Название | Toter Dekan - guter Dekan |
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Автор произведения | Georg Langenhorst |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429062842 |
Beate Kellert war das edle italienische Restaurant wohlbekannt. Ab und zu gingen sie dort mit Freunden essen, das letzte Mal lag aber schon fast ein halbes Jahr zurück. Das Gebäude der Theologischen Fakultät, von außen ein strenger dreistöckiger Vierungsbau, der im Kern auf ein Jesuiteninternat aus dem 17. Jahrhundert zurückging, kannte sie ebenfalls, hatte ihm aber nie besondere Beachtung geschenkt. Warum auch? Aber was hatte Bernd Kellert ausgerechnet dort zu suchen? Kaum ein Gebäude, das weniger zu ihrem Ehemann, dem drahtigen, durchtrainierten, ein Meter zweiundachtzig großen Kommissar passen würde!
„Und, was hast du da gemacht?“, wollte sie wissen, nun wirklich neugierig geworden, während sie den Kater streichelte, der sich wieder zu ihren Füßen niedergelassen hatte und zufrieden schnurrte. „Da gab es einen Toten. Irgendjemand hat den Dekan, also den Chef da, umgebracht. Drei Schüsse, jeder für sich tödlich!“ Beate Kellert wirkte ratlos: „Wer macht denn so was? Wer bringt denn einen Professor um?“
„Der war nicht nur Professor, sondern auch Priester. Hatte auch noch als Toter diesen Kragen um den Hals. Noch als Leiche was Besonderes! Und wer den umgebracht hat, das möchte ich auch gern wissen. Nee, falsch, das muss ich sogar wissen. Ich habe den Fall übertragen bekommen. Aber“, er trank die Flasche leer, stand auf und ging zum Kühlschrank, um sich Nachschub zu besorgen, „das ist nicht so leicht. Wir haben erst mal keine Spur. Da gehen so viele Leute ein und aus. Das kann jeder gewesen sein.“
„Ist denn etwas gestohlen worden?“, wollte Beate Kellert wissen. „Nicht, soweit wir das bis jetzt feststellen konnten“, gab ihr Mann zurück und trat sanft nach dem Kater, der mit seinen Zehen spielen wollte. „Hau ab, du Vieh“, sagte er halb im Ernst, denn eigentlich mochte er keine Katzen. Aber wie so oft hatte seine Familie ihn bei der Anschaffung überstimmt.Ihre Tochter Jenny wollte halt als Zehnjährige unbedingt eine Katze. Um ihr den damaligen Schulwechsel zu erleichtern, hatte er zähneknirschend zugestimmt.
Inzwischen hatte sich Bernd Kellert an den Mitbewohner ganz gut gewöhnt. „Vieh“, nannte er den großen Kater meistens, aber natürlich hatte er auch einen richtigen Namen: ‚Barry‘. ‚Typisch‘, dachte er oft, ‚da schafft man sich so ein Vieh für die Kinder an und dann gehen sie. Was bleibt, ist das Vieh!‘
Für solche Gedanken war jetzt aber kein Platz. Kellert erzählte weiter: „In dem Büro, wo man ihn erschossen hat, war alles aufgeräumt. Geld oder Wertsachen gibt es dort sowieso nicht. Und auch die Computer waren alle noch an ihrem Platz. Aber wir überprüfen das noch. Die haben da eine ziemlich fitte Sekretärin, die kennt sich wohl am besten aus. Die hat ihn auch gefunden, steht aber noch unter Schock. Aus der war heute kaum etwas herauszubekommen.“
„Rrrunnter!“, brüllte er den Kater an, der auf die Sofalehne gesprungen und gerade dabei war, seine Krallen in den Stoffüberzug zu schlagen. Bernd Kellert nahm einen Teil des auf dem Tisch liegenden Friedensberger Anzeigers, rollte ihn zusammen und schlug nach dem Tier. „Runter!“
„Hey, lass Barry in Ruhe“, fuhr ihn seine Frau an, während das Tier langsam auf den Boden sprang, davor aber wie absichtlich noch einen kleinen Faden aus dem Bezug gerissen hatte. „Na, das kann ja eine nette Woche werden“, meinte Beate Kellert mit süßsäuerlichem Unterton. „Aber das bin ich ja gewohnt. Komm, ich massiere dir ein bisschen den Nacken, hm?“
Sie wusste, dass ihr Mann dabei am besten entspannen konnte. „Und, wie war dein Tag?“, fragte er, nachdem er Barry auf den Balkon gelassen hatte, von wo aus er die ganzeNachbarschaft unsicher machen konnte. Der Kater lebte mehr draußen als drinnen. Frech, klug und stark, wie er war, kontrollierte er das Tierleben der ganzen Nachbarschaft. Bernd Kellert setzte sich zu seiner Frau auf das Sofa, und beide wussten, dass er eine Antwort auf seine Frage gar nicht hören und sie auch gar keine geben wollte.
