Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden. Bernd Schmid

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gehören.

      Die offenen Horizonte bringen die Chance und die Notwendigkeit, Terrains auszumachen und abzustecken, in denen man sich bewegen will. Andernfalls droht der Energiekollaps wegen inflationärer Vernetzung. Man muss ein Annäherungsverhalten an ungewohnte Partner lernen und herausfinden, welche man wie an sich binden kann und sollte und bei welchen das mehr Kraft kostet als es Nutzen bringt. Hierbei geht es um vielschichtige Austauschverhältnisse, die weit über direkt verrechenbare Leistungen hinausgehen. Man denke nur an den Nutzen von Co-Branding oder Verlinkung, neuere Formen von längst bekannten Gepflogenheiten wie gegenseitiges Zitieren in Medien oder Präsentieren auf Kongressen. Aber auch gegenseitige Inspiration, das Bilden von Zeitgeistgemeinschaften und persönlichen Sympathiegemeinschaften sind wichtige Dimensionen solcher Netzwerke. Aus Ökonomiegründen können diese Dimensionen nicht getrennt voneinander versorgt werden, sondern müssen zu einem oft schwer bestimmbaren Konglomerat verbunden werden. Gute Netzwerke bieten eine Netzwerkkultur, in der viele wirtschaftliche, gesellschaftliche und menschliche Bedürfnisse versorgt werden. Es ist eine der anspruchsvollen Gestaltungsaufgaben, Individualismus und Pluralismus mit Deutlichkeit in der Ausrichtung und Erkennbarkeit von außen zu kombinieren.

      Netzwerke auszumachen, sich anzuschließen, lebendigen Austausch zu pflegen, der gleichzeitig der eigenen Sache zuträglich ist, sich zu positionieren, um mit wenig Aufwand an die attraktiveren Möglichkeiten zu gelangen, dabei aber solidarisch und zuverlässig zu handeln, gehören zu wichtigen Tugenden von erfolgreichen Netzwerkern.

      Es ist leicht zu bemerken, dass viele Kompetenzen hierfür mit anderen hier schon besprochenen Kompetenzen identisch oder verwandt sind. Es geht ja auch nicht darum, für jedes Feld separate Kompetenzen zu erfinden, sondern unterschiedliche Perspektiven und Konfigurationen für umfassende professionelle Kompetenz zu beschreiben.

      Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut geworden. Täglich flattern Hochglanzprospekte und Infobroschüren auf den Tisch. Die Anzahl der Websites, über die Ideen propagiert und Dienstleistungen angeboten werden, ist unübersehbar. Internetforen und Newsletter laden zum Dabeisein ein. So angenehm es sein kann, als eingeführter Anbieter mit bestimmten Produkten in bestimmten Märkten stabil nachgefragt zu werden, so schwierig kann es sein, sich neu zu etablieren. Dies gilt in besonderem Maße für Neueintritte in Märkte. Sei es, dass man in vertraute Märkte mit neuen Produkten oder mit vertrauten Produkten in neue Märkte Eingang finden möchte. Am schwierigsten ist es, wenn Produkte und Märkte neu sind.

      Insbesondere als neuer Anbieter und potenzieller Kooperationspartner muss man sich mit Kompetenzen und Produkten sichtbar machen, um von anderen Marktteilnehmern beachtet zu werden. Qualität allein reicht dafür nicht, es sei denn, es gelingt, irgendwie als »Geheimtipp« gehandelt zu werden. Doch müssen die meisten Newcomer normalerweise die Erfahrung machen, dass es mit einem weiteren Prospekt, einer weiteren Website oder Aussendung nicht getan ist. Was mit viel Sorgfalt und Hingabe produziert wird, bleibt ohne Resonanz.

      Versuche, sich dem Markt genehm zu machen, indem großzügig Kompetenzen behauptet, Leistungen und Wirkungen versprochen sowie alle gängigen attraktiven Schlüsselworte benutzt werden, finden meist auch nicht mehr Beachtung. Was macht es dann aus, dass man Resonanz findet? In welchen Zeiträumen und bei wem, mit welcher Nachhaltigkeit kann man Reaktionen erwarten? Auf diese Fragen gibt es keine allgemeingültigen Antworten, weil jeder Markt, jedes Milieu hier seine eigenen Gesetze hat. Marktkompetenz – und etwas allgemeiner – Feldkompetenz ist hier gefragt.

      Dennoch kann man Prinzipien nennen, die hilfreich sind, Aufmerksamkeit zu erlangen. Es muss gelingen, aus der Masse herauszuragen, am besten durch glaubwürdige Originalität. Irgendetwas muss durch die vorgezeigten Oberflä-chen hindurch rüberkommen, was bei anderen verfängt und in Erinnerung bleibt. Man muss anderen einfallen, wenn im entscheidenden Moment über mögliche Partner oder Mitwirkende gesprochen wird.

