Das Osmanische Reich. Douglas Dozier Howard

Читать онлайн.
Название Das Osmanische Reich
Автор произведения Douglas Dozier Howard
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534747030



Скачать книгу

Adel identifizierten und von Mehmeds expansionistischer Außenpolitik profitierten. Bayezid dagegen pflegte Beziehungen mit denen, die durch Mehmeds Fiskalpolitik der letzten Jahre Schaden erlitten hatten.

      Diese Interessengruppen waren nicht wechselseitig exklusiv, und der Thronstreit stellte keine von beiden völlig zufrieden. Mal identifizierten sich die Ulema mit dem Palast (die Medrese als Institution existierte dank der Stiftungen des Sultans), mal wurden sie Opfer der Beschlagnahme privater Besitzungen und von vakıf-Gütern, und den Derwischgruppen erging es ebenso. Die Janitscharen bevorzugten die energische militärische Haltung des Sultanats, spürten aber die nachteiligen Folgen der Münzverschlechterungen. Als Bayezid dann über Cem triumphierte, machte er tatsächlich einige der umstrittensten fiskalischen Maßnahmen Mehmeds II. rückgängig. Er gab einen Teil des beschlagnahmten Stiftungsvermögens und Privatbesitzes zurück. Indem er der Münzverschlechterung ein Ende machte, stabilisierte er den Akçe. Dem lokalen türkischen Adel dürfte gefallen haben, dass Bayezid Timare an „wahrhaft gezeugte Söhne“ (sahih sulbi oglı) früherer Sipahis vergab – und nicht stillschweigend an Söhne aus dem Haushalt des Palastes.142 Dass Bayezid reichsweit die cizye, die angestammte Kopfsteuer für Nichtmuslime, einzog, gefiel wahrscheinlich jenen Muslimen, die deutliche Unterscheidungen zwischen den Gemeinschaften befürworteten.

      Bayezid setzte die expansionistischen Aktivitäten seines Vaters fort, wurde aber gestört, weil mehrere angrenzende Staaten in ihrem verzweifelten Bemühen, Druck auf die Osmanen auszuüben, Cem gegen ihn auszuspielen versuchten. Die Mamluken weigerten sich, Bayezid beim Herrschaftsantritt die übliche Ergebenheitsadresse zu senden, und hielten den Abgesandten des Bahmani-Sultanats auf dem Dekkan und seine osmanische Eskorte in Dschidda fest.143 Kairo war auch das erste Fluchtziel Cems, und dort lebte seine Familie weiterhin während seiner langen Leidenszeit. Bayezid holte alte Pläne Mehmeds für einen Feldzug gegen Ägypten aus der Schublade, aber der Krieg, der sich hauptsächlich in den benachbarten Ramazan- und Dulkadır-Sultanaten Kilikiens und des Taurus abspielte, brachte kein klares Ergebnis. Cem floh zu den Johanniterrittern auf Rhodos und endete schließlich als Geisel des Papstes unter Arrest im Vatikan.144 Im Februar 1495 kamen Bayezids Agenten in Rom an Cem heran und vergifteten ihn.145

      Die Ardabil-Sufis und die osmanische Autorität

      Wie Aşıkpaşazade vermerkte, nahmen gegen Ende des Jahrhunderts die noch verbliebenen Anti-Establishment-Impulse in einer neuen religiösen Bewegung theologische und politische Gestalt an. Diese sogenannte Kızılbaş stand in enger Verbindung mit der Sufi-Tekke in Ardabil im Kaukasus.

      Die Sache hatte eine lange Vorgeschichte. Die Ausprägungen der Frömmigkeit im Kaukasus, am oberen Tigris und am Euphrat waren in der nachmongolischen islamischen Welt schon immer misstrauisch beäugt worden. Diese Hochebene war in den 1240er-Jahren von der Baba’i-Rebellion erschüttert worden. Im Jahr 1323 bezeichnete der mamlukische Statthalter Syriens die Länder „jenseits des Euphrat“ abfällig als Gebiete voller Unglauben, Heuchelei und Ketzerei.146 Noch anderthalb Jahrhunderte später sprach ein persischer Historiker von „den Narren aus Rum, die eine Ansammlung des Irrtums und ein Heer teuflischer Phantasie sind“.147 Die kumulative Wirkung von Migration, Kriegen und kulturellen Moden macht die religiöse Stratigraphie dieses geographischen Raums oft undurchschaubar.148 Wanderasketen waren in diesem Gebiet ein Dauerphänomen, faszinierend und abstoßend zugleich, und offensichtlich gefiel ihnen die Ironie ihrer eigenen sonderbaren Beliebtheit.149 Manche scheuten ein allzu auffälliges Äußeres, andere hingegen legten eine freche Gleichgültigkeit hinsichtlich der Wirkung ihrer äußeren Erscheinung an den Tag und schienen sich über die Verurteilung ihres offenkundig antisozialen Verhaltens regelrecht zu freuen.150 Sie trugen Schaffelle oder andere markante Kleidungsstücke oder rasierten sich die Köpfe, und sie hatten Wahrzeichen und Musikinstrumente dabei – Kastagnetten, Hörner, Pferdeschweife, Beutel. Aufgebrachte Kritiker verfassten flammende Schmähschriften, die sie als Scharlatane oder Verrückte denunzierten, und hatten kaum mehr als Verachtung übrig für ein unwissendes, naives Publikum, das sich allzu leicht hinters Licht führen ließ.151