Dienstag, 11. Mai, vormittags
Ein Mord, viele Fragen
„Liebe Kolleginnen und Kollegen!“ Prodekan Hermann-Josef Kösters versuchte sich Gehör zu verschaffen. Nur langsam starb das aufgeregte Gemurmel und Getuschel um ihn herum ab. Mehr als fünfzehn Personen hatten sich im Beratungszimmer der Fakultät eingefunden. Unter den zumeist gestrengen Blicken der Porträts von ungezählten Dekanen der Fakultät, gemalt oder fotografiert jeweils zur Beendigung ihrer Amtszeit, hatten sie sich an die zu einem Rechteck zusammengestellten Tische gezwängt, verwickelt in hektische Gespräche.
Alle waren der Einladung zur außerplanmäßigen Sitzung gefolgt, die ihnen per Mail oder Anruf zugegangen war. Neben Kösters waren die verbliebenen zehn amtierenden Professoren erschienen, außerdem die Religionspädagogin Klara Mechtersheim als einzige Frau im Professorium, ferner drei Damen und zwei Herren aus dem Mittelbau, daneben – ungewohnt blass und mit noch immer verweinten Augen – Dekanatssekretärin Silvia Hoberg und, zur allgemeinen Überraschung, die Studentin Verena Obmöller.
„Nun kommen Sie doch bitte zur Ruhe!“, ermahnte Kösters die Anwesenden. „Bitte sehr: Kolleginnen und Kollegen!“ Er musste jetzt doch die Rolle spielen, die er sich so gern noch erspart hätte. Aber es half alles nichts, als Prodekan oblag ihm die Übernahme der Dienstgeschäfte und der Verantwortung.
Kösters hatte am Vorabend noch den seit drei Jahren emeritierten Altdekan Füstner – immer noch als graue Eminenz im Hintergrund des Fakultätslebens aktiv – angerufen und um Unterstützung gebeten. Aber der Ruheständler hatte nur gesagt: „Nein, das werden Sie selbst übernehmen müssen, Kösters. Tut mir leid – und: Kopf hoch!“ Nun lag es also an ihm, die Situation so gut wie möglich zu meistern. Es galt vor allem, die Form zu wahren.
„Liebe Kollegin“ – hierbei verbeugte er sich leicht zu Frau Mechtersheim – „liebe Kollegen. Sie wissen, warum ich Sie hierhergebeten habe. So unfassbar das für uns alle ist: Unser Dekan, Professor Anton Gerstmaier, ist ermordet worden. Ich habe Sie zusammengerufen, um Sie über den Stand der Dinge zu informieren und um über das weitere Vorgehen zu beraten.“
„Wann ist der Mord denn passiert?“, rief Professor Schulze-Vorrath dazwischen, ein absichtsvoll ungepflegt wirkender Mittfünfziger mit wirren grauen Haaren und Drei-, eher Fünftagebart. Schulze-Vorrath war Fundamentaltheologe, bildete sich auf seinen offen zur Schau getragenen Nonkonformismus etwas ein, war aber der deutschlandweit und auch international bekannteste Theologe seiner Fakultät. Er hatte mehrere erfolgreiche Bücher über den interreligiösen Dialog verfasst und war als Experte in diesem Bereich in Radio und Fernsehen ein viel gefragter Mann.
„Bitte lassen Sie mich in Ruhe berichten. Ich werde versuchen, alle Fragen zu beantworten, aber der Reihe nach!“ Kösters blickte – um Unterstützung bittend – in die Runde und hoffte, sein geplantes Vorgehen durchsetzen zu können. Zustimmendes Kopfnicken! „Genau“, stimmte ihm einer zu. „Ja, das ist besser“, ein anderer.
Schulze-Vorrath hatte nur wenige Freunde im Kollegium. Den einen gefiel seine selbstdarstellerische Art nicht, andere waren insgeheim neidisch auf seinen Erfolg, obwohl sie seine Bücher als populistisch abtaten und dagegen den wissenschaftlichen Ernst und Wert der wenigen eigenen Veröffentlichungen hervorhoben. Nun lehnte sich Schulze-Vorrath brummelnd zurück, kreuzte die Arme und wartete ab, was passieren würde.
„Danke!“ Kösters nickte in die Runde. „Ich schildere Ihnen nun, was wir bislang über den Verlauf des Geschehens wissen. Ein gewisser Hauptkommissar Kellert von der Kripo wird in – Moment“, er blickte auf seine Armbanduhr, „in einer Viertelstunde bei uns sein und uns befragen.“ „Wieso das denn?“, platzte Dr. Schachner, einer der anwesenden wissenschaftlichen Mitarbeiter, dazwischen, fing sich dafür aber nur einen tadelnden Blick von Kösters ein.
„Also, was ich von Kommissar Kellert weiß, ist Folgendes“, fuhr dieser unbeirrt fort: „Gerstmaier war wie jeden Freitag noch lange in seinem Büro. Es ist ja bekannt, dass er freitags oft noch lange hier im Haus ist. Frau Hoberg ging – wie immer – um ein Uhr nach Hause.“ „Stimmt nicht, ich war noch bis halb zwei da“, unterbrach diese ihn mit