Deine Zeit läuft ab. Bruno Heini

Читать онлайн.
Название Deine Zeit läuft ab
Автор произведения Bruno Heini
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839268964



Скачать книгу

Körper pumpen. Mein eigenes schafft heute nicht mal zwei.« Er biss sich auf die Unterlippe und zögerte. »Nachts ist die Angst zu sterben am schlimmsten. Auch meine Mutter tut deswegen kaum mehr ein Auge zu.«

      Als er dies sagte, fiel Palmer in seinen Augen eine Traurigkeit auf, die ihr bis dahin entgangen war.

      »Ich befürchte, wenn ich sterbe, wird auch das Leben meiner Mutter beendet sein. Es ist die Hoffnung auf ein Spenderorgan, die sie am Leben hält. Sie sagt, sie will alles unternehmen, um mir zu einem neuen Herzen zu verhelfen.«

      »Du sprichst an auf ihren Besuch bei der Party deines Vaters?«, fragte Palmer mit belegter Stimme. Aber Lenny antwortete nicht, betrachtete stattdessen das Windspiel mit echten, bedrohlich wirkenden Glasaugen, die an Fäden zappelten, da ein Luftstrom durchs offene Fenster hereinquoll und sie anstieß.

      »Leider keine Neuigkeiten aus dem Krankenhaus. Susa geht’s noch keinen Deut besser.« Hannah setzte sich zu Lenny auf die Bettkante, beugte sich vornüber, als plagten sie Magenschmerzen, und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Nach einigen Augenblicken drückte sie Lenny einen Kuss auf die Wange, bevor er sich ihr entzog. Als sie den Kopf schräg hielt, erhaschte sie einen Blick auf den Buchrücken des Kamasutra.

      »Liegt dieses blöde Buch noch immer hier rum?« Sie verlagerte ihr Gewicht noch stärker auf die Hände, neigte ihren Oberkörper ganz nach vorne und blickte Lenny tief in die Augen.

      »Was kann ich dafür, dass für deine Geschmacksrichtung bisher niemand einen ebenbürtigen Leitfaden geschrieben hat.« Er verdrehte die Augen, während er sprach.

      »Ich frage mich, wie wir dich aus diesem Zimmer an die Sonne kriegen.« Palmer hatte gesehen, wie an Hannahs Schläfe eine Ader zu zucken begann, deshalb versuchte sie, das Gesprächsthema in eine weniger belastete Richtung zu bewegen.

      »Verdammt, du hast gut reden. Ihr Gesunden meint, ich liege hier nur zum Spaß faul rum.«

      4

      Lenny atmete gehetzt, deshalb wartete Palmer, bis er wieder zur Ruhe gekommen war.

      »Wie genau hat denn Susas Plan ausgesehen?«

      »Letztes Jahr sind die Klatschspalten voll gewesen von Diethelms High-Society-Party, deshalb hat sich Susa rechtzeitig beim Hotel als Bedienung für die diesjährige Veranstaltung beworben. Ihre Idee war, unerwartet vor ihm aufzutauchen, um an ihn ranzukommen. Sie wollte endlich mal mit ihm sprechen, ihm, wenn nötig, eine Szene machen.«

      »Ihn um Geld anflehen. Ja, so viel habe ich verstanden. Aber angenommen, es hätte geklappt: Wie könnte sein Geld dir ein neues Herz verschaffen?«

      Lenny hob kapitulierend die Hände und schwieg, während es Palmer langsam dämmerte.

      »Moment. Dich mit Geld an die Spitze der Empfängerliste zu rücken, bedeutet, jemanden zu bestechen. Ihr habt sie doch wohl nicht alle.« Sie wedelte mit ihrer Hand so heftig, dass die durch die Sonne sichtbaren Staubpartikel in der Luft tanzten. »Verdammt.« Sie presste die Lippen aufeinander und fühlte, wie ihre Wangen vor Wut heiß wurden. »Seid ihr kriminell oder was? Jemanden zu schmieren, ist alles andere als in Ordnung. Zudem schnappt ihr einem anderen Patienten das Herz vor der Nase weg. Was, wenn dieser deswegen stirbt? Und ich soll euch helfen? Da würde ich mich ewig schuldig fühlen.«

      »So ist das nicht.« Lenny blickte Palmer eindringlich an. »Klar beabsichtigen wir nicht den Tod eines Kranken. Wärst du selber betroffen, kämen dir vielleicht noch ganz andere Gedanken. In meiner Situation kann vielleicht nur noch Geld etwas bewirken.« Mittlerweile klang er ziemlich gereizt. »Es herrscht ein riesiger Mangel an legal erhältlichen Organen. Viele auf der Warteliste sterben, bevor man ein passendes Organ findet.«

      Palmer legte den Kopf in den Nacken und blickte Lenny über den Nasenrücken hinweg an. »Quatsch, das funktioniert nie. Die Empfängerliste wird international geführt, ein riesiger Apparat. Kein Geld der Welt würde reichen, um all die Leute an den Schalthebeln in ganz Europa zu bestechen. Abgesehen davon kann ich mir nicht vorstellen, dass sich auch tatsächlich jeder Einzelne schmieren lässt. Zumal ihr sicher nicht die Ersten seid, die das versuchen.« Palmer entfernte einen Fussel von ihrer Hose und blickte nach unten. »Schlagt euch meine Hilfe aus dem Kopf. Ich bin ein Fan von Fair Play. In jeder Hinsicht.«

