Dem Logos zuhören. Udo Stenz

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Название Dem Logos zuhören
Автор произведения Udo Stenz
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429061173



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Freiburg – Basel – Wien 1997, 83-86, hier: 84.

      8 CASSIODOR, Expositio in Psalmum 95 (94), Vers 1, PL 70, 671.

      9 J. RATZINGER, Der Dialog der Religionen und das jüdisch-christliche Verhältnis; Erstveröffentlichung: Internationale katholische Zeitschrift Communio 26 (1997), 419-429; zit. nach: J. RATZINGER, Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund, Urfelder Reihe 1, Hagen 42005, 93–121, hier: 120-121.

      10 NIKOLAUS VON KUES, Über den Frieden im Glauben – De pace fidei, zit. nach der Ausgabe L. MOHLER (HG.), Meiner Philosophische Bibliothek 223, Leipzig 1943.

      11 Ebd., 96.

      12 Zum Stand der Diskussion vgl. R. HAUBST (HG.), Der Friede unter den Religionen nach Nikolaus von Kues. Akten des Symposions in Trier vom 13.-15. Oktober 1982, Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 16, Trier 1984, darin: J. STALLMACH, Einheit der Religion – Friede unter den Religionen. Zum Ziel der Gedankenführung im Dialog “Der Friede im Glauben”, 61-75, hier: 63.

      13 So: W. DUPRÉ, Menschsein und Mensch als Wahrheit im Werden. Einige Bemerkungen zum Problem der Religion bei Nikolaus von Kues, in R. HAUBST (HG.), Der Friede unter den Religionen, 313-324, hier: 320.

      14 Vgl. J. STALLMACH, Einheit der Religion, 72-73.

      15 Vgl. W. A. EULER, Einheit der Religionen – Friede unter den Menschen. Begegnung mit nichtchristlichen Religionen bei Ramon Llull und Nikolaus von Kues, in: C. LOHR – E. COLOMER (HG.), Anstöße zu einem Dialog der Religionen. Thomas von Aquin – Ramon Llull – Nikolaus von Kues, Freiburg 1997, 71–91, hier: 85-86.

      16 Die Philosophie ist nach PETRUS DAMIANI, De divina omnipotentia 5,621, die „ancilla theologiae“.

       1. K A P I T E L

       PHILOSOPHISCHE ANNÄHERUNGEN — WAHRHEIT IM DIALOG

      Wer sich daran macht zu untersuchen, wie auf philosophische Weise ein „Hinhören auf den Logos“ gehen kann, der wird sich zunächst darüber Gedanken machen, in welche Richtung die philosophische Betrachtung geht, d. h. wo das Denken seinen Ausgang nimmt und wohin es führen soll. Anders gefragt: Wer oder was ist der Agent, der Protagonist der Denkbewegung? Ist es der Denkende, der versucht, ein Gedachtes zu erreichen oder gar zu formen? Oder ist es das Gedachte oder zu Denkende, was nach dem Denkenden greift? Bei diesen Überlegungen mag man auf einen Begriff stoßen, mit dem eine geisteswissenschaftliche Strömung des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet wird: den „Umbruch des Denkens“1.

      Der Begriff Umbruch lässt auf eine Entwicklung besonderer Art schließen. Mit ihm kann nicht nur beständiges Fortschreiten auf dem Weg durch die Zeit beschrieben sein, dass also das spätere auf dem früheren aufbaut, dessen Fehler aufzeigt, es weiter entwickelt und überwindet. Vielmehr liegt ein besonderer Akzent auf dem Bruch; die Abkehr vom Bisherigen ist radikal und dezidiert. Tatsächlich ist der Umbruch des Denkens verstanden worden als eine neue neuzeitliche Hinkehr zur Metaphysik2, aber nicht als neoscholastischer Pendelschlag zurück, sondern personalistisch gewendet und damit in Absetzung von allem bisher Dagewesenen3.

      Vorausgesehen mag diese Entwicklung bereits G. W. F. Hegel (1770 – 1831) haben, als er im Jahre 1802 schrieb, dass

      „durch die Totalität der betrachteten Philosophien der Dogmatismus des Seins in den Dogmatismus des Denkens, die Metaphysik der Objektivität in die Metaphysik der Subjektivität umgeschmolzen worden ist und also der alte Dogmatismus und Reflexionsmetaphysik [sic!] durch diese ganze Revolution der Philosophie zunächst nur die Farbe des Innern oder der neuen und modischen Kultur angezogen“4 habe.

      Mit diesem Urteil verbindet Hegel die Einschätzung, eine wahre Philosophie erstehe erst aus der Vernichtung der Absolutheit der herkömmlichen Philosophien5. Die Wortwahl des Autors deutet bereits den radikalen Umbruch des Denkens an, der etwas vernichtet: den Dogmatismus des Seins und denjenigen des Denkens.

