Chassidismus. Susanne Talabardon

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Название Chassidismus
Автор произведения Susanne Talabardon
Жанр Документальная литература
Серия Jüdische Studien
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846346761



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Gebet, das dem Besch“t als Mittel zu Seelenaufstiegen gedient haben soll (Etkes, Besht, S. 122–151). |47|In dieser Weise äußerte sich etwa Schlomo von Lutsk (starb 1813), ein Schüler des Dov Ber von Międzyrzecz, in seinem Vorwort zu den von ihm herausgegebenen Predigten seines Meisters:

      Bis dass sich der Ewige über uns erbarmte und das Licht Jisra’els leuchten ließ – d.i. des Heiligen göttlichen Meisters, des Lehrers und Meisters Israel Besch“t und seiner heiligen Schüler, welche sich mit dem Staube seiner Füße bedeckten, durstig seine Worte zu trinken als Worte des lebendigen Gottes. Denn er offenbarte uns die teure Quelle des Glanzes [Tif’eret] dieser Weisheit [Chokhma] über jedes einzelne Detail, jedes Häkchen der Prozesse in der Oberen Welt und deren Einheit mit der Unteren Welt – in allen Bewegungen, im Wandel, in Wort und Werk. […] Und ich [Schlomo] |48|hörte aus seinem [des Dov Ber von Międzyrzecz] heiligen Mund: Was verwundert es dich, dass er [der Besch“t] Erscheinungen Elijas und noch andere sehr hohe spirituelle Ränge hatte? […] Und einmal hörte ich aus seinem heiligen Mund, dass der Besch“t, sein Andenken sei zum Leben in der Kommenden Welt, ihn gelehrt habe, mit Vögeln und Palmen zu kommunizieren etc. Auch lernte er mit ihm die arkane Bedeutung der heiligen [Gottes-]Namen und Jichudim […] und er sagte ihm Erklärungen für jeden Buchstaben. (Maggid Devaraw, S. 2)

      EinigeCharismatische Fähigkeiten der dem Ba’al Schem Tov gewissermaßen vom Schüler des Schülers zugeschriebenen spirituellen Fähigkeiten, wie etwa die Konversation mit Vögeln und Bäumen, erinnern sehr an Chajim Vitals Eloge auf Jitzchak Luria oder repräsentieren hagiographisches Gemeingut. (Zumindest denkt man bei wolhynischen Bäumen, deren Sprache man erlernen könnte, nicht zwingend zuerst an Palmen.) Andererseits, historisch oder nicht, lassen sie den überragenden charismatischen Rang erkennen, den man im unmittelbaren Umfeld des gelehrten Dov Ber dem Besch“t beimaß.

      Ablehnung der AskeseAuf relativ sicherem Terrain befindet man sich hingegen bei der deutlichen Ablehnung asketischer Praktiken durch den Besch“t. Diese stellte zweifelsohne eine Besonderheit seines Profils dar, wodurch er sich klar von anderen Chassidim ‚alten Stils‘ unterschied. Sowohl etliche Legenden als auch das in den Schivché ha-Besch“t überlieferte Schreiben des Ba’al Schem Tov an seinen späteren Anhänger Jakob Josef von Połonne wissen davon zu berichten, dass er zum Beispiel das Wochenfasten als Frömmigkeitsübung ablehnte und demgegenüber den Gottesdienst in Freude propagierte.

      Dies ist der Wortlaut des Briefes [des Ba’al Schem Tov an Jakob Josef von Połonne]: Zu Händen meines Geliebten, des Geliebten meiner Seele, der großen Leuchte, der rechten Säule, des starken Hammers [vgl. bBer 28b], des in der Chassidut berühmten, des vollkommenen und wunderbaren Weisen, der Wunder tut und im Inneren meines Herzens eingeschlossen ist, mir anhänglicher als ein Bruder, unserem Lehrer Josef ha-Kohen. Siehe, ich empfing das Siegel seiner heiligen Hand und ich sah eine der zwei oberen Zeilen. Dort aber wurde gesagt, dass Eure Erhabenheit meint, als ob es erforderlich sei zu fasten. Mein Inneres aber zürnt ob der Stimme, die [solches] ausruft. Denn, siehe, ich füge den ‚Beschlüssen der Wächter‘ [עירין גזירות; Dan 4,14] und zusätzlich dem Heiligen, Er sei gelobt, und seiner Schekhina hinzu: Nicht darf man sich selbst in eine Gefahr wie diese bringen! Denn dies ist ein Werk der schwarzen Bitterkeit [der Galle] und der Traurigkeit. Und die Schekhina ruht nicht inmitten der Traurigkeit, sondern nur inmitten der Freude der Gebote! Wie Eurer Erhabenheit bekannt sein dürfte, sind [dies] Dinge, die ich [schon] etliche Male lehrte. Und ‚diese Worte seien‘ auf Seinem ‚Herzen‘ [Dtn 6,6]! Und wegen des Teils seiner Gedanken, die ihn zu solchem veranlassen, diesbezüglich rate ich: ‚Es sei Gott mit dir, du starker Held‘ [Ri 6,12; Ex 18,19]! An jedem einzelnen Morgen, in der Zeit seines Lernens schmiege er sich selbst an die Buchstaben, |49|in vollendeter Anschmiegung [דביקות] zum Dienst an seinem Schöpfer, Er sei gelobt und gelobt sei Sein Name. Dann aber werden die Gerichtsurteile an ihrer Wurzel versüßt und es werden die Gerichtsurteile von ihm leicht gemacht. ‚Aber vor deinem Fleisch verschließe dich nicht‘ [Jes 58,7], um Himmels willen, um mehr zu fasten, als es erforderlich und notwendig ist. Und wenn du gewiss auf meine Stimme hörst, dann wird Gott mit dir sein! Und mit diesem lasse ich es ein Bewenden haben und sage Schalom von mir, der ich immer nach deinem Schalom strebe! Spruch [נאום] des Israel Besch“t. (Grözinger, Geschichten I, S. 58–59)

