Zwischen zwei Türen. Nasim Khaksar

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Название Zwischen zwei Türen
Автор произведения Nasim Khaksar
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962026240



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Hand und brach auf.

      Trittsicher ist er noch immer nicht. Aber so selbstbewusst wie eh und je. Er wirft sich in die Brust und richtet seine starren Pupillen geradeaus. Sein grau meliertes Haar steht an einer Seite vom Kopf ab, aber die wenigen widerspenstigen Strähnen machen sein ernstes, schön geschnittenes Gesicht umso interessanter. Jetzt weiß er, dass ich noch nicht gegangen bin. Ich warte darauf, dass er nach mir ruft. Aber er ruft nicht. Er hat seinen Stolz.

      Auch Marhamat wollte nie Hilfe. Einmal bin ich zu ihr ins Bad gegangen, um ihr den Rücken zu schrubben. Sie hat meine Hilfe abgelehnt. Also ging ich selbst unter die Dusche, verärgert über mein harsches Verhalten. Ich war angespannt, hatte überreagiert und Marhamat mal wieder angeschrien. Sie hatte gesagt, sie sei sauber genug, auch ohne geschrubbten Rücken. Jedesmal, wenn ich gut aufgelegt war, brachte sie es fertig, mir die Stimmung zu vermiesen.

      Sie kauerte unter der Dusche. Hager war sie geworden und schmächtig wie ein junges Mädchen. ‚Sie hat Angst vor mir!‘, schoss es mir durch den Kopf, während ich mir die Haare nass machte.

      „Ich bin nicht dein Mann, aber du zierst dich wer weiß wie. Ich wollte dir einfach nur den Rücken schrubben.“

      Sie griff nach dem Waschlappen auf ihrer Schulter und reichte ihn mir. Ich nahm ihn entgegen und rieb ihr den Rücken damit ab.

      „Du raubst mir den letzten Nerv, meine Güte. Und im Grunde bist du selbst schuld. Wenn du dich ihm einmal, nur ein einziges Mal entgegenstellst und den Befehl verweigerst, wird er’s nicht mehr wagen, dich derart zu erniedrigen.“

      Sie stöhnte. Ich gönnte ihr eine Pause. Ihr Waschlappen war einer von der alten Sorte, aus rauem Gewebe.

      „Tut dir das weh, Mütterchen?“

      Statt mir zu antworten, sank sie noch tiefer in sich zusammen. Ich fasste sie an der Schulter, richtete sie auf. Und bekam einen Schock! Die Geschwulst in ihrer Brust war so groß, dass die Haut darüber hauchdünn geworden und zum Zerreißen gespannt war. Ich schrie meine Mutter an.

      „Was ist das denn?!“

      Sie hielt sich die Hände schützend vors Gesicht, so wie immer, wenn mein Vater auf sie losging. Mir wurde übel. Ich nahm sie in den Arm.

      „Keine Angst, wir gehen zum Arzt. Warum hast du nicht längst was gesagt?“

      Sie ließ ihre Hände nicht sinken. Diese Szene hing nach ihrem Tod gerahmt an meiner imaginären Erinnerungswand und machte mir das Leben zur Hölle. Ich, um die Tränen schon immer einen großen Bogen gemacht hatten, weinte nun rund um die Uhr.

      Mein Vater atmet tief durch.

      „Hörst du’s?“

      Ich antworte widerwillig.

      „Was denn?“

      Er lacht.

      „Die Vogelstimmen.“

      „Bei dem Verkehrslärm höre ich nichts.“

      Wieder lacht er und seine Stimme wird freundlich.

      „Manchmal hindert dein Dickschädel dich am Hören. Die Autos spielen dabei keine Rolle.“

      Er bleibt stehen und atmet tief ein.

      „Hm, herrlich, dieser Duft! Welche Farbe haben die Blumen?“

      Er geht weiter. Mir geht durch den Kopf, dass er vermutlich auch Marhamat solche Fragen gestellt hat.

      „Das sind keine Blumen, das sind einfach wildwachsende Gräser.“

      Er seufzt laut auf.

      „Marhamat kannte jede einzelne Pflanze beim Namen. Manchmal hat sie sogar zu viele Worte gemacht. Dann hab ich ihr gesagt: ,Lass gut sein, Frau. Ich hatte dich nur nach der Farbe gefragt. Was soll ich mit dem Wissen über Blumenzwiebeln und Samen?’ Du bist nicht wie sie. Du sagst gar nichts.“

      „Soll ich dir die Pflanzen beschreiben?“

      Er wird lebhaft.

