Название | Im Keller ist es dunkel |
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Автор произведения | Ursula Baur |
Жанр | Современная зарубежная литература |
Серия | |
Издательство | Современная зарубежная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783884102015 |
Da liegt nun 'mein Safran' so gut wie versteckt, unbehelligt vom täglichen Küchengeschehen.
Eines Tages werde ich seine phantastische Wirkung ausprobieren!
Ich bin mir sicher, daß er für mich nie seinen Zauber verlieren wird, auch wenn der durch ihn verwandelte Kuchen ein bißchen sonderbar schmecken und nicht so gelb wie versprochen ausschauen sollte.
Es gibt gar nicht so viele Dinge, die ihren Zauber nie verlieren können. Eins davon ist der Safran, das steht für mich fest.
Was hab ich da eben gehört? Das ist doch die Stimme von der Corinna. Das Nachbarstöchterchen!
Was hat sie gesagt? Und zu wem? Zu mir?
Ihre helle Stimme hat mich mitten aus meinen Safran-Reminiszenzen herausgerissen – ich schaffe es tatsächlich, kann mir den Satz aus meinem Gedächtnis hervorholen, spiele ihn mir vor:
„Der Specht ist lieb, der frißt Borkenkäfer.“
Der Specht! Kennt die Corinna einen Specht? Und wieso soll der lieb sein: „der frißt Borkenkäfer.“ Was versteht das kleine Mädchen von Borkenkäfern? Hat sie schon einmal welche gesehen? In unserem S-Bahn-Dorf gibt es Geschäfte, Restaurants, Kinderspielplätze, jedoch wenig Bäume, und schon gar keine alten – wo sollen da Borkenkäfer sein? und Spechte?
Und wieso nennt sie den Specht „lieb“, wenn er Borkenkäfer frißt? Lieb sind für kleine Kinder ihre Schmusetiere, weich und schutzbedürftig wie sie selbst, bös die Tiere, vor denen sie Angst haben oder glauben, Angst haben zu müssen, und wenn es Holzkrokodile wären. Machen Borkenkäfer kleinen Kindern Angst?
Irritiert schaue ich in die Richtung, aus der dieser Satz gekommen war. Da blicken mich fest, stolz und ziemlich überheblich Corinnas Augen an. Sie ist sich der Wirkung ihrer Worte sichtlich bewußt – ich hab wohl recht dumm und verständnislos ausgesehen in den langen Sekunden, die ich gebraucht habe, um ihren Satz, in dem Borkenkäfer gefressen und Spechte dafür gelobt werden, zu verstehen, an diesem Sommernachmittag mit seinen bunten Farben und hellen Kinderstimmen, dem Geruch von Sonne, Wasser, Sand und – nicht zu vergessen! – Safran, der für mich immer den Glanz des Fremdartigen und Geheimnisvollen behalten wird.
Wieviel ist da durch einen einzigen verblüffenden Satz festgehalten worden, unauslöschlich fixiert, dem Vergessen entrissen. Natürlich wüßte ich noch ungefähr, wie es damals war, das Leben mit den Kindern, als sie noch klein waren, die Intensität, mit der die Jahreszeiten miterlebt werden können, die große weite Welt, die man wiederentdecken kann mit kleinen Kindern. Aber diese Sommernachmittags-Erinnerung mit ihren Rückblenden und allen Gerüchen, Farben und Geräuschen, und mit der – von einer Station zur anderen weitergereichten – immer gleichen Begeisterung, diese Erinnerung ist mitsamt und gerade mit Hilfe meiner Irritation über den Satz vom „lieben Specht“ festgehalten, für lange Zeit, vielleicht mein Leben lang.
Der erste Christbaum
Ich war ungefähr vier Jahre alt, als ich das erste einer Reihe von Weihnachtsfesten erlebte, an das ich mich heute noch erinnern kann. Besser gesagt: es ist der Christbaum, der mir unauslöschlich im Gedächtnis geblieben ist – vom Heiligen Abend hab ich nur so ein undeutliches Singen im Ohr, das aber durchaus von einem späteren Weihnachten herübergerutscht sein kann. Aber der Baum, der steht noch genau wie damals vor mir in seiner ganzen geheimnisvollen Pracht.
Er leuchtet nicht im Schein von Kerzen, wie das gewöhnlich die erinnerten Christbäume tun, sondern er steht in der Morgendämmerung, vom Engelshaar eingehüllt, und das Lametta glänzt verhalten darunter hervor. Undeutlich sind – in verschiedenen Grautönen, wie schwebend – Kugeln zu erkennen die schon schwach die Farben mitklingen lassen, die im Tageslicht und noch mehr im Kerzenlicht am Abend ihr volles Spektrum zeigen würden.