      Das von der Forschung durchaus für authentisch gehaltene Schreiben (vgl. Rosman, Founder, S. 114–115) bringt die Gegnerschaft des Israel ben Eli’eser zur harten asketischen Fastenpraxis kabbalistischer Prägung auf den Punkt. Der Brief beeindruckt zunächst durch die Intensität und Autorität, mit der er seine Ansicht vorträgt. Sein Verfasser begegnet seinem Adressaten als vollmächtiger Lehrer, dessen Worte schlechthin unzweifelhaft sind: „Wenn du gewiss auf meine Stimme hörst, wird Gott mit dir sein“ (!). Engel, die Schekhina und schließlich Gott selbst werden als Gewährsleute für die zentrale Botschaft des Besch“t in Anspruch genommen: Die Schekhina weilt nicht in Trauer und Zerknirschung, sondern in Freude! Das göttliche Urteil über eine Person lässt sich durch das Wochenfasten nicht abmildern – im Gegenteil: Es ist lebensgefährlich und daher nicht geboten. Anstatt dessen empfiehlt Israel ben Eli’eser die meditative Anhaftung (Devequt/דבקות) an die Buchstaben des hebräischen Alphabets.

      4.4. Die Lehre des Ba’al Schem Tov

      Die Lehre des Ba’al Schem TovDies führt mitten hinein in die mystische Lehre des Ba’al Schem Tov, die nun daraufhin untersucht werden soll, ob sich aus ihr einige der innovativen Ansätze des osteuropäischen Chassidismus ableiten lassen. Dabei muss zunächst daran erinnert werden, dass Israel ben Eli’eser keine eigenen Schriften hinterlassen hat. Grundzüge seiner theologischen Konzeptionen können nur aus den Werken seiner Anhänger und der von ihnen ausgebildeten Gelehrten herausgefiltert werden. Dabei stellen insbesondere die Schriften des Jakob Josef von Połonne, des Adressaten des Fastenbriefs, und des Besch“t-Enkels Mosche Efrajim von Sudylków (ca. 1740–1800) wertvolle Quellen dar. Beide Autoren leiteten Zitate des Ba’al Schem Tov oft mit „Ich hörte von meinem Lehrer“ oder ähnlichen Formulierungen ein, wodurch diese gut als solche zu erkennen sind. Das Hauptwerk Mosche Efrajims, der Degel Machané Efrajim (דגל מחנה אפרים; Banner des Lagers Efrajim), gehört zu den Klassikern |50|der chassidischen Literatur und enthält zahlreiche wertvolle Traditionen von Meistern der ersten Generation. Schon früh extrahierte man aus diesen und anderen Schriften die Worte des Besch“t und fügte sie zu Anthologien zusammen. Bereits im Jahre 1784 wurde mit Keter Schem Tov (כתר שם טוב; Krone des Guten Namens) das erste Werk dieser Art gedruckt. Die umfassendste Kompilation von Zitaten des Ba’al Schem Tov, der Śefer Ba’al Schem Tov (ספר בעל שם טוב), erschien hingegen erst 1937/38.

      Ein Blick auf die von seinen Schülern kolportierten Äußerungen des Ba’al Schem Tov erweist deren hohe Originalität. Anders als es aufgrund des geistesgeschichtlichen Kontexts seiner Zeit zu erwarten gewesen wäre, bezog sich Israel ben Eli’eser gerade nicht primär auf die Lehren Jitzchak Lurias. Vielmehr wählte er eine Alphabetmystik zu seinem Bezugsrahmen, wie sie in der spätantiken Hekhalotmystik bzw. im Śefer Jezira entwickelt wurde und im Mittelalter z.B. durch Abraham Abulafia (etwa 1240–1291) oder Josef Gikatilla (1248–1325) weitere Ausformung erfuhr (vgl. dazu Grözinger, Jüdisches Denken 2, S. 29–64; 303–393).

      KosmologieDie Schöpfung zeigte sich dem Ba’al Schem Tov als ein aus den transzendenten Sphären des Ewigen emaniertes hebräisches Alphabet, dessen 22 Buchstaben die Kraft des Schöpfers in sich bergen. Dabei befindet sich das Alef, der erste Buchstabe des Alphabets, seiner göttlichen Wurzel am nächsten. Die nachfolgenden Schriftzeichen (Bejt; Gimel) umhüllen ihren jeweiligen Vorgänger wie einen Mantel bis herunter zum letzten (Taw):

      Wie ich von meinem Lehrer, sein Andenken sei zum Leben in der kommenden Welt etc., hörte: Der Anfang der Schöpfung geschah durch den Buchstaben Alef, denn er ist Weisheit. Und Er schuf das All durch Weisheit, wie gesagt ist: ‚Sie alle hast du durch Weisheit gemacht‘ [Ps 104,24]. Denn es emanierten die Buchstaben von oben nach unten herab und dadurch schuf Er alles Geschaffene: durch 22 Buchstaben vom Alef bis zum Taw. Und alles, was durch einen Buchstaben geschaffen ist, der dem Höchsten nahe ist, ist höher als das durch den Buchstaben Taw geschaffene, welcher der letzte Buchstabe ist. […] Siehe, Seine Geistigkeit, Er sei