Mann 2020. Markus Margreiter

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Название Mann 2020
Автор произведения Markus Margreiter
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783990013526



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chronischen Erkrankung machen. Der exzellenten Forschung und dem unglaublichen Einsatz vieler hervorragender Kollegen gilt hier der Dank.

      In den vergangenen 40 bis 50 Jahren gab es bei den Prognosen weniger Krebserkrankungen so einen deutlichen Rückgang wie bei Prostata-Krebs. Das Risiko, daran zu sterben, sank in den westlichen Ländern in den vergangenen 15 bis 20 Jahren deutlich. Und das bezieht sich nicht nur auf das onkologische Ergebnis, sondern auch auf die Lebensqualität. Wir konnten nicht nur die Nebenwirkungen der Therapien eindämmen, wir fanden auch heraus, dass man mitunter gar keine braucht.

      Nicht jeder Prostata-Krebs muss behandelt und schon gar nicht operiert werden. Es gibt viele Männer mit einem Karzinom, das man nur kontrollieren und regelmäßig im MR beobachten muss. Vielleicht macht man noch einmal eine Biopsie, um Veränderungen zu untersuchen. Ansonsten lebt der Patient mit dem Krebs mittlerweile sehr gut.

      Was tun?

      Sollten Sie mit der Diagnose Prostata-Krebs konfrontiert sein, bewahren Sie Ruhe. Ein Prostata-Karzinom muss man nicht morgen operieren, es wächst in den meisten Fällen sehr langsam. Man hat also Zeit, um sich über die Behandlungsoptionen klar zu werden. Das heißt aber auf keinen Fall, die Diagnose oder etwaige Anzeichen nicht ernst nehmen zu müssen.

      Das war nicht immer so. Schauen wir uns die Erfolgsgeschichte der Therapiemöglichkeiten kurz an:

      Als einer der Ersten führte Hugh Hampton Young, damaliger Chef der Urologie im Johns Hopkins Hospital in Baltimore, 1904, also vor mehr als hundert Jahren eine Prostata-Operation durch. Er setzte den Schnitt im Dammbereich, was heute nur noch ganz selten gemacht wird.

      1941 wiesen die amerikanischen Wissenschaftler Charles Huggings und Clarence Hodges nach, dass sich fortgeschrittene Prostata-Karzinome zurückbilden, wenn man ihnen das Testosteron entzieht. Man entfernte dazu nicht den gesamten Hoden, sondern schälte nur das funktionelle Gewebe heraus. Mittlerweile haben wir so gute Medikamente, dass selbst das obsolet ist. Es war der Beginn der Hormon-Therapie, 1966 bekam Huggins dafür den Nobelpreis.

      Ein gewaltiger Meilenstein war 1982 die erste nervenschonende radikale Prostatektomie von Urologen-Papst Patrick Walsh, der später einer meiner Lehrer war. Lange bevor ich nach Johns Hopkins kam, hörte ich von ihm, als ich während meiner Allgemeinausbildung auch auf der Urologie gearbeitet habe. Schon damals faszinierte mich dieser Walsh, der in Baltimore so nervenerhaltend operierte. Die Prostata war immer eine große und schwierige OP, sie ist die Königsklasse in der Urologie, allein schon wegen der Lage. Wir konnten uns alle nicht vorstellen, wie Walsh das machte, und ob das alles überhaupt so stimmte, die österreichische Skepsis eben. In Wien, wie auch im Rest der Welt, ging man nach der geltenden radikalen Technik vor, indem man sie zur Gänze samt einem Teil des umgebenden Gewebes entfernte. Nerven zu schonen war damals kein Thema in der Chirurgie.

      Für den Patienten hat sich mit der Walsh-Methode eine Welt verändert. Früher war es nach einer Prostata-OP vorbei mit dem Liebesleben, die durchtrennten Nerven machten eine Erektion unmöglich. Heute erhält man mit den Nerven auch in vielen Fällen die Sexualität, das Leben kann ganz normal weitergehen.

      1991 gelang Professor Ralph Clayman, auch eine Kapazunder aus dem Urologen-Mekka in Baltimore, erstmals eine laparoskopisch durchgeführte Prostata-OP. Wir reden hier von Knopflochchirurgie, von winzigen Schnitten, von Kameras. Der Unterbauch wird mit Luft aufgeblasen, man operiert mit Stablinsenoptiken. Der Vorteil liegt in der schnelleren postoperativen Wundheilung und Erholung.

      2001 erregte die erste robotische Prostata-Ektomie im Henry Ford Hospital in Detroit Aufsehen. Es war nicht der erste Einsatz von Robotern, die verwendete man schon länger. Aber erst dieses System, der daVinci-Roboter, brachte den wirklichen Durchbruch. Die Sensation war, dass der Chirurg erstmals getrennt von der Maschine agierte. Das heißt jetzt nicht, dass der Roboter operiert, und der Chirurg in der Kantine sitzt.

      Wobei er das durchaus könnte, denn die Verbindung zwischen den beiden geht nur über ein Kabel. Der Arzt sitzt an einer Konsole, wo er die dreidimensionale Darstellung sieht, mit beiden Armen hineingreift und mit beiden Händen so etwas wie Greifzangen bedient und damit den Roboter steuert. Eine Revolution.

