Mörderjagd in Mecklenbeck. Gernot Beger

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Название Mörderjagd in Mecklenbeck
Автор произведения Gernot Beger
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783956837470



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Florian Silbereisen Unterwäsche auf die Bühne werfen.

      Neben dem Heizkörper auf dem Boden liegend, konzentrierten wir uns auf den Austausch unserer Erlebnisse. Jumper und Einstein erzählte ich von Anna, die Gernots Mutter pflegte und sich so viel Zeit für den Gassigang mit mir genommen hatte. Zeit ist für einen Hund die wertvollste Währung. Anna schien eine reiche Frau zu sein. Zudem war sie die Besitzerin eines unerschöpflichen Leckerlivorrats.

      In Jumpers Kopf kullerte der Rotwein, als er mit offenen Augen träumte: »Mein Peter kann Gernot doch auf der nächsten Fahrt nach Düsseldorf begleiten, dann kommen wir alle zu Anna und fressen uns die Bäuche voll.«

      »Lasst zuerst die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen, Markus 7,27«, erwiderte der stocknüchterne Einstein ernst.

      »Nein, nein«, entgegnete ich mit entspannter Miene. »Anna hat keine Kinder, wir bräuchten mit niemandem zu teilen.«

      Einen Moment malten wir uns in unserer Fantasie eine nimmer endende Fressorgie aus, bis mir wieder dieser seltsame Glaskasten in ihrer Wohnung einfiel. Ich erzählte meinen beiden Freunden davon und fragte:

      »Habt ihr eine Ahnung, wozu so etwas gut sein kann?«

      »Soso«, überlegte Einstein laut, legte seine Stirn in Falten und kaute intensiv auf seinem Golfball, was bei ihm immer ein Zeichen für angespanntes Nachdenken war. »Ein Glaskasten wie ein Aquarium, aber ohne Wasser und Fische.«

      »Ja«, bestätigte ich, »nur mit Luft gefüllt. Ob etwas auf dem Boden lag, konnte ich allerdings nicht erkennen. Der Kasten stand einfach zu hoch.«

      Jumper, noch im Fressmodus gefangen, meinte: »Vielleicht eine große Vorratskiste aus Glas, damit man immer sieht, wie viele Leckerlis noch da sind.«

      Einstein sah den gerade aus der Pubertät entwachsenen Jumper mit Nachsicht an und sagte: »In Sprüche 10,3 heißt es: ‚Jahwe lässt keinen verhungern, der gottgefällig lebt, doch die Gier der Gottlosen stößt er zurück

      GERNOT KAUFT EINEN RING

      IM INTERNET

      Ich kann ja zumindest mal schauen, was da im Internet so angeboten wird‘, ging es meinem Leinenhalter durch den Kopf. Gernot hatte am folgenden Nachmittag während des Rasenschneidens einen Entschluss gefasst. Ihm war klar, dass der Gedanke, seiner Mutter einen ähnlichen Ring zu schenken wie den, der verloren gegangen war, seinen Reiz hatte. ‚Wenn der Preis stimmt, wäre das wirklich ein feines Geschenk zu ihrem Geburtstag in der kommenden Woche. Und wenn der Ring dem verloren gegangenen ähnelt, könnte er so tun, als ob das Originalschmuckstück wieder aufgefunden wäre. Eine leichte Demenz kann auch ihre Vorteile haben‘, dachte er sich. Zufrieden betrachtete er nach getaner Arbeit den kurz geschnittenen Rasen, auf dem sich deutlicher als zuvor meine tellergroßen Pinkelstellen abzeichneten. Er räumte die Gartengeräte in die Garage und ging ins Haus, um sich mit einem Kaffee und seinen Lieblingsschokoladenkeksen zu belohnen. Mit dem Kaffeebecher in der Hand setzte er sich vor den PC und tippte in die Google-Suchzeile ‚Schmuck aus zweiter Hand‘ ein. Die Übersicht zeigte Angebote von ihm namentlich bekannten ortsansässigen Juwelieren sowie von Privatpersonen auf den einschlägigen Marktplätzen wie Ebay und Co. Letztere wählte er aus und machte unter der Kategorie Diamantringe ein Häkchen. Er war erstaunt über das reichhaltige und preisgünstige Angebot. Ab zweihundertneunundzwanzig Euro ging es los. ‚Da könnte ich Jule zu ihrem Geburtstag glatt auch einen Ring schenken‘, ging es ihm durch den Kopf. Jetzt musste nur noch ein Exemplar gefunden werden, das dem von Christine möglichst ähnlich war. Nur wenige Klicks weiter hatte er gefunden, was er suchte. Ein Sofort-Kauf Angebot für einen zeitlosen Goldring mit einem Diamanten in der Fassung. Aussehen und Größe kamen dem Original in seiner Erinnerung sehr nahe. Der Preis von fünfhundertneunundneunzig Euro war tragbar, die Zusendung sogar kostenlos. Zur Sicherheit sah er sich noch andere Angebote auf anderen Plattformen an. Aber er fand nichts Besseres. Zwischenzeitlich war sein Kaffee kalt geworden. Bei seiner konzentrierten Suche hatte er ihn vergessen. Kurz entschlossen klickte er zu der ursprünglichen Ebay-Seite zurück, betätigte bei dem Angebot, welches ihm zusagte, den Button ‚In den Warenkorb‘ und zahlte fünfhundertneunundneunzig Euro per Pay Pal. Frohgemut lehnte er sich sodann in seinem Schreibtischstuhl zurück. Jetzt war er überzeugt, dass die Idee von Klaus an dem Kochabend ein guter Vorschlag war. »Mäuschen, da haben wir für die Oma ein feines Geburtstagsgeschenk gefunden«, kommentierte er seinen Fund sichtlich zufrieden. Der Ring, so stand es im Angebot des Verkäufers, müsste in vier Tagen bei ihm sein.

