Mörderjagd in Mecklenbeck. Gernot Beger

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Название Mörderjagd in Mecklenbeck
Автор произведения Gernot Beger
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783956837470



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nicht. ‚Moja księżniczka‘ zum Beispiel. Bei dem zärtlichen Klang in ihrer Stimme dürfte es wohl nichts Schlimmes gewesen sein. Die fortlaufende Wegzehrung ließ mich meine vierbeinigen Freunde Jumper und Einstein vergessen, die mich ansonsten oftmals begleiteten. Jumper mit Herrchen Peter wochentags am Aasee und Einstein mit Frauchen Jule, mit der mein Leinenhalter liiert war, am Wochenende. Wenn ich den beiden Artgenossen von diesem Spaziergang mit Anna erzählen würde, dann bekämen die vor Neid Haarausfall.

      Irgendwann war Annas Jackentasche leer und mein Magen voll. Zudem wurde ich träge und sehnte mich nach einem Nickerchen. Da traf es sich ganz gut, dass der Rundgang beendet war und wir zum Ausgangspunkt, zu Annas Wohnungstür, zurückgekommen waren. Ihre Zweizimmer-Wohnung war klein und natürlich nicht hundegerecht. Es gab kein Hundekörbchen und keinen Napf. Dafür war der gesamte Wohnraum mit einem behaglichen Teppich ausgestattet, auf dem sich, in Ermangelung von ausreichenden Regalen, unzählige Bücher und Zeitschriften wie vor einem Umzug stapelten. Einige Titel der Publikationen waren für mich unverständlich, egal, von welcher Seite ich versuchte, sie zu lesen. Es musste sich wohl um polnische Exemplare handeln. Bei der deutschsprachigen Lektüre war die Palette breit gefächert. Neben belletristischen Erzeugnissen fielen mir Sprachführer sowie Sachbücher über katholische Nonnenklöster und Tiere auf. Auch ein Band über Ridgebacks war dabei.

      Im Gegensatz zum vollgestellten Boden bildeten weiße Wände, die bar jeglichen Bildschmucks waren, einen harten Kontrast. Dort gab es für den Besucher nichts zu entdecken. Umso interessanter war es für mich, die Ecken und Nischen in der kleinen Wohnung zu untersuchen. Das Wohnzimmer mit durchgesessener Stoffcouch, zerkratztem Glastisch und Holzsideboard aus dritter Hand, das Schlafzimmer mit den bunten Bezügen des niedrigen Bettes – lagen die Matratzen gar auf dem Boden? –, die spärliche Miniküche und der briefmarkengroße Balkon, der einen befreienden Ausblick ins Grüne bot. Die Wohnung sah aus, als wenn Anna erst kürzlich eingezogen und noch nicht dazu gekommen wäre, ihr neues Zuhause wohnlich einzurichten. Es roch bei ihr nach Jasmin-Tee und bedrucktem Papier. Artgenossen von mir waren noch nicht hier gewesen. Aber es gab einen weiteren, sehr eigenartigen Geruch, der mir völlig fremd war. Eine Mischung aus Lakritz und faulem Holz. Er ging von einem Glaskasten aus, der seitwärts zu einem kleinen Schreibtisch auf einem halbhohen Schrank stand. Seltsam, erkennen konnte ich in dem Kasten nichts, er stand zu hoch. Meine Aufmerksamkeit wurde zudem von einem wohlbekannten Geräusch abgelenkt. Anna hatte einen Plastikbeutel aufgerissen und prompt stieg mir ein vielversprechender Geruch in die Nase, der eine leckere Zwischenmahlzeit versprach: Truthahn mit viel Soße, serviert auf einem tiefen weißen Porzellanteller auf einer Handtuchunterlage. Dem kann selbst ein gesättigter Hund nicht widerstehen. Es fehlte nur noch ein zweiter mit Primitivo gefüllter Napf. Am besten die Sorte, deren abgerundeter Geschmack nach Pflaumen, Nougat, saftigen Feigen und mediterranen Kräutern perfekt zum Fressen passen würde. Aber auch ohne diese flüssige Delikatesse war es dann soweit. Die Augenlider senkten sich gleichmäßig wie elektrisch betriebene Rollos. Ein Verdauungsschläfchen drohte mich zu überwältigen, und ich hatte nicht vor, mich dagegen zu wehren. Von jetzt auf gleich war ich eingeschlafen und träumte von weiteren zahlreichen Spaziergängen mit Anna, die einen Rollwagen, wie ihn die alten Leute nutzten, vor sich herschob, um die Beutel mit verschiedenen Spezialitätenleckerlis zu transportieren und mir unablässig zuzuwerfen. Als Gernot mich am frühen Abend abholte, hoffte ich auf einen baldigen erneuten Besuch bei Anna. Dann würde ich vielleicht auch das Geheimnis um den rätselhaften Glaskasten lüften können.

      Der Diamantring kann doch nicht einfach verschwinden«, stellte Klaus kopfschüttelnd fest und sammelte mit der Gabel die letzten Risottoreste auf seinem Teller ein.

      »Wenn ihr das gesamte Zimmer auf den Kopf gestellt habt, müsste er ja aufgetaucht sein.«

      Der ihm gegenübersitzende Peter nickte zustimmend und sprach das aus, woran Klaus dachte.