      Und dahinter ein Evolutionssprung. Denn durch die Videoaufzeichnungen wurde es großen Auditorien möglich, bei der Operation zuzuschauen.

      Schaut man noch ein bisschen weiter dahinter, taucht schnell das amerikanische Militär im Blickfeld auf. Wie so oft ist es auch in die Fortschrittsgeschichte des Roboters in der Medizin involviert. Der Gedanke war, Verletzte in Kriegsgebieten operieren zu können, obwohl die Chirurgen irgendwo friedlich an ihren Konsolen saßen. Dafür gab es gewaltige finanzielle Starthilfen für die Entwicklung der neuen Technologie. Die Rechnung ging nicht auf, es hakte an der Datenübertragung, die nicht mitmachte. Wenn wir nicht gerade mit Termingeschäften an der Börse beschäftigt sind, stört uns eine Latenzzeit von einer Sekunde nicht. Operationen aber müssen in Echtzeit ablaufen. Heute nähert man sich dem Ziel schon nach und nach an, die Investition der Rüstungsindustrie wird letztlich nicht hinausgeworfenes Geld gewesen sein.

      Auch die Pharmaindustrie investiert schöne Summen in die Forschung. Vor allem die Medikamente, die bei bestehenden Prostata-Karzinomen eingesetzt werden, haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren enorm weiterentwickelt.

      So segensbringend es war, das Testosteron zu drosseln, um die Krebszellen am Wachsen zu hindern, löste es doch nicht alle Probleme. Im Gegenteil, man handelte sich damit ein paar neue ein. Das fehlende Testosteron zeigte nachhaltige Nebenwirkungen, zum Beispiel reagierte die Libido darauf gekränkt, und Depressionen hatten freie Bahn.

      Man weiß auch schon länger, dass Prostata-Karzinome trotz Testosteron-Entzug nach einer gewissen Zeit weiterwuchsen. Man wusste nur nicht, warum. Bis wir vor kurzem verstanden haben, wie schlau Prostata-Krebs-Zellen sind. Aha, sagen die sich nämlich, sobald wir ihnen den Hormon-Hahn abdrehen, soso, ihr stoppt uns das Testosteron, dann produzieren wir es eben selber. Und das tun sie auch, sie machen sich unabhängig. Selbst die Signalwege, die durch Testosteron in einer Zelle entstehen, können sie nachspielen und sich ihre eigenen Wege suchen. Unglaublich, was eine Zelle, dieser kleinste Teil unseres Körpers, alles zustande bringt. Die neuen Therapien auf der hormonellen Schiene fußen auf diesem Verständnis.

      Vor der Hormon-Therapie gab es überhaupt nur die Optionen zu operieren oder zu bestrahlen. Alle Versuche, bei Prostata-Krebs Chemo-Therapien einzusetzen, die bei anderen Krebsarten durchaus erfolgreich sind, scheiterten. Jeder Krebs hat seinen eigenen Mechanismus, wie er sich teilt und wie er wächst. Jedes Gewebe reagiert unterschiedlich auf die Formen der Chemo-Therapie. Manche setzen dort an, wo sich der Krebs teilt. Im Zellkern drinnen, genau dort, wo die Erbinformation repliziert wird, wo ein Spindelapparat ausgebaut wird und diese Informationen hin- und hergleiten und auseinandergehen. Es gibt Chemotherapeutika, die diesen Spindelapparat zerstören. Klingt nach einem todsicheren Vorgehen, funktioniert aber nicht bei jeder Krebszelle. Denn jede hat ihre eigene Art, sich weiterzuentwickeln.

      Weil Chemo-Therapien grundsätzlich nur Zellen zerstören, die sich schnell teilen, beeinträchtigen sie auch die Fruchtbarkeit. Die Zellen im Eierstock und vor allem in den Hoden sind, wie Haarzellen, sehr schnell teilende Zellen. 2004 kam dann erstmals ein Chemotherapeutikum zum Einsatz, das es mit der flinken Truppe des Prostata-Karzinoms aufnehmen konnte.

      Seit 2011 geht die jüngste Entwicklung von Medikamenten in die Richtung, den Mechanismus der Zellen, sich selbst Testosteron zu produzieren, zu unterdrücken. Und zwar ohne Chemo-Therapie. Wir werden sehen, wo uns das in den kommenden Jahren hinführt. Und danach müssen wir das nächste Medikament finden, das wir brauchen, wenn die Zellen gelernt haben, sich auch dagegen zu wehren. Was wir bereits haben, sind ganz neue Medikamente, die das Immunsystem beeinflussen und für deren Entdeckung es 2018 einen Nobelpreis gab.

      Generell ist die Zukunft der Therapie recht verheißungsvoll. Alles weist in Richtung weniger radikaler Therapieformen. Über das MRT lassen sich Veränderungen der Prostata schon so gut lokalisieren, dass man sie fokal behandeln kann. Anders gesagt: Es ist nicht mehr notwendig, alles zu entfernen, man beschäftigt sich nur noch mit den betroffenen Teilen. Und dafür stehen uns ganz neue Methoden mit den unterschiedlichsten Energieformen zur Verfügung.

      Das