Schweizer Wirtschaftseliten 1910-2010. Thomas David S.G.

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Название Schweizer Wirtschaftseliten 1910-2010
Автор произведения Thomas David S.G.
Жанр Зарубежная деловая литература
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Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783039199327



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Grossunternehmen zu verdichten (Kapitel 5).

      Der Rückgang ausländischer Verwaltungsräte nach dem Ersten Weltkrieg war aber nicht allein eine Reaktion auf rechtliche Massnahmen. Die deutsche Niederlage und die Schwächung der wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und der Schweiz führten in der Elektrizitätswirtschaft zu einem Bruch der finanziellen Beziehungen mit den deutschen Elektrokonzernen. Die Schweizer Grossbanken übernahmen die finanzielle Reorganisation von Gesellschaften wie Elektrobank oder Motor und wurden ihre Hauptaktionäre. Generell fielen diese Jahre mit dem Aufstieg des schweizerischen Finanzplatzes zusammen. Dieser profitierte von der Stärke des Schweizer Frankens, der politischen Stabilität und Neutralität, tiefen Steuersätzen und dem 1934 mit dem Bankengesetz institutionalisierten Bankgeheimnis. Sein Wachstum führte dazu, dass sich die Verbindungen zwischen den Schweizer Grossbanken und den führenden Industriekonzernen intensivierten. Dies resultierte wiederum in einem deutlichen Rückgang der Anzahl Ausländer in den Verwaltungsräten der Industrie.

      Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Abwehrmechanismen gegenüber Ausländern weiter verstärkt. Dieser Prozess setzte sich auch während des Kalten Kriegs fort, nicht zuletzt, weil sich die Unternehmen vor dem Ost-West-Konflikt zu schützen suchten. Die Schweizer Eliten befürchteten, dass im Fall einer kriegerischen Eskalation die internationalen Tätigkeiten ihrer Firmen erneut bedroht würden.

      Während der zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Argumente für die Beibehaltung der Vinkulierung angepasst. Die protektionistische Politik richtete sich von nun an auch gegen andere Aktionärskategorien als Ausländer. Deutlich wurde dies etwa in einem 1961 zwischen der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) und den börsenkotierten Grossunternehmen beschlossenen Gentlemen’s Agreement. In diesem verpflichteten sich die Banken dazu, gewisse Aktienkategorien nicht mehr an Neuaktionäre zu übertragen, die den von der Firma formulierten Bedingungen nicht entsprachen. Mit diesem Schritt richteten die Bankeliten ihre Position – auf Kosten ihrer unmittelbaren finanziellen Interessen und im Namen des «übergeordneten nationalen Interesses» – auf diejenige der industriellen Eliten aus. Die Vinkulierung wurde nicht mehr ausschliesslich als ein Kampfmittel gegen ausländische Investoren, sondern gegen alle unerwünschten Aktionäre eingesetzt – ob Schweizer oder Ausländer. Sie ermöglichte es insbesondere den Gründerfamilien, die Kontrolle über ihr Unternehmen zu behalten und ist ein Grund für die ausgeprägte Beständigkeit des Familienkapitalismus in der Schweiz (Kapitel 3).

      Auch wenn die Schweizer Wirtschaftseliten den ausländischen Einfluss in ihren Betrieben einschränkten, führten sie den internationalen Austausch durchaus weiter – während des Kriegs nicht zuletzt mit Nazideutschland.10 Die Aussenorientierung der Schweizer Wirtschaft verstärkte sich im Kalten Krieg noch.

      So setzten die Schweizer Firmen zwischen 1918 und 1980 zwar ihre internationale Expansion fort, schränkten aber gleichzeitig die ausländische Teilhabe am Eigentum an und der Verfügungsgewalt über ihre Unternehmen drastisch ein. Erst unter dem Druck der wirtschaftlichen Globalisierung am Ende des 20. Jahrhunderts öffneten sich die Unternehmen erneut für Ausländer, und das noch viel stärker als zu Beginn des Jahrhunderts.

