Grüne Seelen. Über die Weisheit der Natur. Thomas Lambert Schöberl

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Название Grüne Seelen. Über die Weisheit der Natur
Автор произведения Thomas Lambert Schöberl
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783863746001



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Medikamente zu verordnen, Operationen durchzuführen oder Infektionskrankheiten im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes zu behandeln. Außerdem verbietet die Sorgfaltspflicht, aber auch unsere Berufsethik, eine alleinige Therapie durch einen Heilpraktiker bei schweren Erkrankungen wie z.B. Krebs oder einer Schizophrenie. Es ist selbstverständlich, dass eine naturheilkundliche Behandlung begleitend zu einer Therapie und Überwachung durch den Arzt stattfindet. Medial aufgebauschte Einzelfälle straffälliger Therapeuten und Betrüger sind die absolute Ausnahme, die den Berufsstand von 47.000 gut ausgebildeten Heilern diskreditiert. Für Kritiker und Gegner ist solch eine Berichterstattung natürlich eine Steilvorlage.

      Die Tätigkeiten von Ärzten und Heilpraktikern sind also grundverschieden. Während mein Arzt für die akute Behandlung und den Ausschluss schwerer Erkrankungen zuständig ist, meinen Knochenbruch oder meinen Herzinfarkt behandelt, sind Heilpraktiker häufig eine Anlaufstelle für die von der Schulmedizin sogenannten »austherapierten Patienten«. Wenn chronisch erkrankte Patienten bei der Höchstdosis ihrer schulmedizinischen Medikation angelangt sind, erwacht oft der Wunsch nach einer Unterstützung zur Lebensumstellung. Heilpraktiker verhelfen dem Patienten zur Selbsthilfe und geben ihm Werkzeuge an die Hand, um ein aktiver, selbstbestimmter Patient zu werden. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit zurückzuerlangen ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg der Heilung (dazu später mehr). Schließlich erscheint es einleuchtend, dass Heilpraktiker mehr Zeit mit dem Studium von Kräutern, spirituellen Lehren und alternativen Therapieformen zubringen, als der Ausbildung von Ärzten nach- und mit ihr zu wetteifern.

      Bei einer guten Versorgung von kranken Menschen braucht es Vielfalt. Wir brauchen Hebammen, Ärzte, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter, Heilpraktiker, Pfleger und viele mehr, wenn wir vielfältige und ganzheitliche medizinische Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft finden wollen. Auch findet Medizin nicht abgekapselt von den ökologischen, ökonomischen und demografischen Entwicklungen der Welt statt. In einer überakademisierten Welt und einer immer weiter voranschreitenden Spezialisierung auf Einzelgebiete braucht es auch Therapeuten, deren Expertise in der Vernetzung und Vermittlung einzelner Disziplinen liegt – diese Arbeit leisten wir Heilpraktiker.

      Nicht selten kommt es vor, dass ich für frustrierte und hoffnungslose Patienten der erste Therapeut bin, der ihnen die Ursache und die Bedeutung ihrer schulmedizinischen Diagnose verständlich erklärt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Patienten nach vielen Jahren schulmedizinischer Behandlung die Bedeutung ihrer Befunde und Diagnosen nicht verstehen, kennen oder einschätzen können. Grundvoraussetzung eines Genesungsprozesses sollte aber doch die Aufklärung sein? Heilung beginnt immer am und mit dem Patienten, das heißt, dass Heilung immer eine enge, vertrauensvolle Beziehung zwischen Patient und Therapeut voraussetzt und dass körperliche Untersuchung, Berührungen und seelisch-geistige Unterstützung immer Hand in Hand gehen müssen. Zu jeder Zeit sollte der Patient mit all seinen Anlagen, Bedürfnissen, Sorgen, Hoffnungen und Weltanschauungen ernst genommen und aktiv in therapeutische Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden. Das bedeutet, dass Sie zum Experten Ihrer Erkrankung werden müssen, um die Dringlichkeit Ihrer Compliance (Bereitschaft eines Patienten zur aktiven Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen) zu verstehen. Einen wichtigen Teil meiner Praxistätigkeit macht somit auch die Aufklärung über Diagnosen sowie die Förderung von Motivation und Hoffnung aus. Ja, der Mensch braucht Hoffnung. Diesem Thema soll in diesem Buch aber ein eigenes Kapitel gewidmet werden.

      Eine weitere Aufgabe, der Heilpraktiker nachkommen, ist die Kontrolle der Medikamenteneinnahme unserer Patienten. Viel zu oft muss ich feststellen, dass Patienten im guten Willen die Dosierung ihrer Medikamente selbst bestimmen. Ich bin es, der den Patienten von diesen Experimenten abrät und sie davon überzeugt, beim Hausarzt vorstellig zu werden.

      Ein weiteres Problem stellt die Kommunikationslücke zwischen den Hausärzten und den vielen verschiedenen Fachärzten chronisch erkrankter Patienten dar. Es ist nahezu der Regelfall, dass ich Patienten darauf hinweisen muss, dass ihre ärztlich verordneten Medikamente untereinander unverträglich sind und dass in ihrer Kombination das Risiko von unerwünschten Wechselwirkungen besteht. Diese Überprüfung braucht Zeit, Expertise und Muße – rettet aber im Ernstfall Leben.

