wild mit den Armen, als würde er gleich abheben, und brüllte: «Ich fliege!»
«Kommen Sie zurück!», rief Tim, packte ihn am Ärmel und versuchte, ihn fortzuzerren. Kowalski stiess ihn zur Seite, machte einen Schritt und schwang sich erstaunlich wendig über das Geländer. Ein Dutzend Hände griffen nach ihm. Er schlug sie alle weg, breitete seine Arme aus.
Und sprang.
«Ich