Название | Letzte Erfahrungen |
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Автор произведения | Hermann Pius Siller |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429060534 |
Früher war Newman sich gewiss, dass Gott „jeden an eine bestimmte Stelle mit bestimmten Aufgaben gestellt hat“ (BG 42–46). Jetzt sah er sich auf ein „Nichtstuerleben“ abgestellt, ein Leben ohne Aufgabe, ohne erkennbare Berufung (SB 339). Die Providenz schien mit ihm nichts mehr vor zu haben. „Otium cum indignitate“, Müßiggang in Würdelosigkeit nennt er das (SB 343). „Heute morgen beim Aufwachen überfiel mich die Empfindung, nur den Platz zu versperren, so stark, dass ich mich nicht dazu bringen konnte, unter meine Dusche zu gehen. Ich sagte mir, was nützt es denn, seine Kraft zu erhalten oder zu vermehren, wenn nichts dabei herauskommt. Wozu für nichts leben? … Was tue ich eigentlich für irgendein religiöses Ziel?“ (SB 329f.) „Vanitas vanitatum“, völlige Sinnleere (SB 342). Er selber zitiert hier Kohelet. Das Leben lässt keine Providenz mehr erfahrbar werden. Die Rede davon versiegt in diesen Jahren. Er trifft eine merkwürdige Unterscheidung: „Wie war doch mein Leben einsam und grämlich, seit ich katholisch geworden bin. Hier war der Gegensatz – als Protestant empfand ich meine Religion grämlich, aber nicht mein Leben, und nun, als Katholik, ist mein Leben grämlich, aber nicht meine Religion.“ (SB 330) Die schonungslose, desillusionierte Offenheit eines Konvertiten und eines Theologen, der sein Leben unauflöslich an Religion und Kirche gebunden hatte.
Die ungeheure Energie, mit der Newman zu seiner „Apologia pro vita sua“ ausholte, war nicht nur gegen die Polemik Kingsley gerichtet. Er hatte seine Selbstachtung wiederzugewinnen. Es war nach der Wucht des Falls der Rückprall am Tiefpunkt (SB 338). Die Apologie war der „Wendepunkt“. Die wiedergewonnene Gunst der Protestanten und die Zustimmung des katholischen Klerus gab ihm den Mut, aufs Neue nach Aufgaben auszuschauen (SB 338f.), obgleich die maßgeblichen Leute innerhalb der katholischen Kirche weiterhin von seinen Talenten keinen Gebrauch zu machen wussten.15 Der Akzent, den er seiner Rede von der Providenz nun unterlegt, ist allerdings ein anderer geworden: ein anderer als in der Zeit, in der er seine akademische Karriere im Auge hatte, ein anderer als in der Zeit, in der ihn die Kirchenreform auf ungangbare Wege führte. Er sieht nun (1869) schärfer das Paradox, das in der Behauptung von Gottes Providenz für sein Leben liegt. „Die Vorsehung Gottes war mein ganzes Leben hindurch wunderbar über mir. Da ist etwas, was mir heute morgen als ein Widerspruch aufgefallen ist, den ich schon oft in seinen Einzelheiten durchdacht hatte, ohne den Kontrast zu bemerken, in dem diese Einzelheiten zueinander stehen. Ich meine, dass meine Leiden immer von denen kamen, denen ich geholfen hatte, und meine Erfolge von meinen Gegnern.“ (SB 346f.) Und er bemerkt, dass es seine Krankheiten waren, aus denen schließlich Gutes geworden war (SB 348).
In seiner „Zustimmungslehre“ kommt Newman gelegentlich des Illative-sense auf Providenz zu sprechen. Er ist, wenn man von der festgefügten Ordnung der Dinge ausgeht, bestürzt, dass Gottes „Oberaufsicht über die lebendige Welt eine so indirekte, und sein Handeln ein so verborgenes ist“ (Z 278). Und dann: „Was dem Geist so stark und so peinlich auffällt, ist seine Abwesenheit (wenn ich so sagen darf) von seiner eigenen Welt. Es ist ein Schweigen, das redet. Es ist, wie wenn andere von seinem Werk Besitz ergriffen hätten.“ (Ebd.) Mit diesen Worten Newmans ist das Prekäre auch unserer Lage getroffen, wenn wir heute im 21. Jahrhundert das Wort Providenz im Mund führen. Es ist auch unsere Peinlichkeit, die er spürt: „Warum ist es ohne Absurdität möglich, seinen (Gottes H.P.S.) Willen, seine Attribute, seine Existenz zu leugnen?“ (Z 279) Und ebendort: „Er aber ist im Gegenteil in ganz besonderer Weise ‚ein verborgener Gott‘ (Jes 45, 15).“ Die Schöpfung ist in einen so entfernten Selbstand, in eine solche Autonomie entlassen, dass eine Entsprechung von Leben und Religion, von Wirklichkeit und theologischem Begriff kaum mehr sichtbar ist. Im Leben, auch im Leben der Kirche, ist kaum mehr ein Ort auszumachen, wo das noch greift, wovon mit dem Wort Providenz die Rede ist. Diese Entfernung leuchtet herein in seine Erfahrung, die er nun mit der Katholischen Kirche macht. Er musste lernen, für die Rede von der Providenz in ihrer Zerbrechlichkeit und Bezweifelbarkeit auf neue Weise die richtige Sprache zu finden.
Dankbarkeit und Selbstachtung
In Newmans späten Jahren gewinnt sein Glaube an Gottes Providenz nochmals einen anderen Ton. In einem Tagebucheintrag vom 30. Oktober 1867 erinnert er sich an ein Gespräch mit Kardinal Barnebò, dem Präfekten der vatikanischen Propagandakongregation. Mit ihm lag er unter anderem wegen der Gründung des Oratoriums in Oxford im Konflikt. Die Tagebuchnotiz lautet: „Ich habe zu Kardinal Barnebò gesagt: ‚Viderit Deus‘, Gott habe ich meine Sache anheim gestellt … und wie der allmächtige Gott 1864, nach Ablauf von 20 Jahren, in den Augen der Protestanten mein Verhalten gerechtfertigt hat (durch die Apologia H.P.S.), so wird es am Ende auch mit meinem katholischen Lebensweg ergehen, wenn ich nicht mehr da bin, Deus viderit! Diese Worte gebrauchte ich nicht leichthin, wenn sie sich auch anscheinend im Geist Kardinals Barnebòs sehr ungünstig festgesetzt zu haben scheinen – ich denke auch im Traum nicht daran, sie zu widerrufen. … Ich meine, Vertrauen auf Vorgesetzte irgendwelcher Art kann bei mir niemals mehr erblühen“