Tödliche Mutterliebe. Kirsten Sawatzki

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Название Tödliche Mutterliebe
Автор произведения Kirsten Sawatzki
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783939434269



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herrenlose Katze, ein kleiner Igel oder ein aus dem Nest gefallenes Vogelbaby sein. Regina Braun hatte ein großes Herz für Bedürftige, sie engagierte sich für die Armen und kochte jeden Donnerstag in der Mannheimer Armenküche für Obdachlose. Hin und wieder schliefen auch mal für ein paar Tage irgendwelche Kinder bei ihnen. Meistens nur für zwei oder drei Wochen, bis das Jugendamt eine Pflegefamilie für diese Kinder fand. Laura machte sich zuerst gar nicht die Mühe, sich an den Jungen zu gewöhnen, da er sowieso nicht lange bleiben würde. Nur dass dieses Mal ihr Besuch über ein Jahr blieb, bis er einen Tag nach dem Geburtstag ihrer Mutter zurück zu seiner leiblichen Mutter gebracht wurde. Für Laura war das nicht weiter schlimm. Es würde sicherlich nicht lange dauern, bis das nächste Kind bei ihnen untergebracht werden würde. Schließlich waren ihre Eltern beim Jugendamt als Kurzzeitpflegeeltern registriert. Aber ihre Mutter hatte sich so an den Jungen gewöhnt, dass sie sehr unter der Trennung gelitten und deshalb nie wieder ein Kind aufgenommen hatte. Laura erinnerte sich daran, dass sie öfter mal von der Schule nach Hause gekommen war und ihre Mutter weinend am Küchentisch fand. Laura war zu dieser Zeit in der Pubertät gewesen und hatte ihre Mutter ohnehin merkwürdig gefunden. Dass sie einem Kind nachtrauerte, welches nicht ihr eigenes war, hatte sie einfach nicht verstanden. Ganz im Gegenteil. Die Trauer ihrer Mutter hatte in Laura immer ein Gefühl von Eifersucht und Wut ausgelöst. Als Jugendliche hatte sie sich oft gefragt, ob ihre Mutter auch so getrauert hätte, wenn sie von zu Hause weggelaufen wäre.

      Gestern Abend hatte sie dann ihre Mutter so lange in die Arme genommen und getröstet, bis diese sich einigermaßen wieder beruhigt hatte. Laura war erst gegangen, als ihre Mutter ihr versichert hatte, sie könnte bedenkenlos gehen. Um kurz nach zwei war Laura todmüde ins Bett gefallen. Folglich sah sie nun alles andere als frisch aus.

      „Wo ist sie?“, fragte sie, während sie die Überzieher über ihre Schuhe streifte. Ackermann nahm einen tiefen Atemzug. „Die Treppe hoch, dann rechts.“

      Zögernd und mit pochendem Herzen trat Laura über die Türschwelle. Es war ihr klar, dass sie mit dem Schlimmsten rechnen musste. Ackermann hatte gesagt, dass sie es wieder mit dem Mörder zu tun hatten, der die Frauenleiche in der Hildebrandschen Mühle präsentiert hatte. Wenn sie daran dachte, was er mit dem ersten Opfer alles angestellt hatte, war ihr klar, dass er auch dieses Mal nicht einfach nur getötet hatte.

      Auf den ersten Blick wirkte die Wohnung ganz normal. Als Laura sie betrat, sah sie nichts, was auf ein Verbrechen hindeutete. Nichts, dessen Anblick sie erschreckte. Sie stand in einem langen Flur mit Türen zu beiden Seiten. An einer Wand hing ein langer schwarzer Ledermantel an einer Garderobe. Daneben befand sich ein deckenhoher Spiegel. Auf der anderen Seite stand eine Kommode mit einem großen Kerzenständer, an dem alle Kerzen heruntergebrannt waren. Das Wachs hatte eine erkaltete Pfütze auf dem Läufer hinterlassen. Durch die geöffnete Tür auf der linken Seite blickte sie in einen in Rot und Schwarz gehaltenen Raum. Sie blieb kurz stehen. Mitten in dem abgedunkelten Zimmer erkannte sie einen schwarzen Stuhl, der sie an den bei ihrem Gynäkologen erinnerte. Auch hier war alles in Ordnung, kein Blut, keine Leiche. Sie ging weiter den Flur entlang und kam an einer kleinen modernen Küche vorbei, die offensichtlich nicht benutzt worden war. Nichts wies darauf hin, dass hier jemand gekocht hatte. „Wenn meine Küche auch mal so ordentlich aussehen würde!“, dachte sie. Aus einem anderen Zimmer hörte sie Stimmen. Sie ging darauf zu.

      Als sie den Raum betrat, stockte ihr der Atem. Ihr Herz machte einen Aussetzer und ihr Puls raste. Als sie den Flur der Wohnung betreten hatte, hatte sie sich vorgenommen, mit allem zu rechnen. Sie wusste, dass das, was sie zu sehen bekäme, schockierend sein würde, und sie wusste, dass etwas Schreckliches mit dem Opfer passiert sein musste. Sie hatte es in den Augen von Ackermann gesehen.

      Aber was ihr Blick einfing, übertraf alle ihre Befürchtungen.