      Das hierfür Entscheidende liegt auf einer emotionalen Ebene. Entweder gelingt es, Suchbewegungen und Sehnsüchte anzusprechen oder man konnte durch die Oberfläche hindurch Intuitionen über glaubwürdige besondere Profile und Kompetenzen wecken. Dazu kommt, dass die Empfehlenden die Erwartung haben, dass auch sie ihren Nutzen von der Empfehlung haben werden. Es reicht auch nicht unbedingt, einen Empfehlenden persönlich zu beeindrucken. Oft muss man diese Darstellungen zur Verfügung stellen, mit denen er andere überzeugen kann. So kann der überzeugte Personalentwickler im eigenen Unternehmen auf frostige Reaktionen stoßen, wenn er zu viel auf seine persönliche Begeisterung baut und nicht genügend auf angemessene Präsentation bei Entscheidern und Betroffenen achtet. Ein Problem ist, dass man selten differenziertes und aufrichtiges Feedback in diesen Dimensionen bekommt. Umso wichtiger ist eine gute Weiterbildung und sind professionelle Gemeinschaften, die eine achtungsvolle und offene Dialogkultur pflegen. Sie schließen solche Spiegelungen ein. Qualität ist dabei nicht ohne Weiteres dadurch herstellbar, dass solche Punkte auf die Agenda aufgenommen werden, sondern sie hängt vom Gesamtniveau der gepflegten Professions- und Lernkultur ab.

      Zur professionellen Kompetenz gehört zwischenmenschliche Sensibilität. Dies meint Aufmerksamkeit für eine Reihe von Dimensionen des Gegenübers. Der andere will sich als Persönlichkeit gewürdigt sehen und kann sehr verärgert werden, wenn er sich nur als Funktionsträger und Mittel zum Zweck gesehen fühlt. Gleichzeitig darf die Zuwendung nicht als Bestechungsversuch erlebt werden, um zu gewinnen, ohne dass fachliche Ansprüche oder die Würde des Amts beachtet werden. Menschen sind immer hungrig danach, als jemand gesehen zu werden, der sie selbst zu sein versuchen. Partner, die dies spiegeln und Zuversicht wecken, dass es mit ihnen zusammen in diese Richtung gehen kann, sind interessant. Schönrederei, Selbstgefälligkeit und Schmeichelei oder illusionäre Vorstellungen und unsolide Versprechungen helfen bei seriösen Partnern nicht, denn irgendeine Instanz in ihnen weiß, was stimmig ist und was nicht.

      Es ist also wichtig, auf die Welt der Partner und Kunden feinsinnig und entgegenkommend zu reagieren. Damit man dabei aber nicht wie ein Grashalm im Wind und ohne Kontur erlebt wird, braucht man ein solides Selbstverständnis und eine gewisse Robustheit. Dies gilt sowohl für das Aushalten belastender Situationen nach innen wie auch das kraftvolle Auftreten nach außen. Es kommt schon vor, dass Auftraggeber oder Partner sich aus Unsicherheit oder Machtgewohnheit zu einem Stärkegebaren (Schmid 2004a, Kap. 1) aufschwingen. Dies kann leicht Angst und inneren Bewährungsdruck auslösen und an Sensibilität und Kraft zehren. Deshalb ist es auch wichtig, dass man lernt, für sich zu sorgen, d. h. sich seine Ängste einzugestehen und sie konstruktiv zu kontrollieren. Nach außen ist wichtig, einerseits durch kraftvolle Antworten Eindruck zu machen, andererseits nach Resonanz darauf dann differenziertere Töne anzuschlagen und sensiblere Seiten im Gegenüber anzusprechen. Beides allein hätte weniger Aussichten auf Erfolg.

      Man braucht für die unternehmerischen Aspekte der eigenen Tätigkeit nicht nur eine relativ stabile Gesundheit, die man zu pflegen lernen muss, sondern eine gewisse Robustheit. d. h. die Fähigkeit, Enttäuschungen und Niederlagen zu ertragen, ohne überzureagieren. Auf der anderen Seite sollte man sich nicht von Begeisterungen wegschwemmen lassen, sondern mit den Füßen auf dem Boden bleiben und bei der Verwirklichung von Visionen durchhalten. Das heißt, Professionelle sollten sachlich stabil und in Beziehungen zuverlässig und fair bleiben können, auch wenn Belastungen zu ertragen sind oder man enttäuscht worden ist.

      Abb. 1: Nachtkerzen

      Eine weitere Dimension soll noch als Dualität beschrieben werden: Weltläufigkeit und Bodenständigkeit.

      Da unsere Welt immer flexibler und internationaler wird, werden heute von Professionellen Fremdsprachen, Reisekompetenz, häufige Umgebungswechsel, eine Toleranz für Verzicht auf vertraute Umgebungen und ein bewegliches Auftreten in multikulturellen Umgebungen erwartet. Dementsprechend werden solche Kompetenzen erworben und dem Selbstbild hinzugefügt. Wie viel davon stimmig ist und welche Belastungen dadurch empfunden werden, kommt vielleicht