Das Osmanische Reich. Douglas Dozier Howard

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Название Das Osmanische Reich
Автор произведения Douglas Dozier Howard
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534747030



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die Belagerung, den Einzug Sultan Mehmeds II. in die Stadt und dessen ersten Besuch in der Hagia Sophia.126 Das Werk, teils Memoirenbuch, teils Chronik, teils Fürstenspiegel, hebt sich im Stil wie in der Themenwahl spürbar von dem Werk Aşıkpaşazades ab. Der Unterschied der Erzählstile zwischen Tursun Bey und Aşıkpaşazade verwies auf ein ganzes Bündel theoretischer und philosophischer Divergenzen im Osmanenreich nach 1453. Deren Ursachen lagen letztendlich in unterschiedlichen Gottesvorstellungen, doch einige Interessen hatten beide sehr wohl gemeinsam.

      Tursun Bey stellte das Osmanische Reich als das bedeutendste Imperium in der Weltgeschichte dar. Er schrieb im „Aufsatz (inşa)-Stil“, einer eleganten Sprache, die spontan in literarischen Zirkeln am osmanischen Hof entstand. Der Aufsatzstil baute arabische und persische Vokabeln und Satzkonstruktionen in ein türkisches Satzgerüst ein und füllte es, abgesehen von Lyrik, mit dichten Alliterationen, Assonanzen, Binnenreimen und komplizierten Verb-Nomen-Kombinationen auf. Die neue Sprache unterstellte eine Analogie zwischen dem Osmanischen Reich und dem kumulativen Kulturerbe der islamischen Epoche. Doch Tursun Beys Buch war im Gegensatz zu verschiedenen anderen Werken, die in den gut hundert Jahren nach der Eroberung geschrieben wurden, keine Weltgeschichte. Binnen weniger Jahre erschienen Şükrullahs Strahlendes Antlitz der Daten in 13 Teilen und Enveris noch ehrgeizigeres Buch der Prinzipien in 22 Büchern; in beiden Werken bildete die osmanische Dynastie den Höhe- und Schlusspunkt. Für Tursun Bey forderte die Eroberung Konstantinopels den Vergleich zwischen Sultan Mehmed II. und den großen Welteroberern der Vergangenheit – Alexander dem Großen, dem Sassaniden Ardaschir und Dschingis Khan – regelrecht heraus. Mit kräftigen Anleihen bei der inzwischen islamisierten persischen Literaturgattung des Königsspiegels entwickelte Tursun Bey später eine Theorie herrscherlicher Autorität, der zufolge der legitime muslimische Souverän als irdisches Werkzeug der allumfassenden Gerechtigkeit Gottes fungierte, und eine Herrschaftsethik, in welcher die Taten des Souveräns ein Dankopfer an Gott waren.

      Diese Themen ließen Tursun Beys Medrese-Ausbildung und seine 40-jährige Karriere als Amtsschreiber und Mitglied der Ulema erkennen. Er stammte aus einer alten muslimischen Familie in Bursa – sein Vater war Beylerbeyi, sein Großvater Sancakbeyi gewesen, und sein Onkel, ein Statthalter von Bursa, hatte in Istanbul nach der Eroberung die Erfassungskommission der byzantinischen Häuser geleitet. In dieser Kommission hatte auch Tursun Bey selbst mit seinem Onkel zusammengearbeitet, bevor er als Landvermesser in der Provinz amtierte, einen Posten im Istanbuler Ratssekretariat erhielt und von dort auf wichtige Finanzposten in der Provinz Anatolien berufen wurde. Zur Ruhe setzte er sich in Bursa, wo er die Stiftungen seines Onkels verwaltete und sich der Schriftstellerei widmete.127

      Für Tursun Bey musste Gottes auserwählter Herrscher augenfällige Begabungen an den Tag legen und war verpflichtet, von ihnen als wesentlichem Aspekt täglichen göttlichen Wirkens gehorsam in der Welt Gebrauch zu machen: bei weisen Urteilen, durch die wachsame Verteidigung des Reiches und indem er die ihm anvertraute Herde hütete. Der Gehorsam der Untertanen – einer dankbaren, nicht durch Sprache, ethnische oder religiöse Zugehörigkeit differenzierten gemeinsamen Menschheit – war Ausdruck ihrer eigenen Unterwerfung unter die Macht Gottes. Tursun Bey nannte die Untertanen kul, das osmanische Wort für die Palastsklaven des Sultans. Für ihn stammten die Vorbilder des Königtums nicht aus Rom oder Byzanz, sondern aus dem Ktesiphon der Sassaniden, dem hellenisierten islamischen Bagdad und dem Täbris der Mongolenzeit.

      Ulema und Derwisch

      Im Vergleich damit verwiesen Aşıkpaşazades stark umgangssprachlich gefärbte türkische (Turki) Prosa, sein folkloristischer, anekdotenreicher Erzählstil und seine originellen Verse auf den Ursprung seiner Chronik in der intellektuellen Tradition der Derwisch-Tekke. Wie wir gesehen haben, begann er mit der geistlichen Ahnenreihe seines Sufi-Ordens. Für Aşıkpaşazade leitete sich die Autorität des Sultans im Allgemeinen aus den Bindungen zwischen kriegerischen Herren und heiligen Männern ab, während die Autorität der Osmanensultane im Besonderen aus den Blutsbanden der Osmanendynastie mit Scheich Edebali erwuchs. Die Sultane der Osmanen waren Gazis, Heerführer rechtschaffener Krieger, die gegen die Mächte des Unglaubens stritten. Ihre Siege spielten eine Rolle im bevorstehenden Ende des Zeitalters, indem sie zur Vorherrschaft des Islam in der Geschichte führten.