Besonders intensiv ist sein Duft – und ich glaube, davon bin ich aufgewacht. Jedenfalls spüre ich noch deutlich in mir das Gefühl, daß nahe bei mir irgend etwas Geheimnisvolles sein muß, das diesen einzigartigen Duft verströmt. Was kann das sein? Vorsichtig mache ich die Augen auf, da steht der Christbaum dicht vor mir. Er schaut fremd aus und doch so, als wäre er schon immer dagewesen.
Eigentümlich fern stand er da, wie in eine Wolke gehüllt, und doch zum Greifen nah.
Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich nicht doch träumte – aber da fiel ein Kissen herunter. Ich hatte mich anscheinend bewegt, und jetzt merkte ich, daß ich auf zwei Stühlen lag, die zusammengerückt worden waren. Verwandte waren ja zu Besuch, und ich durfte im Wohnzimmer schlafen, beim Christbaum.
Mir fällt wieder ein, wie ich am Abend die Vorstellung hatte, es sei gar nicht möglich, einzuschlafen mit dem Christbaum im Zimmer, der unaufhörlich duftete und auch in der Dunkelheit umrißhaft zu erkennen war. Hier und da hatte ich sogar ein Glitzern gesehen, als ob der Baum lebendig wäre und sich bewegte.
Ich war dann doch eingeschlafen, und jetzt war es noch sehr früh.
Ich schaute die ganze Zeit zum Christbaum, so etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen. Meine Cousine, ein paar Jahre älter als ich, hatte gesagt, jedes Jahr zu Weihnachten werde so ein Baum geschmückt und später ‘abgeräumt’. ‘Abgeräumt'! Das klang so gräßlich! Ich konnte mich an keinen anderen geschmückten oder abgeräumten Baum erinnern. Das ärgerte mich.
Ich dachte an zurückliegende Ereignisse – vielleicht käme der Christbaum vom vorigen Jahr zum Vorschein, wenn ich nur lange genug in meinem Gedächtnis nachforschte? Aber ich kam nicht einmal ganz bis zum Sommer, und auch das nur lückenhaft.
Ab diesem gescheiterten Versuch, mich zu erinnern – unter dem Christbaum, der meine erste Weihnachtserinnerung ist, datiert meine manieristische Phase der Erinnerungen
Ich nenne so die Jahre, in denen ich bei Geschehnissen oder Eindrücken, die ich bemerkenswert fand, immer den Impuls in mir spürte: „Das will ich mir gut merken, daran will ich mich unbedingt erinnern!“ – und dazu den Zweifel, ob mir das auch gelingen würde.
Vieles behielt ich tatsächlich im Gedächtnis, wie ich es mir gewünscht und vorgenommen hatte.
Als ich zehn Jahre war, durfte ich mit meinen Eltern nach Italien fahren. In der Abenddämmerung kamen wir in C. an – gerade war ein Gewitter abgezogen.
Das Wetterleuchten, das wir – in der angenehm kühlen Abendluft vor dem Panorama des Gebirges stehend – bewundern konnten, fand ich einfach großartig. Immer wieder wurden durch die fernen Blitz-Lichter die Silhouetten der Berge hervorgehoben, um gleich darauf von dem immer dunkleren Abend wieder verschluckt zu werden.
Die Erinnerung ist tatsächlich immer noch da – zugleich aber auch etwas anderes. Ich fühle heute noch, wenn ich an diese Fahrt zurückdenke, wie mein Herz klopft, überwältigt von der Schönheit dieser fast traumartigen Szenerie, und wie ich mir dabei atemlos und unhörbar befehle: „Du mußt dir das alles ganz genau merken, hörst du?“- und dazu spüre ich noch immer meinen Zweifel, ob es mir auch gelingen würde.
Die Formen der Berge, die Farben des Himmels, das entfernte Leuchten der Blitze, auch das Rauschen der Bäume nahe an dem Vorsprung, auf dem ich mit meinen Eltern stand, und – nicht zu vergessen – die Sterne, die in den Wetterleuchtpausen oben am Himmel sich zeigten – in meiner Erinnerung ist beides gleich scharf erhalten, die Schönheit dieses Abends und mein Ehrgeiz, nichts davon zu vergessen.
Diese Erinnerungs-Sucht störte mich mit der Zeit immer mehr – und irgendwann hatte ich sie überwunden.
Mit der Zeit wurde mir auch klar, daß die Auswahlprinzipien des Gedächtnisses nicht so leicht erkennbar sind. Manches, an das ich mich erinnerte, fand ich kindisch, oder sogar peinlich. Ich hätte es nicht in meine ‘Sammlung’ aufgenommen, aber es hing eben nicht nur von mir ab. Entscheidend waren oft Kleinigkeiten, irgend etwas Verblüffendes, Lächerliches oder auch eine Boshaftigkeit.
Ein unvergeßlicher Fall
Am