Das Osmanische Reich. Douglas Dozier Howard

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Название Das Osmanische Reich
Автор произведения Douglas Dozier Howard
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534747030



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aus der Staatskasse und mussten keine Steuern zahlen. In der Praxis gab es keine undurchdringliche Grenze zwischen den beiden Kassen; gelegentlich funktionierte die Schatulle des Sultans als Sparkonto.57 Das öffentliche Wohl profitierte von den persönlichen Mitteln des Herrschers.

      Die Aufgabe des Wiederaufbaus war beachtlich. Sie begann mit einer neuen Silberwährung und konzentrierte sich zunächst auf die Königsstädte Edirne und Bursa.58 Beide hatten durch wiederholte Regimewechsel während des Bürgerkriegs gelitten, und Bursa hatte zudem noch Schäden bei dem Erdbeben davongetragen.

      Bursa war die Seidenstadt. Die meiste Seide, die dort eintraf, stammte aus den iranischen Gebieten südlich des Kaspischen Meeres; Ausgangspunkt für die Karawanen nach Westen war seit der Mongolenzeit Täbris. Die Handelsroute folgte dem Flusstal des Aras bis Erzurum, durchquerte die Steppen mit Zwischenhalten in Erzincan am Euphrat, Sivas am Kızıl Irmak sowie Tokat am Yeşıl Irmak und erreichte dann über Amasya und Ankara Bursa. Durch den Erfolg dieser Route gerieten jene Routen unter starken Druck, die von den Rivalen der Osmanen gefördert wurden: der Überlandweg nach Aleppo und der Seeweg nach Konstantinopel über Trapezunt (Trabzon). Angefangen mit Sultan Orhan subventionierten fünf Osmanensultane Stiftungskomplexe in Bursa, zu denen jeweils eine Moschee, eine Medrese, eine Suppenküche, Mausoleen und fast immer auch ein Bad gehörten. Unter den Bauten der Sultane fanden sich auch eine Elementarschule, die Orhan gründete, sowie von Murad II. errichtete Thermalbäder. Und das waren nur die Sultansbauten. Die Frauen der Herrscherdynastie sowie führende Staatsmänner und Frauen der Gesellschaft errichteten mehrere weitere Bauten. Auch die Sklaven standen nicht zurück. Vor allem Angehörige des Militärs beschäftigten Sklavenbedienstete in großer Zahl, deren Funktionen sie darauf vorbereiteten, durch Freilassung selbst zur herrschenden Schicht zu stoßen.59 Eine Generation jüngere Nachlassunterlagen zeigen, dass es sich bei 15 Prozent der in Bursa registrierten Vermögen – also denen der reichsten Bevölkerungsschicht – um den Besitz ehemaliger Sklaven handelte.60

      Edirne am Zusammenfluss von Tundscha und Mariza im östlichen Thrakien war ein Vorposten und Knotenpunkt an der Route nach Buda und Prag über Plovdiv, Sofia, Niš und das am Zusammenfluss von Donau und Save gelegene Belgrad. Mindestens ein halbes Dutzend bedeutender Stiftungskomplexe wurde hier während der Herrschaft Murads II. von führenden Staatsmännern subventioniert. Die steinerne Moschee, deren Bau im Bürgerkrieg begonnen worden war, vollendete später Mehmed I., und bald gesellte sich eine weitere hinzu. Die alte verfügte über Einkünfte aus einem überdachten Markt oder bedestan, der zu ihrer Finanzierung gestiftet worden war. Neben anderen Läden umfasste der Markt auch „die Hauptniederlassung und das Lagerhaus der Genuesen, wo es etwa hundert Händler mit einer gewaltigen Menge an Waren gab“.61 Die neue Moschee, deren Schlussstein Murad 1437–38 setzte, brach mit den älteren Architekturmustern – den Gottesdienstraum überspannte eine einzige Zentralkuppel, und eines der Minarette wies drei Balkone auf.

      Die Kontrolle der Meerenge durch die Osmanen ermöglichte via Gallipoli eine Verbindung zwischen den beiden Königsstädten; Aşıkpaşazade beschrieb, wie genau der Staat bei dieser Route hinsah. Sultan Murad finanzierte eine gut anderthalb Kilometer lange Steinbrücke über den Fluss Ergene rund 80 Kilometer südlich von Edirne. Das dichtbewaldete Gebiet wimmelte von Räubern. Der Sultan befahl, die Bäume zu fällen und die Gegend zu säubern, dann errichtete er auf beiden Flussufern an den Brückenköpfen Siedlungen mit einer Moschee, einem Bad und Märkten. Siedlern, die sich dort niederlassen wollten, winkte Steuerfreiheit. In Gesellschaft von Ulema und Derwischen wohnte der Sultan höchstpersönlich der Einweihungsfeier des Baukomplexes bei. Bei dieser Gelegenheit verteilte er Geld, beschenkte die Architekten mit Ehrengewändern und ließ eine öffentliche Festtafel für ein großes Gelage herrichten.62

      Abb. 2.2: Panoramablick auf Bursa von den Abdullah Frères, ca. 1880–1893. Das Foto gehörte zu einem der Alben, welche die osmanische Regierung zur Weltausstellung von 1893 nach Chicago schickte; ein Exemplar davon wurde der Library of Congress geschenkt.