      Eine weitere Welle folgte auf den Heiligen Fazlullah von Astarabad, der gegen 1400 in einer Höhle nördlich von Täbris lebte. Da er die gesamte Schöpfung als Manifestation der Namen Gottes ernst nahm, verstand er die Menschheit als eine ständig sich entfaltende Offenbarung. Er entwickelte eine esoterische Zahlendeutung, die nach den Buchstaben des heiligen Textes als „Hurufismus“ bekannt ist (hurūf ist der arabische Plural von harf, „Buchstabe“); diese Zeichen seien auch überall auf den menschlichen Körper geschrieben. Timur ließ ihn hinrichten, aber Fazlullahs spirituelle Erkenntnisse sickerten in den Boden ein und tauchten anderswo, bei den Bektaşis und vielen anderen Gruppen, wieder auf. Offensichtlich lauschte Sultan Mehmed II. einmal im Jahr 1444 in Edirne gebannt einer Hurufi-Predigt. Die Ulema waren nicht beeindruckt und ließen den Prediger auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Der Dichter Nesimi, ein enger Freund Fazlullahs, wurde in Aleppo bei lebendigem Leibe gehäutet, eine grausig passende Vergeltung. Derartiges Leid wurde von denen, die es erduldeten, als Theodizee erlebt.

      Die Kızılbaş

      Es wirkt unerhört, dass selbst in dieser libertären spirituellen Landschaft die Kızılbaş-Bewegung solche Beben auslösen konnte. Die Kızılbaş bekannten sich zum Konzept des Imamats, des spirituellen Königtums Alis und seiner Nachfahren. Da Ali Fatima, die Tochter des Propheten Mohammed, geheiratet hatte, waren ihre Söhne Hasan und Hussein die Enkel des Propheten. Den Glauben an das Imamat und die-Verehrung der Linie Alis, die über Hasan, Hussein und die späteren Imame lief, teilten sie mit der Hauptrichtung der Schia und mit anderen osmanischen Gruppen, namentlich den Bektaşis. Was genau die Bektaşis lehrten und wie sie beteten, war ein Geheimnis und daher einigermaßen unklar. Recht bekannt war ihre Ali-Verehrung, doch davon abgesehen hoben sie sich durch das eklektische Ritual und die Mythologie der Bektaşis ab – beispielsweise ihre Geringschätzung des Gottesdienstes in der Moschee, ihre Praxis eines gemeinsamen eucharistischen Mahls und Vorstellungen wie die Seelenwanderung. Aber die Janitscharen waren glühende Bektaşi-Anhänger, und sie waren die treuesten aller osmanischen Truppen. Daher war der Bektaşismus keinesfalls eine exotische Randerscheinung im Osmanischen Reich. Und dennoch galten die Kızılbaş als etwas völlig anderes.

      Die Intensität ihrer Frömmigkeit und ihre ekstatische Spiritualität machten die Kızılbaş unergründlich, aber auch bedrohlich. Sie machten ein Geheimnis um ihren Glauben und dessen Vollzug, ein Umstand, der dadurch verkompliziert wurde, dass sie sich angeblich bewusst verstellten (takiyye), wenn man sie befragte. Fasten, Gebete und andere öffentliche Glaubensbekundungen verschmähten sie. Es hieß, sie verfluchten die vier rechtgeleiteten Kalifen. Man verdächtigte sie des „Inkarnationalismus“, der Überzeugung, Gott könne gewöhnliche weltliche Gestalt annehmen. Die Behauptung, man könne das Göttliche plötzlich in einer beliebigen Person, einem beliebigen Ort oder Umstand als real wahrnehmen, konnten sehr viele osmanische Mystiker aus eigener Erfahrung bestätigen. Doch zu glauben, das Göttliche verkörpere sich selbst auf besondere Weise in den charismatischen Scheichs aus dem Safawidenorden in Ardabil, war etwas völlig anderes. Es stellte die religiösen und spirituellen Grundfesten der osmanischen Macht in Frage.

      Der Safawiden-Orden

      Die Frühgeschichte des Ordens, der mit der Tekke von Scheich Safiüddin in Ardabil verbunden war – daher die Bezeichnung „Safawiden“ – scheint unspektakulär verlaufen zu sein. Doch gegen 1450 kam es zu einem ominösen Schisma, als der damalige Meister des Ordens mit Unterstützung des Sultans der Karakoyunlu-Turkmenen seinen Neffen und Rivalen Scheich Cüneyd verbannte. Cüneyd trat daraufhin an den Osmanensultan Murad II. heran. Glaubt man der Geschichte in Aşıkpaşazades Taten und Daten, bot er ihm drei Totems an – einen Gebetsteppich, einen Koran und eine Gebetskette. Das war keine bloße Bitte um Asyl, es war eine Aufforderung, Cüneyds Schüler zu werden. Unheilvoll erklärte der Wesir Halil Pascha Çandarlı: „Auf einem Thron können keine zwei Könige sitzen.“ Murad zog es vor, die Äußerung nicht übelzunehmen, und schickte Cüneyd 200 Goldflorine und 1000 Silberakçes zur Verteilung an seine Derwische. Sein Ersuchen um einen sicheren Zufluchtsort lehnte