      Wie andere Derwische befürchtete auch Aşıkpaşazade, die Einnahme der Stadt könnte einem Bündnis von Sultanat und Ulema ermöglichen, herrscherliche und religiöse Herrschaftsstrukturen zu schaffen, die sich gegen die Derwische richteten.128 Ihm missfielen die Kontinuitäten mit Istanbuls christlicher Vergangenheit, welche jene prominenten osmanischen Staatsmänner verkörperten, von denen einige erst kürzlich vom Christentum zum Islam übergetreten waren. Unter diesen frisch Konvertierten waren drei Männer, die ein Dreivierteljahrhundert lang das Amt des Großwesirs beherrschten. Mahmud Pascha Angelović war Tursun Beys Gönner. Großwesir von 1456–68 und nochmals von 1472–74, war Mahmud Pascha in osmanische Dienste getreten, als er im Kindesalter gefangen genommen wurde. Er wurde in der Palastschule von Edirne erzogen und nahm wahrscheinlich an der Belagerung von Konstantinopel teil. Er heiratete eine der Töchter Sultan Mehmeds, pflegte jedoch während seiner gesamten Karriere ebenfalls enge Beziehungen zu der südslawischen Adelsfamilie, aus der er stammte.129 Er plante viele der Eroberungen Mehmeds, zu denen auch das griechische Trapezunt gehörte, wo Mahmuds Cousin Georgios Amirutzes Schatzmeister war.

      Der zweite dieser Männer war Mahmud Paschas Nachfolger als Großwesir im Jahr 1468, Rum Mehmed Pascha. Er stammte aus einer griechischen Adelsfamilie und könnte während der Belagerung Konstantinopels in Gefangenschaft geraten sein. Der dritte war Hersekzade Ahmed Pascha, der Sohn eines slawischen Fürsten aus der Umgebung von Mostar. Sein Bruder hatte das Erbe ihres Vaters an sich gerissen, also ging der andere Sohn nach Istanbul, trat zum Islam über und legte sich den Namen Ahmed Hersekzade zu (wörtlich übersetzt: „Sohn des Fürsten“). Er stieg bis in die höchsten Ränge der osmanischen Verwaltung auf, heiratete Sultan Bayezids Tochter Hundi und brachte es auf fünf Amtsperioden als Großwesir unter Bayezid II. und Selim I.130

      Trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten fanden Derwische wie Aşıkpaşazade und Ulema wie Tursun Bey in den Jahrzehnten nach der Eroberung Istanbuls einen gemeinsamen Nenner. Beide bekämpften sie die aggressive Fiskalpolitik Mehmeds II., in der sie eine Gefahr für die finanzielle Kraft des osmanischen religiösen Lebens sahen. Und eine Generation später machten beide gemeinsame Sache gegen die Bewegung der Safawiden.

      Aşıkpaşazades Widmung

      Unter Anspielung auf eine Passage in der Prosaeinleitung von Rumis Mesnevi schrieb Aşıkpaşazade:

      Sultan Murat Khan Gazi hat viele Kriegszüge gegen die Ungläubigen unternommen. Jeden seiner Kriegszüge und jede seiner Taten, die in ihrer Zeit geschahen, habe ich unbedeutender Mensch gekürzt, so, als ob „ich von einem Haufen gedroschenen Korns eine Handvoll zum Probieren gäbe“. Der Grund dafür ist, dass bei der Darlegung der Gesamtheit den Menschen der Verstand verwirrt würde. Die Absicht dahinter, dass ich wenigstens diese Menge gemacht habe, ist, dass es wohlwollende Gebete für die Seele Seiner Majestät geben soll. Allah möge sich derjenigen erbarmen, die diese Überlieferungen über die Familie Osmans lesen oder hören, und diese mögen für seine Seele beten. a

      Später setzte er noch einen Segensspruch in Versen hinzu:

      Aşıkî, nun bete für dieses Geschlecht!

      Deine „Historien“ wurden dem Darlegen erwiesen gerecht:

      In Schah und Khan und Sultan Bayezids Zeit

      War Freude und Glückes genug, und niemand ging’s schlecht.b

      aÜbersetzung: Michael Reinhard Heß, Textbasis: Aşık Paşazade, Tevarih-i Al-i Osman. Aşık Paşazade tarihi. Istanbul (Matba-i Amire) 1332 H [1913–1914], S. 136.

      bÜbersetzung: Michael Reinhard Heß; Textbasis: Ebd., S. 222.

      Ein Vermittler dieser Versöhnung war Sultan Bayezid II., der Sohn und Nachfolger Mehmeds des Eroberers.131 Während seiner Lehrzeit als Prinz in Amasya war Bayezid dem Halveti-Scheich Müeyyedzade nahegekommen und ermöglichte ihm die Flucht in den Iran, als