      Auf diese Weise wurden die mitteleuropäischen Märkte auch ohne Konstantinopel an den Rest Südwest-Eurasiens angeschlossen. Damit drohte Konstantinopel nicht die Eroberung, sondern die Bedeutungslosigkeit. Als Bertrandon de la Brocquière im Jahr 1432 auf Vermittlung eines italienischen Handelsattachés mit Murad zusammentraf, wurde Konstantinopel bereits durch diese Strecke Bursa–Edirne umgangen. Auf seiner Rückkehr vom Heiligen Grab in Jerusalem, bei der er über Land mit einer muslimischen Pilgerkarawane reiste, berichtete de la Brocquière, Genueser Großhändler aus Pera, dem Handelsvorort von Konstantinopel, kauften ihre Seide zu Exportzwecken direkt von osmanischen Lieferanten in Bursa.63 Konstantinopel zu erobern, sei damit unnötig, wie Aşıkpaşazade und andere eigens betonten.64 Türkische Kaufleute besuchten Konstantinopel regelmäßig und handelten auf einem wöchentlichen Markt mit Wachs, Trockenfrüchten, Häuten, Textilien und Kriegsbeute einschließlich Sklaven. Der osmanische Silber-Akçe wurde als Währung akzeptiert. Es gab sogar eine Moschee und einen muslimischen Richter für die Bedürfnisse der Händler.65 So wurde die Stadt durch eine Art stellvertretender sichtbarer Vertrautheit trotzdem die ihre. Mit ihrer Silhouette, ihren Gebäuden, ihren Mauern und ihren Stadträumen war sie so vertraut wie das Haus eines Nachbarn.

      Karte 2.2: Die großen Routen für den Überlandhandel

      Die Stiftung

      Den Kern der Stadtzentren entlang dieser Handelswege bildete jener Komplex öffentlicher Einrichtungen, dessen finanzielle und rechtliche Basis die wohltätige Stiftung oder vakıf darstellte.66 Die Scharia-Rechtsschule der Hanafiten hütete den alleinigen Anspruch des Monarchen darauf, den Grund und Boden des Reiches zu verteilen, betrachtete sie ihn doch als göttliche Gabe an das Sultanat kraft Eroberung. Auf Ackerland behielten die Dörfler den Nießbrauch, wie es die göttliche Gerechtigkeit erforderte. Die Steuereinnahmen, die auf diese Flächen fällig wurden und ein Bargeldäquivalent zu Lehnsdiensten darstellten,67 wurden in Paketen (hass) verteilt. Die Hass-Einkünfte des Sultans selbst wurden von seinen Steuereintreibern für seine Privatschatulle eingetrieben, der Rest wurde im Rahmen eines lehnsrechtlichen Geschäfts, bei dem Unterhalt (dirlik) gegen Dienst getauscht wurde, Reitersoldaten zuerkannt. Privater Landbesitz (mülk) war nur durch Übertragung aus dem Besitz des Sultans selbst zu bekommen. Wer Stiftungen für ein vakıf ausstatten wollte, durfte das nur mit Grund und Boden tun, der sich in Privatbesitz befand.68

      Errichtet wurde ein vakıf durch einen Rechtsvertrag, der ordnungsgemäß bei der Zivilverwaltung registriert werden musste. Die Urkunde benannte die Finanzmittel, mit denen die Stiftung errichtet wurde, und ihren spezifischen religiösen oder wohltätigen Zweck.69 Außerdem führte sie namentlich einen Verwalter und dessen Personal auf, welche die Stiftungstätigkeit überwachten. Jede Form von Geschäfts- und Wohnimmobilien – einschließlich Grundbesitz in der Stadt und auf dem Land – oder auch von beweglichem Eigentum konnte in ein vakıf überführt und dann vermietet werden, um Kapital für die Nutznießer zu erwirtschaften. Frauen und Männer, Gemeine und Adlige gründeten gleichermaßen Stiftungen. Ein städtischer Gebäudekomplex auf vakıf-Basis umfasste typischerweise eine Moschee, eine öffentliche Küche, einen Markt, eine Herberge, oft auch das Grab des Stifters, ein Bad und das Ordenshaus oder Kloster jener Derwischgruppe, die den Vertrag angebahnt hatte.70 Die han oder bedestan genannten Marktbauten beherbergten die Läden, aus denen die Einkünfte zur Finanzierung der übrigen öffentlichen Bauten stammten. Üblicherweise war das Marktgebäude eine gewölbte Halle, die auf beiden Seiten von Läden mit Kuppeldächern gesäumt war. Manche dieser Hallen waren zweigeschossig und fungierten zugleich als Herbergen (Karawansereien) für Händler und andere Reisende. So kam in ihm die architektonische und institutionelle Verflechtung von Gemeinschaftsleben, Handel und Reinlichkeit zum Ausdruck sowie die moralische Pflicht, seinen Reichtum für wohltätige Zwecke einzusetzen. Die Stadtverwaltung ernannte einen öffentlichen Aufseher, der die Interessen ziviler Behörden schützte.

      Zwar war