      Was Hegel „Dogmatismus des Seins“ nennt, hatte seit der Antike die Philosophie bestimmt und im Mittelalter seinen Höhepunkt erreicht. Alles, was ist, verdankt sich im letzten Grunde dem einen Sein, das allem seine Ordnung vorgibt und es in sein je eigenes Sein als Teilhabe entlässt. Ziel der philosophischen Erkenntnis ist die dadurch vorgegebene objektive Ordnung des Seins. Theologisch gewendet geht es darum, zur Erkenntnis der göttlichen Ordnung aufzusteigen, die hinter dem Kosmos steht und sich in ihm zeigt: die Metaphysik. In diesem Dogmatismus des Seins kommt dem Menschen zentrale Bedeutung zu. Er und mit ihm die Erde sollten der Mittelpunkt der ganzen von Gott her geordneten Welt sein. Was also im Mittelalter als Ordo-Gedanke zu universaler Bedeutung aufgestiegen war, nennt Hegel „Metaphysik der Objektivität“.

      Mit den Begriffen „Dogmatismus des Denkens“ und „Metaphysik des Subjekts“ skizziert Hegel die Entwicklungen im Denken der Neuzeit. Unter dem Druck der Naturwissenschaften mit ihren neu erarbeiteten und erfundenen Forschungsmethoden und –instrumenten geriet die bisherige Sichtweise ins Wanken. Nicht mehr die Metaphysik, sondern die Astronomie erhob den Anspruch, die maßgebliche Erklärung für die Welt insgesamt und damit die Zielvorgabe des Denkens zu liefern. So hat G. Galilei (1564 – 1642) nicht nur die Hinwendung der Astronomie zum heliozentrischen Weltbild in unbestreitbarer Weise vollzogen, sondern zusätzlich den Anspruch der Mathematik, der Geometrie und damit der Naturwissenschaft generell reklamiert, der verbindliche Maßstab zur Beschreibung und Normierung jeglicher Ordnung der sichtbaren Welt überhaupt zu sein. Darin kommt der methodische Schritt der Reduktion zum Tragen: Von verschiedenen Hinsichten, unter denen derselbe Gegenstand betrachtet werden kann, wird eine als vorrangig angesehen; alle anderen treten ihr gegenüber zurück oder sinken gar in die Bedeutungslosigkeit. Mit der Reduktion der Wissensformen im Blick auf die Wirklichkeit der Welt auf die geometrischen Wissenschaften provozierte Galilei6 damit die Herauslösung der Geisteswissenschaft aus dem Bereich aller Fragestellungen, die die objektive Welt als solche betrafen.

      Infolgedessen vollzog die Philosophie der Neuzeit die der Naturwissenschaft entgegengesetzte Richtung. Sie wandte sich von dem Anspruch ab, die Welt, die Dinge an sich objektiv sicher zu erkennen. Nachdem dies von den Naturwissenschaften übernommen worden war, rückte nun der Zweifel in den Blick des geisteswissenschaftlichen Zugangs und über diesen die Beschränkung auf das erkennende Subjekt selbst. Die Geisteswissenschaften – an prominenter Stelle R. Descartes (1596 – 1650)7 und I. Kant (1724 – 1804) – vollzogen also gegenläufig zu den Naturwissenschaften eine Entwicklung hin zum Menschen als bestimmendem Ausgangspunkt. Nicht mehr vom Sein her wird gedacht, sondern vom denkenden Menschen. Es erhebt sich die Frage, unter welchen Bedingungen überhaupt Erkennt-nis möglich ist. Die Kapazität des menschlichen Verstandes gibt radikal den Umfang möglicher Erkenntnis vor. Denken vom Sein her ist immer Denken des Subjekts. Nicht das Sein, nur das Denken ist sicher. Allein dieses lässt der methodische Zweifel Descartes’ übrig. Die Dinge an sich können im Denken nicht erreicht werden. Das metaphysische Grundanliegen der Philosophie war also in anderer Perspektive das gleiche geblieben: Wie bisher ging es darum, möglichst viel Wahres zu erkennen: Allerdings meinte man nun Wahres im Denken; das Wahre im Sein an sich wurde für unerreichbar erklärt. Metaphysik war fortan nur noch im Subjekt selbst, in seinem Denken und in seinen Sitten, zu finden.

      Beide Denkrichtungen tragen nach Hegel also die Züge einer Totalität. Man darf ihm hier eine prophetische Gabe bescheinigen, denn genau dieser Begriff taucht 150 Jahre später wieder auf bei einem Philosophen, der sich damit gegen das Denken der Neuzeit stellt und der Sache nach die Vernichtung der Absolutheit proklamiert, die der deutsche Philosoph erhofft: E. Lévinas (1906 – 1995) wendet sich gegen ein Denken, das zum Ziel hat, seinen Gegenstand, die Wahrheit und letztlich Gott schlechthin zu erreichen und zu erfassen. Dies laufe nämlich darauf hinaus, dass das Ich im