Cashbook. Wolfgang Deutschmann

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Название Cashbook
Автор произведения Wolfgang Deutschmann
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783990014868



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schafft für die Community einen zusätzlichen Mehrwert, für den sie zu bezahlen bereit ist?

      Dass sich die Community über die Social-Media-Seiten von BËRGSTEIGER sichtbar machen konnte und über den gemeinsamen »Brand« verbunden fühlte, schaffte bereits einen gewissen »inneren Mehrwert«. Die Seite verfügte aber inzwischen außerdem über einen einzigartigen Hashtag (#steigauf) und ein einprägsames Logo, das sich auf allen möglichen Produkten gut machen würde. Beides nicht zu nutzen wäre eine verlorene Chance gewesen. Also konkretisierten wir die Frage nach dem zusätzlichen Mehrwert wie folgt:

      Welches Produkt könnte die Community haben wollen, das an den inneren Mehrwert der Social-Media-Seiten anknüpft? Welches Produkt unterstützt die BËRGSTEIGER-Community dabei, sich noch verbundener zu fühlen?

      Die Zielgruppe waren Menschen, die ihren Rucksack packen, frühmorgens aufbrechen und durch die unberührte Natur der Berge aufsteigen, entlang schmaler Steige, zwischen Bergkiefern, Preiselbeerfeldern oder Alpenrosen hindurch den Gipfelkreuzen entgegen. Zu klären war also:

      Was brauchen alle Bergsteiger?

      Was haben alle Bergsteiger?

      Was verbindet alle Bergsteiger?

      Kappen und T-Shirts drängten sich auf. Damit wollte das Brüderpaar testen, ob die Marke überhaupt funktionierte und ob es Bergsteigern tatsächlich etwas wert war, dieses Ë zu tragen. Denn das ist die entscheidende Frage, die es vor allen anderen Schritten der Monetarisierung eines gut laufenden Social-Media-Accounts zu klären gilt:

      Gibt es User, die bereit sind,

      Geld für die Sache auszugeben?

      Die Brüder nutzten die billigste Möglichkeit, diese Frage zu klären, einen sogenannten Spreadshirt-Shop. Kunden laden dort ihre Wunschlogos hoch und der Shop produziert die Shirts on demand, also erst bei Bestellung, liefert sie direkt aus und rechnet ab. Die Qualität der T-Shirts war zu diesem Zeitpunkt noch nebensächlich, da reichte Billigware. Es ging wie gesagt erst einmal nur um die Frage, ob das Ë überhaupt eine Marktchance hatte.

      Wenig später waren die BËRGSTEIGER-Shirts bereits aus Bio-Baumwolle. Denn über den Spreadshirt-Shop entstand rasch ein Monatsumsatz zwischen tausend und dreitausend Euro. Für den Anfang war das nicht schlecht, auch wenn der Großteil des Gewinns bei Spreadshirt landete. Die Brüder machten ein Unternehmen daraus und meldeten ein Gewerbe an. Ich beteiligte mich mit dreißig Prozent und steckte rund 30.000 Euro in das Start-up, um ihm etwas Schwung zu geben. Die Firma konnte außerdem unsere Büros und natürlich unsere Expertise nutzen.

      EINE ENTSCHEIDENDE IDEE

      BËRGSTEIGER fehlte allerdings noch etwas Wesentliches. Kappen und T-Shirts bedrucken lassen, auf diese Idee kamen schnell einmal Gründer einer Marke, die in den sozialen Medien entstand. Das ist wirklich keine Kunst mehr. Doch die Vision von etwas Größerem lässt sich damit nicht verwirklichen. Dafür braucht es eine USP, eine Unique Selling Proposition, ein Alleinstellungsmerkmal, etwas Einzigartiges, das die Community als typisch für die Marke empfindet, etwas Identitätsstiftendes, das nur sie auf diese Weise bietet. Was konnte das hier sein?

      Peter, der bereits erwähnte Bruder meines Mitarbeiters, hatte wieder die entscheidende Idee. Er ist ein Erfinder- und Tüftler-Typ, der den BËRGSTEIGER-Spirit selbst lebt, die Macht und Freiheit der Bergwelt liebt und seine Motivation nicht aus der Aussicht auf Reichtum, sondern aus seiner Leidenschaft bezieht. Er schlug Armbänder vor. Armbänder in der Form von Eispickeln, die gleichzeitig als Verschluss dienen sollten: Den Eispickel durch eine Lasche ziehen, und schon ist das Armband geschlossen. Das Ganze geflochten und größenverstellbar, passend für jedes Handgelenk.

      Inspiriert dazu hatte ihn die Firma Paul Hewitt, ein Anbieter von Uhren, Schmuck und Mode-Accessoires im Preppy-Style, der Armbänder mit Ankern als Verschluss verkaufte. Peter stand eines Tages mit einem Exemplar davon da und schlug vor, statt der Anker einfach Eispickel zu verwenden und das Band an die raue Bergwelt anzupassen.