      »Vielleicht wurde der Ring gestohlen!«

      Gernot hatte seine beiden Freunde Klaus und Peter zum turnusmäßigen gemeinsamen Kochen eingeladen. Seit über zwei Jahren pflegten die drei Junggesellen diese liebgewordene Tradition. Alle drei Wochen trafen sie sich bei einem der Zweibeiner zum Schlemmen. Jumper und ich waren stets gerne mit dabei. Die Essensreste fanden in uns dankbare Abnehmer. Einstein, der Mischling von Gernots Freundin Jule, leistete uns diesmal Gesellschaft. Jule, die bei einem örtlichen IT-Unternehmen arbeitete, war auf einem Seminar und Einstein war daher an diesem Donnerstagmorgen für ein paar Tage zu uns gekommen. Einstein war übrigens der hübscheste und klügste Hund, den ich kannte. Der große Physiker, der zufällig genauso hieß, durfte froh sein, solch einen renommierten Namen zu tragen. Einstein konnte sogar das wahrnehmen, was jemand nicht sagen wollte oder zu verbergen trachtete. Er hörte die Worte zwischen den Buchstaben. Ich mochte den vierbeinigen Einstein nicht nur wegen seiner Intelligenz, sondern auch wegen seiner charmanten Art, seiner braunen Augen und seines ehrlichen Charakters. Offen gestanden war ich total verliebt in ihn. Im vergangenen Sommer war er zusammen mit Jule und einer ihrer Freundinnen gepilgert und hatte die beiden auf dem Jakobsweg nach Santiago de Campostella begleitet. Seitdem pflegte er ein neues Hobby: Bibelzitate, die er bei allen ihm passend erscheinenden Situationen rezitierte und oftmals eigenwillig auslegte.

      »Suchet und ihr werdet finden, Matthäus 7,7, zweiter Satz«, kommentierte Einstein Peters Meinung über den verschwundenen Ring von Gernots Mutter.

      Klaus, der Anfang des Jahres zum Professor für Physik an der Uni Münster berufen wurde, hatte übrigens auch einen Vierbeiner, allerdings von einer völlig anderen Fraktion: eine Katze! Nicht auszudenken, wenn er die mitbringen würde. Dann gäbe es für uns Fellpopos sogar eine Extraportion Frischfleisch.

      Nachdem unsere Hobbyköche schon bei der Vorspeise in Stammtischmanier die dringendsten Probleme der Menschheit gelöst und beim Hauptgang, Risotto mit Garnelen, Jakobsmuscheln und Weißburgunder, über die Niederungen der Hundehaltung palavert hatten, widmeten sie sich der Nachspeise.

      »Das Blaubeer-Trifle schmeckt wieder köstlich«, schwärmte Peter. »Hoffentlich haben wir genug davon da«, sorgte er sich.

      »Ich denke, Du willst abnehmen«, foppte Gernot ihn und schaute auf seinen Bauch, der eingeklemmt zwischen Stuhl und Tischkante den Raum ausfüllte.

      »Also, daran habe ich natürlich auch schon gedacht«, nahm Gernot den ursprünglichen Gesprächsfaden wieder auf. »Der Ring könnte vom Heimpersonal gestohlen worden sein. Da kämen viele Personen in Betracht, schließlich ist das Zimmer meiner Mutter nicht abgeschlossen.«

      »Hast Du denn einen bestimmten Verdacht?«, fragte Peter und trank den letzten Schluck Weißwein aus seinem Glas.

      »Nicht wirklich«, antwortete Gernot. »Sie hat eine Pflegerin und einen Pfleger, die sich hauptsächlich um sie kümmern. Aber die werden wohl nicht so dreist sein, sie zu bestehlen. Ich tippe eher auf jemand anderen aus dem Heim, dem sich einfach die Gelegenheit bot, den Ring an sich zu nehmen. Meine Mutter ist seit einigen Monaten auch zunehmend tüttelig und würde es einem Langfinger ziemlich einfach machen. Jedenfalls ist sie nach dem Verlust des Ringes so richtig durch den Wind.«

      »Wenn der Ring wertvoll ist und deiner Mutter so viel bedeutet, dann hefte doch eine Notiz ans Schwarze Brett im Heim und lobe eine ordentliche Belohnung für den Finder aus«, schlug Peter vor und überlegte gleichzeitig, ob sein Kalorienhaushalt einen weiteren Dessertnachschlag vertragen würde.

      Wir Vierbeiner bekamen den Rest Risotto und jeder eine Garnele. Gernot goss uns sogar etwas Wein, ungefähr ein Fingerhutvolumen, in den Napf. Die Aromen umarmten einander wie ein frisch verliebtes Paar. Unverständlicherweise ließ Einstein diese Zugabe unberührt. Er war in Sachen Alkohol Abstinenzler. Manchmal ist Einstein wirklich ein schwacher Hund, der der Versuchung nachgibt, sich eines Genusses zu versagen.

      »Oder du kaufst einen ähnlich aussehenden Ring im Internet. Vielleicht merkt deine Mutter den Unterschied gar nicht und ihre Welt ist wieder in Ordnung«, schlug Klaus vor.

      Die Zweibeiner entwickelten mit zunehmendem Grappagenuss, den Gernot als Digestiv reichte, weitere nicht allzu ernst zu nehmende Vorschläge zum Wiederauffinden