      Der Raum, in dem sie sich nun befand, hatte ebenfalls eine schwarz lackierte Decke sowie einen schwarzglänzenden Boden. Die Wände waren dunkelrot gestrichen und mit Ketten und Kerzenhaltern dekoriert. Gleich am Eingang stand ein Metallbett mit einer schwarzen Latexmatratze, an dessen Pfosten Ketten mit Handschellen baumelten. Die Einrichtung war es nicht, die Laura so schockierte, es war die Frau an dem Andreaskreuz, auf die sie starrte. Sie war nackt. Ihr Kopf ruhte auf ihrer blutüberströmten Brust. Die langen, blutverklebten blonden Haare hingen über ihrem Gesicht, sodass Laura es nicht erkennen konnte. Sie sah ihre blasse Haut und im schrillen Kontrast dazu das rote Blut, das über ihren Körper geflossen war. Sie sah aus, als hätte jemand einen Eimer roter Wandfarbe über ihr Dekolleté geschüttet. Laura vermutete, dass man auch ihr die Kehle durchgeschnitten hatte. Sie spürte ihren eigenen Pulsschlag, wie ihr eigenes Blut durch ihre Halsschlagader floss.

      „Grundgütiger! So viel Blut!“ Sie überlegte, über wie viel Liter Blut so ein schlanker Frauenkörper verfügt, denn zu ihren Füßen hatte sich ein riesiger See aus Blut gebildet, dessen Ränder bereits angetrocknet waren. Daneben entdeckte sie einen Fußabdruck. Sie vermutete einen Männerschuh, vielleicht Größe 43 oder 44. Langsam, fast zögernd ging sie näher heran und achtete darauf, nicht auf den Schuhabdruck oder gar in das Blut zu treten. Ihr Blick wanderte zu den Armen. Sie sah ein wildes Muster aus verschieden dicken, roten Striemen. Einige davon hatten die Haut so tief aufgerissen, dass sie geblutet hatten. Ihr Blick wanderte zu den Handgelenken, wo grobe Stricke tiefe Wunden in ihre Haut geschnitten hatten. Dann sah sie auf die blutigen Hände. Sie rang nach Luft, zwang sich aber, die ebenfalls gefesselten Füße der Frau anzusehen.

      Die Frau vor ihr war mit großen Zimmermannsnägeln an das Kreuz genagelt worden. Auf ihrem rechten Oberschenkel, der wie der linke auch mit Striemen übersät war, sah sie, dass der Mörder auch ihr die Zahl Dreizehn eingeritzt hatte. Die Zahlen waren tief in ihr Fleisch eingeschnitten und hatten blutverkrustete Wundränder, die das Schneidewerkzeug hinterlassen hatte. „Mein Gott, welches Monster hat dir das angetan?“, entfuhr es ihr. Hinter ihr räusperte sich Ackermann: „Der Typ, der sie gefunden hat, behauptet, sie sei nicht die Mieterin.“

      Als sie sich zu ihm umdrehen wollte, merkte sie, wie sich ihre Kopfschmerzen verstärkten, sie wandte deshalb langsam den Kopf und sah ihn verwundert an.

      „Wer hat sie gefunden?“

      „Der Vermieter. Er hat mir erklärt, dass dies eine sogenannte Black Flat ist, die man online mieten kann. Er sagte, eine gewisse Anna Koch hätte die Wohnung für ein Wochenende gebucht. Stell dir vor“, er hob die Augenbrauen, „die haben sogar eine eigene Internetseite mit Onlinekalender und so. Hier können Leute ihren sogenannten Fetisch ausleben und so richtig die Sau rauslassen. Wenn du mich fragst, haben die doch alle einen an der Waffel. Schau dir mal die anderen Zimmer an. Hier gibt es sogar einen Käfig und eine Streckbank. Und die Minibar enthält selbstverständlich nicht nur Erdnüsse und Whisky. Man kann die Bude stunden- oder tageweise mieten. Wenn man das Super-Spezial-Wochenende bucht, bekommt man sogar den Kühlschrank vollgemacht. Wenn diese Leute keine Lust mehr auf ihre abartigen Spiele haben“, er hob die Hände und deutete mit seinen Zeige- und Ringfingern Gänsefüßchen an, „können sie sich im angrenzenden Spießer-Wohnzimmer auf die Couch hauen, fernsehen und sich ´ne Pizza bringen lassen. Oder gar im Whirlpool entspannen. Die Wohnung ist ein echter Renner. Um neun Uhr erwartet der Vermieter die nächsten Gäste. Deshalb kam er auch heute Morgen um kurz vor sechs, um die Bude zu reinigen. Er ist fast aus den Latschen gekippt, als er das Opfer gefunden hat.“

      „Wo ist er jetzt?“

      „Er bewohnt die Dachwohnung. Ich habe ihm gesagt, dass er sich bereithalten soll. Er wollte versuchen, das Pärchen zu erreichen und ihnen mitteilen, dass das wohl nichts wird mit der Wohnung. Ich habe mir von ihm die Adresse von Anna Koch geben lassen und die Zentrale hat eine Streife zu ihrer Wohnung geschickt. Ich bin gespannt, ob sie die Dame antreffen und was diese zu berichten hat.“ Laura massierte sich die schmerzenden Schläfen. Sie wünschte, sie hätte ein Aspirin genommen. Jetzt erst nahm sie die vielen Kollegen in ihren Tyvek-Anzügen bei der Tatortarbeit richtig wahr. Die ganze Zeit hatte sie sich nur auf das Opfer konzentriert, hatte versucht, jedes Detail zu registrieren.

      „Wie weit sind die Jungs von der Spurensicherung?“

      „Soweit ich weiß, warten die noch auf die Rechtsmedizin.

      Dr. Salonis sollte gleich eintreffen, ich habe sie direkt nach dir angerufen.“