      Wir waren begeistert. Das gab es in dieser Form für unsere Zielgruppe noch nicht und wir beschäftigten uns damit, wie sich so ein Armband konzipieren beziehungsweise produzieren ließ. Prototypen entstanden, alle mit dem BËRGSTEIGER-Schriftzug darauf.

      Jetzt erst nahm die Entwicklung der kleinen Firma wirklich Fahrt auf. Denn die BËRGSTEIGER-Abonnenten posteten nun Fotos von ihren Handgelenken mit unseren Armbändern in den Bergen. Laufend trafen neue Fotos bei uns ein, auf denen das Eispickel-Armband zu sehen war.

      Bessere Werbung gab es kaum, und dementsprechend verkauften wir bis Ende 2020, also innerhalb von drei Jahren, rund vierzigtausend Stück des neuen BËRGSTEIGER-Bestsellers. Angesichts eines anfänglichen Preises von 25 bis 29 Euro (wenig später kostete das Armband 34 Euro) war das ein schöner Erfolg. Immerhin bedeutete es mehr als eine Million Euro Umsatz.

      Die BËRGSTEIGER-Abonnenten kauften das Armband oft sogar mehrmals. Weil es viele ständig trugen, um auch im Büro etwas von der Macht und der Freiheit der Bergwelt dabeizuhaben, nützte es sich ab und sie brauchten ein neues, das nie das gleiche war. Denn wir entwickelten das Produkt ständig weiter und perfektionierten es. So bekamen wir anfangs die Rückmeldung, dass sich die Oberfläche auflösen würde, vor allem unter dem Einfluss von Sonne, Wind und Wetter. Wir nahmen uns die Kritik zu Herzen und schafften das Problem aus der Welt.

      Wir produzierten in Asien, unterzogen jedes Armband bei uns in Graz einer Qualitätskontrolle und versandten es über einen Logistikanbieter. Die Herstellungskosten inklusive Verzollung lagen bei 5 Euro und die Versandkosten, die wir extra berechneten, in Österreich und Deutschland bei 4,90 Euro. Wenn wir noch 15 bis 30 Prozent des Umsatzes für Werbung ausgaben, ließ sich damit also durchaus etwas verdienen.

      PRODUKTWELT AUS DEN SOZIALEN MEDIEN

      Das erfolgreiche Armband war als genialer Träger des BËRGSTEIGER-Spirits so etwas wie ein Sprungbrett für die kleine Firma. Danach überlegten wir wieder und testeten weitere Produkte. So kamen wir auf die Sonnenbrille.

      Zunächst suchten wir wieder eine Standardbrille aus, versahen sie mit unserem Logo und beobachteten, wie die Community darauf reagierte. Ist es jemandem etwas wert, eine Sonnenbrille mit dem BËRGSTEIGER-Logo zu tragen?

      Das war die Frage, und wieder beantworteten sie die BËRGSTEIGER-Abonnenten bei unserem Test mit: »Ja, grundsätzlich schon.« Zumindest ließ sich die Zahl der eingehenden Bestellungen so interpretieren. In den ersten Monaten verkauften wir nach und nach rund 600 Sonnenbrillen zu 195 Euro, was einen Umsatz von fast 120.000 Euro ergab, bei einem Werbebudget von rund 40.000 Euro.

      Wir hatten nun genug Geld, um in die Entwicklung einer Brille zu investieren, die den Ansprüchen unserer Community besser gerecht wurde. Sie hatte polarisierende Gläser von Carl Zeiss Vision, das Design stammte von einem Brillen-Spezialisten und sie war gleichzeitig leicht und robust. Wir setzten auf besonders breite Steckbügel, damit die Brille auch wirklich fast allen passte und auch bei starken Steigungen nicht aus dem Gesicht rutschte. Außerdem lernten wir einiges über den Sonnenbrillenmarkt, etwa, dass dessen Hochsaison von April bis Mai dauert. Zumindest für Bergsteiger-Sonnnebrillen.

      Unversehens war aus einem zum Spaß gestarteten Social-Media-Account ein funktionierendes kleines Unternehmen mit eigener Produktpallette geworden. Ich übernahm die Firma mit den zwei Punkten über dem »E« schließlich mehrheitlich. Bald hatte sie auf Facebook über 100.000 und auf Instagram mehr als 50.000 Abonnenten. Auch auf Pinterest wurde sie immer erfolgreicher. Inzwischen sondiere ich die Übernahmeangebote. Facebook- und Instagram-Seiten lassen sich verkaufen, erst recht, wenn sich damit auch noch Umsatz machen lassen und ein Unternehmen dahintersteht.

      DIE DEMOKRATISIERUNG DER WIRTSCHAFT

      Geld verdienen mit den sozialen Medien ist nicht bloß ein moderner Trick, um ein (Neben-)Einkommen zu generieren.

      Es ist ein wesentlicher Teil der Zukunft unserer Wirtschaft und wenn du jetzt damit anfängst, endet die durch COVID-19 bedingte Wirtschaftskrise