Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden. Bernd Schmid

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muss, wird leicht als Belastung für ohnehin belastete Auftraggeber angesehen. Erweckt er jedoch den Eindruck, schnell, selbst organisiert und kooperativ nützlich werden zu können, dann verspricht sich der Auftraggeber Leistung gepaart mit Entlastung.

      Auch diese Anforderungen bringen Gutes und Schlechtes mit sich. Einerseits können durch solche »Präsentations-Quickies« Blender eingeladen werden, deren beste Leistung eben solche Präsentationen sind, ohne dass dann wirklich Qualität nachfolgt. Andererseits ist jeder Bewerber gefordert, auf den Punkt zu kommen und Wesentliches zu vermitteln.

      Eine Art »verschärftes Eisbergprinzip« verlangt, eine Kostprobe für Kompetenz an der Oberfläche geben zu können, die von den richtigen Qualitäten dahinter überzeugt. Das wechselseitige Ansprechen von Intuitionen über die dahinter stehenden Wirklichkeitsvorstellungen und Kompetenzen entscheidet immer häufiger darüber, ob man überhaupt weitere Chancen bekommt.

      Heute ist man sich einig, dass Fachkompetenzen allein nur in wenigen Funktionen ausreichen. Überall entscheidet das Aufbereiten, das Auftreten, das Zusammenspiel mit anderen mit darüber, ob Fachkenntnisse zur Geltung kommen oder nicht. Soziale Faktoren – die sogenannten Soft Skills – sind also wichtig.

      Längere Zeit versuchte man, solche Kompetenzen unter den Etiketten Selbstmanagement, Persönlichkeitsentwicklung, Rhetorik und Kommunikation als separate Kompetenz hinzuzunehmen. Kommunikationsfachleute, Psychologen, auch Systemiker gingen davon aus, dass sie so universales Wissen und entsprechende Dienste anzubieten hätten. Sie postulierten, dass diese auch dann nützlich seien, selbst wenn sie sich kein kompetentes Bild von den fachlichen Aspekten der beruflichen Arbeit des Gegenübers machen konnten. Die Verantwortung, das Gelernte in das konkrete Berufsleben zu übertragen, wurde den Kunden und Seminarteilnehmern allein überlassen. Dies führte zu Stimmigkeits- und Transferproblemen. Um Stimmigkeit einer Situation herzustellen, muss sie eben auch unter fachlichen Gesichtspunkten kompetent gestaltet sein. Auch wenn die separat trainierten Soft Skills besser als zuvor versorgt sind, gelingt es ohne Fachkenntnisse nicht leicht, ein überzeugendes Kraftfeld aufzubauen und andere für Bestätigung und komplementäres Mitwirken zu gewinnen. Dann sind Transfer und eigenes kreatives Weiterlernen der Klienten unter Live-Bedingungen schwer – die Sonderveranstaltungs- oder Seminarwirkung verpufft.

      Als Konsequenz wird heute die Bedeutung der Fachkompetenz wieder betont. Doch wer braucht wann welche Fachkenntnisse? Welche Lernformen kann man wählen, um die Fachkenntnisse situativ angemessen einzubeziehen, ohne die ganze Angelegenheit zu kompliziert zu machen? Hierauf gibt es keine einfachen Antworten. Doch ist schon viel gewonnen, wenn man sich der Verantwortung stellt, bei Lernprozessen im Softfaktor-Bereich für angemessene Berücksichtigung fachlicher Gesichtpunkte zu sorgen.

      Hierzu gehört, dass Lehrende, Berater oder Führungskräfte z. B. genügend juristische oder betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse besitzen, um zu merken, wenn es beim Gegenüber an fachlichen Kompetenzen fehlt. Nicht, dass diese dann geboten werden müssen, aber der Umgang mit dem erkennbaren Bedarf wird in das Lerndesign integriert.

      Metaphorisch ausgedrückt gilt: Wie beim Musizieren machen zwar Spieltechnik und richtige Noten allein keine Musik. Doch lässt sich auch ein inspirierendes musikalisches Kraftfeld nicht aufbauen, wenn fachliches Know-how fehlt oder nicht aktiviert und integriert wird.

      Was zu Fachkompetenz gesagt wurde, gilt auch für Feldkompetenz, zumal sich beides überlappen kann. Wenn jemand Probleme mit seiner Professionalität als Marketingfachmann hat, dann macht es einen Unterschied, ob er für Ver-marktung von Software übers Internet oder für Vermarktung von persönlichen Beratungsdienstleistungen zuständig ist. Obwohl viele fachliche Prinzipien dieselben sind, sind es doch verschiedene Welten. Viele Fachkompetenzen sind so feldspezifisch, dass sie als Feldkompetenzen gelten können.