      „Du kannst sogar welche pflücken.“

      Seine Heiterkeit ärgert mich. Ich bin froh, dass hier nirgends Blumen wachsen.

      „Ich sehe keine Blumen. Bloß einen noch immer nicht entsorgten Haufen Müll. Außerhalb des Geländes die Baustelle der Einkaufspassage. Zu Ihrer gefälligen Beachtung sei auch gesagt, dass hier weit und breit keine Nachtigall in Sicht ist. Ein paar magere Sperlinge hüpfen durch die Bäume. Eine gebrechliche alte Frau hat ein Fladenbrot gekauft und trägt’s nach Hause.“

      Er lacht.

      „Geht dir das Herz immer so über?“

      Er hat wohl Honig mit Sahne gefrühstückt, so witzig und gesprächig ist er. Meine Stimmung hebt er damit nicht.

      „Im Moment gehen wir mitten durch die baufälligen Wohnblocks. Soll ich dir was von herrlichen Gärten vorschwärmen?“

      Er schüttelt bedauernd den Kopf.

      „Deine Mutter, Gott hab sie selig, hatte sehr viel Geduld.“

      Ich koche vor Wut.

      „Geduld oder keine Gefühle? Ich glaube eher, sie war so gefühllos, dass sie nicht gemerkt hat, welches Leid ihr geschieht.“

      Mein Vater bleibt wieder stehen und schreit mich an:

      „Rede nicht so dumm daher! Nimm lieber was ein. Du bist ja völlig fertig mit den Nerven!“

      Ich schreie zurück:

      „Soll ich Tabletten schlucken und so enden wie Marhamat? Als Punchingball, auf den du eindreschen kannst, wie’s dir passt?!“

      Ich bleibe stehen und schreie noch lauter:

      „Ich bin nicht Marhamat!! Wie oft soll ich dir das noch sagen?! Ich bin nicht Marhamat!! Ich bin nicht Marhamat, der du nach Lust und Laune Unglück aufbürden kannst!!“

      Weil ich brülle, höre ich nicht, was er antwortet. Schlimmer noch, egal was ich sage, es beruhigt mich nicht. Ich schleudere seine Aktentasche weg, die ich ihm bis hierhin getragen habe. Sie trifft ihn am Bein.

      „Geh und such dir ‘ne neue Marhamat. Ich bin nicht dein Dienstmädchen!“

      Er bückt sich, hebt die Tasche auf. Er klingt traurig:

      „Natürlich bist du nicht sie. Auch wenn du dich umbringst, wirst du nicht sie.“

      Ich höre und staune. In diesem Tonfall hat er noch nie von Marhamat geredet. Ich schlucke meine Tränen, überwinde einen Erdhügel, erreiche ebenes Terrain. An der Bushaltestelle sitzen Leute. Ein Mann steht auf, weil er den Bus kommen sieht. Ich schaue hinter mich. Mein Vater, einen Arm weiter vorgestreckt als sonst, will sich ganz offenbar allein bis zur Haltestelle durchschlagen. Vor unserem Streit hatte ich ihm gesagt: „Es sind nur noch ein paar Schritte bis dahin.“ Ein langer lilafarbener Faden hat sich an den Saum seines Hosenbeins verirrt. Marhamat hätte sich gebückt und ihn abgezupft. Noch hundert Meter. Wenn er sich’s anders überlegt und umkehren will, wird sein Weg länger. Er scheint sich nicht beirren zu lassen, geht weiter Richtung Haltestelle. Sein rotes Hemd hat an der Schulter einen Staubfleck. Wo hat er sich den zugezogen? Jetzt verliert er die Orientierung und geht von der Haltestelle weg. Ich lege instinktiv zwei Finger an die Lippen, um zu pfeifen, wie früher, als Kind, wenn ich ihm ein Zeichen geben wollte. Weil der Kloß in meinem Hals aber sehr fest sitzt, kann ich kein Wort sagen und bringe erst recht keinen Pfiff zustande. Ich renne zur Haltestelle. Durchs Busfenster kann ich sehen, wie mein Vater in seinem roten Hemd sich weiter und weiter von der Haltestelle entfernt.

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