      Schneller als erwartet sollte ich wieder mit Anna aus dem Altenheim einen Spaziergang machen dürfen. Diesmal wäre Einstein sogar mit dabei. Gernot hatte Anna nach dem erfolgreichen Internet-Schmuckeinkauf angerufen und gefragt, ob sie am Nachmittag des folgenden Tages Zeit hätte und ob sie sich zutrauen würde, nicht nur einen, sondern zwei Hunde auszuführen. »Einstein ist sogar noch besser erzogen als Chaka und sehr pflegeleicht«, fügte er vorsichtshalber hinzu. Einstein und ich waren in Hörweite des Telefons, schauten uns gegenseitig verständnislos an und überlegten, wer von uns mehr Grund hatte, beleidigt zu sein. Vorsichtshalber schüttelten wir uns beide. Diese typisch hündische Geste wird von Menschen auf der ganzen Welt fehlinterpretiert. Wenn ein Hund in unangenehmer Weise von jemandem berührt, erschreckt oder bedroht wird, oder er einen Diskurs mit einem Artgenossen hat, kann man beobachten, dass sich der Vierbeiner kräftig von Kopf bis Schwanz schüttelt. Der Hund wirft dadurch die aufgekommene Missstimmung, Verunsicherung oder Angst ab. Der Zweibeiner begrenzt diesen animalischen Trieb zumeist auf ein Kopfschütteln oder Schulterzucken. Ob Einstein eher Grund hatte, pikiert zu sein, oder ich, ist letztlich unklar. Wir schüttelten uns – wie schon gesagt – beide. Umso klarer zeigte sich einmal mehr, dass Einstein der Klügere von uns beiden war, denn er meinte mit nachsichtiger Stimme:

      »Das sagt er nur aus taktischen Gründen, damit er uns beide los wird,« was auch funktionierte. Anna sah keine Probleme und willigte gerne ein.

      Am nächsten Tag um die Mittagszeit standen wir zu dritt vor Annas Haustür. Einstein und ich in Erwartung eines erneuten Leckerliregens während unseres Spaziergangs und Gernot mit der Aussicht auf einen hundefreien Nachmittag, den er mit Freunden in einer Kunstausstellung in Duisburg verbringen wollte. Anna erschien nach dem Klingeln in vollem Wanderdress und roch nach Apfelsine und Tee.

      »Prinzesschen und Prinz«, rief sie erfreut aus, als sie uns sah. »Da seid ihr ja. Wir machen uns einen gütlichen Nachmittag.«

      »Gemütlich«, korrigierte Gernot. »Sie meinen bestimmt einen gemütlichen Nachmittag«, ergänzte er.

      »Ja, natürlich einen gemütlichen Nachmittag«, wiederholte Anna verlegen und betonte mit ihrem polnischen Akzent die erste Silbe des ausgetauschten Wortes. Gernot übergab Anna die Hundeleinen, zwei Liegedecken sowie eine Korbtasche mit Quietschtieren für mich und einem zerkauten Tennisball für Einstein und verabschiedete sich. Anna steuerte diesmal nicht den naheliegenden Sportpark an, den sie mit mir bereits besucht hatte, sondern ging in das uns bestens bekannte, deutlich weiter entfernte Freizeitgebiet des Aaseeparks, der vor über hundert Jahren nach einer Idee des Allwetterzoogründers, Professor Hermann Landois, errichtet wurde.

      »Bei der langen Strecke brauchen wir aber viel Proviant«, sagte ich zu Einstein und versuchte mit meinem Blick auf Annas ausgebeulte Jackentasche den Umfang der Wegzehrung abzuschätzen. Wir zogen los und die langgezogene Sentruper Höhe mit dem kombinierten Fahrrad- und Fußgängerweg schien tatsächlich kein Ende zu nehmen. Mit Herrchens Auto ging das viel schneller.

      Das bevorzugte Leben eines durchschnittlichen Stadthundes besteht aus wenigen wichtigen und einer Vielzahl von angenehmen kleinen Dingen. Manchmal fällt mir die Zuordnung nicht leicht. Ein Futternapf und ein Zweibeiner, der ihn regelmäßig füllt, gehören gewiss zur ersten Kategorie. Regelmäßige Gassigänge mit Gelegenheiten, die kleinen und großen Geschäfte zu erledigen, auch. Eine kuschelige Liegedecke, die einen Regen und Sturm vergessen lässt, würde ich ungerne zu den kleinen Dingen zählen. Selbst bei den Leckerlis,