      »Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee,

      deren Zeit gekommen ist.«

      Victor Hugo

      Sicherlich ist Ihnen nicht entgangen, dass Heilpraktiker im Rahmen medialer Berichterstattung immer wieder als gefährliche Kurpfuscher an den Pranger gestellt werden. Dass ein ganzheitliches Weltbild im Gegensatz zu einem materialistischen Gesellschaftssystem stark polarisierend wirkt, ist klar. Leider wird im Diskurs nicht miteinander gestritten und argumentiert, sondern einseitig berichtet und bewusst falsch informiert. Die Geschichte der Heiler und Heilpraktiker ist geprägt von Verfolgung, Diffamierung, Machtmissbrauch und Patriarchat.

      Es überrascht mich nicht, dass die Schulmedizin über Jahrhunderte hinweg und bis heute eine Männerdomäne war, die es sich seit jeher vehement zum Ziel gesetzt hat, die überwiegend weibliche, selbstbestimmte Naturheilkunde auszulöschen. Bei dieser Hexenjagd geht es nicht um Patientenwohl, sondern um den Machterhalt und das Aufbäumen eines langsam bröckelnden, ewig hungrigen, nach endlosem Wachstum lechzenden kapitalistischen Systems.

      Unbestritten sind auch viele Frauen an diesem System beteiligt, doch fällt deutlich auf, dass die Besetzung von Machtpositionen in einem männlich dominierten Gesellschaftssystem ein starkes Maß an Anpassung und Leugnung weiblicher Werte und Temperamente voraussetzt. Innerhalb der etablierten Machtstrukturen müssen auch »Frauen ihren Mann stehen«, wenn sie sich am Spiel beteiligen möchten.

      Nehmen wir einmal an, die jahrzehntelangen Bestrebungen der Ärzteschaft, den Heilpraktikerberuf abzuschaffen, würden sich im politischen Prozess irgendwann durchsetzen. Welche Auswirkungen hätte das auf die über 128.000 Patienten, die sich täglich einer heilpraktischen Behandlung anvertrauen? Die Folgen liegen auf der Hand. Heilpraktiker leben von der Empfehlung zufriedener Patienten. Ihr Erfolgsrezept ist die spürbare und nachhaltige Genesung ihrer Patienten. Untersucht man die durchschnittliche Höhe einer Berufshaftpflichtversicherung für Heilpraktiker, stellt man fest, dass diese einen jährlichen Betrag von 200 Euro kaum überschreitet. Das verdeutlicht, wie wenig Patienten durch naturheilkundliche Heilverfahren tatsächlich zu Schaden kommen. Mit der Abschaffung des Heilpraktikerwesens würden also Hunderttausende von chronisch kranken und schulmedizinisch austherapierten Patienten ihre vertrauensvolle Anlaufstelle verlieren.

      Heilpraktiker entlasten unser Gesundheitssystem und sind systemrelevant. Unser Gesundheitssystem leidet an einer Unterversorgung im ländlichen Raum, während sich in den Städten eine Privatisierungswelle von Facharztpraxen abzeichnet, die einen Facharztbesuch ohne monatelange Wartezeit für Normalbürger unerschwinglich macht. Ärzte siedeln sich vor allem in besten Lagen an. Wer will schon im sozialen Brennpunkt praktizieren? Der Beruf des Arztes verspricht Prestige, hohe finanzielle Einkünfte und Einfluss in politischen und wirtschaftlichen Kreisen. Die moralische und ethische Perspektive wurde von zu vielen Mitgliedern dieser Zunft aus den Augen verloren. Forschernatur und Ethos, Menschenliebe und der Glaube an den hippokratischen Eid sind der Profitgier und der Selbstprofilierung gewichen – die Menschlichkeit der Reduzierung in Nummern und Vermessung in Zahlen.

      Neben dem Recht auf eine freie Therapiewahl würden viele Patienten auch einer nachhaltigen und ressourcenschonenden Medizin beraubt. Durch eine fundierte naturheilkundliche Behandlung können teure, oft erfolglose Operationen vermieden werden, Körpergewicht reduziert, Bluthochdruck, Verdauungsbeschwerden, chronische Entzündungen, Diabetes mellitus Typ II, chronische Erschöpfung und Schmerzen gelindert werden. Dadurch sinkt die Häufigkeit von Arztbesuchen, die Einnahme nebenwirkungsreicher Medikamente kann gesenkt und die Lebensqualität vieler Patienten gesteigert werden. Das Motto »weniger ist mehr« findet in einem privatisierten Gesundheitssystem leider kaum Anwendung. Auch würde eine naturheilkundliche Prävention die Krankenkassenbeiträge massiv senken und Folgekosten würden vermieden. Doch das ist wiederum ein schmerzlicher Dorn im Auge des privatisierten, auf Wachstum ausgerichteten Systems. Ärzte sollten die Eigeninitiative ihrer Patienten begrüßen und sich darüber freuen, dass ihnen viele Heilpraktiker den Rücken für die Behandlung schwerwiegender akuter Erkrankungen freihalten.