      Diese Worte schienen Hannah aufzuscheuchen, denn sie wandte sich jetzt Palmer zu. In ihrem Gesicht lag ein Ausdruck, für den Palmer keine beschreibenden Worte parat hatte. »Ein Todkranker hat nichts mehr zu verlieren. Verständlicherweise ist ihm dann fast jedes Mittel recht. Deshalb hat sich ein weltweiter Schwarzmarkt entwickelt. Reiche Menschen kaufen sich Organe in Entwicklungs- und Schwellenländern. In China kriegst du ein Alles-inklusive-Paket für das Organ eines Verkehrstoten, dessen Verpflanzung inbegriffen, für eine Viertel Million. Falls du das Geld aufbringst. Klar, illegal ist es hier wie dort. Die wissen schon, weshalb. Wie kann ein Krankenhaus die Operation sauber planen und den Empfänger auf Termin hin einfliegen, wenn man im Voraus noch gar nicht weiß, ob dann tatsächlich ein Verkehrstoter mit exakt passendem Herzen auf dem Schragen liegt. Welch ein Zufall. Vergiss nicht, es bleiben nur vier Stunden von Feststellen des Hirntods bis zur Verpflanzung.«

      »Susas Idee mit Bestechung ist da viel humaner. Kein Mensch wird auf Bestellung von der Straße geraubt und ausgeweidet.« Lenny zuckte kläglich die Schultern, verfiel dann aber in Schweigen.

      »Palmer, wie kannst du nur annehmen, wir wollten mit solchen Machenschaften etwas zu tun haben?« Hannah blickte Palmer ernst in die Augen. »Susas Plan war ein anderer.« Sie setzte sich zu Lenny aufs Bett.

      »Viel Zeit bleibt dir nicht, und ich marschiere hier raus.«

      »Auf der Spenderseite läuft dies wie folgt: Zwei erfahrene Ärzte stellen unabhängig voneinander den Hirntod des Patienten fest. Also null Aktivität messbar in Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm. Ein totaler, nicht behebbarer Ausfall. Bei unverletztem Hirnstamm kommt es vor, dass das Herz noch schlägt, beispielsweise nach einem Unfall mit zerstörtem Hirn. Ein Hirnschlag oder eine Hirnblutung mit tödlichem Verlauf kämen auch infrage.«

      Palmer rollte den Stuhl vom Arbeitstisch zu Lennys Bett, setzte sich, verschränkte die Arme und lauschte mit zusammengepressten Lippen Hannahs Worten.

      »Mit künstlicher Beatmung wird der Kreislauf in Schwung gehalten, damit das Organ keinen Schaden nimmt. Im Weiteren ist die vorausgehende Einwilligung des Toten zur Organspende notwendig. Oder jene der nächsten Angehörigen. Als Susa und Lenny dies im Internet recherchiert haben, ist ihre Zuversicht auf null gesunken. Ihnen war klar, diese strikten Regeln würden sie von außen kaum brechen können.«

      »Was jetzt? Wo käme Diethelms Geld ins Spiel?« Palmer zog die Luft tief ein und erkannte, dass Lenny den Augenkontakt mied. »Ich will alles wissen.«

      »Jetzt kommt’s. Wir haben im Internet einen anderen Weg gefunden, auf der Empfängerseite. Ein Fall in Deutschland hat Aufsehen erregt. Die Ärztekammer hat sich damals rausgewunden mit dem Hinweis, keinem der Ärzte sei es ums Geld gegangen, und niemand habe sich bereichern wollen. Das Wettbewerbsdenken unter den Kliniken, das Streben nach Ruhm und Ehre habe zum ganzen Schlamassel geführt. Offenbar gilt die Transplantationsmedizin innerhalb der Ärzteschaft als Königsdisziplin.«

      »Mach vorwärts.« Palmer schnaubte und wartete ohne geringste Spur eines Lächelns auf ihren Lippen.

      Lenny suchte Palmers Blick, und die traurigen Augen des Jungen berührten etwas in ihr.

      »Mein Leben hat bereits mehrmals am seidenen Faden gehangen. Ich war auf der Intensivstation der höchsten Dringlichkeit zugeordnet. Aber kaum ist es mir dann etwas besser gegangen, haben sie mich nach Hause geschickt. Schön und gut. Nur falle ich hiermit zurück in die einfache Dringlichkeit, sodass ein verfügbares Herz meiner Blutgruppe jemand anderem eingepflanzt wird. Aber: Es gibt da gewisse Medikamente. Verabreicht durch einen Arzt täuschen sie Analysewerte vor, die eine höchste Dringlichkeit ausweisen. Dies hat eine sofortige Aufnahme auf der Intensivstation zur Folge. Es geht noch einfacher. Der Arzt schreibt den Patienten sogar ohne Medikament bloß auf dem Analysepapier kränker, als er ist. Auch so rutscht er auf der Empfängerliste nach oben, ohne tatsächlich aus dem letzten