      Kapitel 2

      Die Wirtschaft als Männerbastion

      Erst 1971 erhielten die Frauen das aktive und das passive Wahlrecht auf Bundesebene. Die im Vergleich mit anderen europäischen Ländern späte Einführung dieses Grundrechts ist aufschlussreich für ein strukturelles Profilmerkmal der Schweizer Eliten: das Fehlen von Frauen in Machtpositionen. Besonders das Wirtschaftsestablishment war – und bleibt bis heute – eine Männerbastion. Dabei beruhte die Ausgrenzung von Frauen nicht auf formellen Regeln; es war Frauen nie gesetzlich verboten, in einem Verwaltungsrat oder einem Unternehmerverband mitzuwirken. Trotzdem wurzelte die Dominanz der Männer tief. In Familienunternehmen blieb die Zuständigkeit der Frauen auf die Privatsphäre beschränkt. Für die generationelle Weitergabe von Machtfunktionen spielten sie dort eine zwar wenig sichtbare, aber unverzichtbare Rolle.

      Unzählige Studien belegen die Ausgrenzung von Frauen aus Machtpositionen. Bis heute bleibt sie im Bereich der Wirtschaft besonders stark: 2010 waren durchschnittlich 12,2 Prozent der Verwaltungsratsmitglieder der grössten europäischen Firmen Frauen – mit grossen Unterschieden zwischen den Ländern.11 Um zu verstehen, warum die Frauen in den Machtpositionen der Grossunternehmen kaum präsent sind, ist zu untersuchen, wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung entstanden ist. Die Industrialisierung, die Mitte des 18. Jahrhunderts in England begann, dehnte sich ab dem folgenden Jahrhundert auf die sogenannt entwickelten Länder aus. Sie ist zentral für die Herausbildung der Arbeits- und Rollenteilung zwischen Frau und Mann. Ersteren wurde zunehmend die unbezahlte Hausarbeit zugewiesen, während die bezahlte Arbeit zur Männerangelegenheit wurde.12 Die Hausfrauenrolle kristallisierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus: Nicht zuletzt die (männlichen) bürgerlichen Eliten beschränkten den Wirkungskreis von Frauen zunehmend auf den häuslichen Bereich. Dem weiblichen Geschlecht sprachen sie spezifische Eigenschaften zu und andere ab: So galten etwa Empathie und Fürsorge viel stärker als weibliche Qualitäten wie Intelligenz. Betont wurden die biologischen Faktoren, die die Frau zur Mutter machen. Trotz der kontinuierlichen Zunahme der Präsenz von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nach dem Zweiten Weltkrieg, hielt sich die im vorherigen Jahrhundert errichtete geschlechtsspezifische Arbeitsteilung weiter. Die Frauen, die beruflich tätig wurden, arbeiteten hauptsächlich in gewissen, als «weiblich» angesehenen Wirtschaftszweigen und Berufen, oder sie fanden sich auf den unteren Hierarchiestufen wieder.

      Frauenanteil unter den Spitzenmanagern der 110 grössten Schweizer Unternehmen, 1910–1980 (in Prozenten)

1910(N=809) 1937(N=739) 1957(N=828) 1980(N=887)
0,5 0,8 0,6 2,2

      Stichprobe: Verwaltungsratsmitglieder und Generaldirektoren.

      Neben Faktoren, die in allen europäischen Ländern wirksam waren, trugen auch einige spezifische Merkmale der Schweizer Eliten zum starken Ausschluss von Frauen bei. So ist etwa der Offiziersgrad in der Schweizer Armee ein Kriterium, das Männer bevorteilt, da der Militärdienst nur für sie obligatorisch ist (Kapitel 4). Die Rekrutierung von Verwaltungsratsmitgliedern über ein Kooptationssystem – bei dem schon amtierende die neuen Mitglieder bestimmen – ist ebenfalls ein Hindernis für Frauen. Dieses System stützt sich auf eine «Club-Logik»: Die Bisherigen wählen Personen aus, die denselben sozialen Kategorien angehören wie sie selbst. Frauen, aber auch Personen aus sozial bescheideneren Verhältnissen sind dabei benachteiligt. Nicht zuletzt war auch der bis in die frühen 1970er-Jahre währende Ausschluss von der politischen Mitbestimmung ein Grund, weshalb der Aktionsradius der Frauen auf die häusliche Sphäre begrenzt war.