      Dies zeigt jedenfalls, dass Feldkenntnisse wie die der Eigengesetzlichkeit von Branchen, Größe, Struktur und Verfasstheit von Unternehmen bei der Bestimmung und Entwicklung von Kompetenz wichtig sind. Wenn ein kompetenter Vertriebsmanager aus dem Personenluftverkehr zum Schienen- nahverkehr der Bahn überwechselt, dann ist fraglich, ob die Übertragung der Buchungssysteme von einer Welt in die andere als kompetent gelten kann. Dementsprechend weisen sich Professionelle eben auch durch Felderfahrung aus bzw. prüfen, welche sie übertragen können oder welche sie neu erwerben müssen.

      Manchmal geht es auch darum, in welche Felder man besser passt, um die vorhandenen Kompetenzen stimmiger nutzen zu können. Dies kann Ver- änderung hinsichtlich der Branche, der Unternehmensgröße, der Kollegen oder Kunden oder auch der Arbeitsformen und Beschäftigungsverhältnisse betreffen. Hier kann eine Passungsberatung durchaus mal die Erweiterung von Rollen- und Kontextkompetenz in Qualifizierungsmaßnahmen ersetzen.

      Heutzutage ist in immer mehr Funktionen Marktkompetenz erforderlich. Zwar gilt erfreulicherweise auch noch heute das Gesetz, wer gut arbeitet, wird beachtet und bemerkt. Es spricht sich herum und daher fragt der Markt wie von selbst verstärkt nach. Wer würde nicht gerne zu diesen Glücklichen zählen? Doch hat sich auch schon mancher, der sich auf gute Arbeit verlassen hat und sich mit wenigen, scheinbar sicheren Kunden oder Partnern zufrieden gab, plötzlich in der Abseitsfalle wiedergefunden, weil sich aus irgendeinem Grunde unerwartet der Wind gedreht hat. Berater für Berufsmusiker berichten zum Beispiel, dass diese geradezu empört sind, wenn sie ihr Talent und ihre Mitwirkung zu Markte tragen sollen. Lieber üben sie noch viele weitere Stunden, auch wenn da nicht der Mangel liegt.

      Immer mehr Märkte mutieren zu Nachfrage-Märkten. Immer mehr Anbieter versuchen, sich im Markt auszudehnen oder neu hereinzudrängen.

      Dies gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für viele Freiberufler. Sie müssen ihre Kompetenzen zu marktgängigen Produkten entwickeln, sich mit Markenbildung, Imagepflege, Preispolitik und Akquisition beschäftigen. Das erfordert eigene unternehmerische Kompetenzen, die mit den professionellen Kernkompetenzen nicht unbedingt viel zu tun haben. Es braucht viel, um erfolgreich zu sein, und es kostet Kraft und andere Ressourcen. Schon deshalb kann es sich rächen, wenn man diesem Teil professioneller Kompetenz wenig Beachtung schenken will.

      Auch Unternehmensinterne können nicht unbedingt aufatmen, weil sie glauben, sich diesen Mechanismen nicht stellen zu müssen. Zum einen werden die Unternehmen zunehmend als Märkte begriffen, auf denen interne Kunden zu finden und zu bedienen sind. Durchlässiger werdende Unter-nehmensgrenzen stellen interne Anbieter immer häufiger in Konkurrenz zu externen. Immer öfter wird von internen Abteilungen verlangt, dass sie nach professionellen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten mit Externen Schritt halten. Zum anderen schaffen Erwartungen, dass eigene Produkte und Dienstleistungen auch draußen auf dem Markt abgesetzt werden, andere Horizonte. Von internen Bildungsabteilungen wird z. B. erwartet, dass sie ihre Leistungen nach außen vermarkten oder sie tun dies auch aus eigenen Ambitionen. Denn hier mitzuspielen bringt Status und Privilegien und verändert die Bewährungskriterien der Internen. Die Markttüchtigeren steigen auf oder haben die Möglichkeit, immer mehr freiberuflich zu tun. Je nach Bereich muss auch mit Outsourcing gerechnet werden, von direkten Verdrängungswettbewerben bei Abbau und Fusionen ganz zu schweigen. Im Guten wie im Schlechten haben solche Entwicklungen nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern auch öffentliche Einrichtungen wie z. B. Hochschulen erreicht, in denen man Drittmittel einwerben oder auf bisher privaten Bildungsmärkten Umsatz machen soll.

      Fazit: Marktwirtschaftlichen Prinzipien und Marktkompetenzen müssen sich fast alle stellen.

      Erfolg hängt von persönlicher Leistungsfähigkeit und Vernetztheit ab. Dieses Prinzip ist gewiss nicht neu, hat aber neue Namen und neue Charakteristika.

      Netzwerk steht als Begriff dafür, dass »die wichtigen anderen« nicht unbedingt im eigenen Fach, in der eigenen Abteilung oder in der Hierarchie des eigenen Unternehmens zu finden sind. Der Begriff »Value Network« bedeutet z. B., dass alle Instanzen einzubeziehen sind, die irgendwie für den Erfolg und Wertschöpfung durch