Herbarium, giftgrün. Gert Ueding

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Название Herbarium, giftgrün
Автор произведения Gert Ueding
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783520753915



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weiße Wand mit einem Tor eine Rolle spielte. Sie habe hindurch gehen wollen, aber da habe sich das Tor plötzlich verschlossen.«

      Kersting, als Maler für solche Geschichten empfänglich, war der Traum aber doch etwas zu viel, eine Drehung, die das Rätsel noch etwas unheimlicher machen sollte, es dadurch aber in Zweifel zog. Ein Fehler, in den Kinder und Politiker gerne verfallen.

      Jana stimmte zu. Ihre großen, leicht schräg geschnittenen Augen mit Wimpern, etwas dunkler als ihre Haare, blickten ihn jetzt ernst an.

      »Müssen wir weiter über Verena reden? Mir kommt es vor, als würden wir das Tuch von ihrem toten Körper wegziehen. Wie man das immer in den Krimifilmen sieht, wenn ein Mordopfer identifiziert werden muss. So hatte ich mir unser Gespräch nicht vorgestellt. Lassen wir sie ruhen. Die Polizei hat nichts gefunden, jetzt wird alles wieder aufgerührt.«

      »Wir können über das Porträt reden, ich habe es ernst gemeint: ich möchte Sie malen.«

      »Erzählen Sie erst einmal etwas von sich. Ich weiß ja viel zu wenig von Ihnen, bin wissbegierig wie Elsa von Brabant …«

      Sie lachte ihn an, wurde aber plötzlich wieder ernst, dann ein wenig rot, als ihr bewusst wurde, dass die Anspielung mehrere Zweideutigkeiten eröffnete. Kersting rettete sie, indem er einfach zu erzählen begann.

      Von der Schulzeit in Krefeld und wie er für Beuys geschwärmt, sogar an seinen Aktionen teilgenommen hatte (»Wo es nur ging, haben wir Bäume gepflanzt, wie er selber, damals bei der Dokumenta in Kassel. Manchmal mit seiner Förderung, manchmal in seinem Geiste.«) Wie er begonnen hatte, diese Aktionen zu zeichnen. Dann sein Studium an der Kunstakademie und bei dem Bense-Nachfolger, dem Philosophen Hubig in Stuttgart. Wie er dann nach Tübingen gekommen war, seine philosophischen Studien fortgesetzt und entdeckt habe, dass die Philosophie voller Bilder stecke, dass es eigentlich nichts in ihr gebe, was nicht auch eine Bildbotschaft enthielte. »Hegels Maulwurf sous la terre war mein erster Versuch, noch sehr nah an der Vorstellung. Und die List der Vernunft, die male ich auch noch. Überhaupt Hegel! Am liebsten würde ich die Phänomenologie des Geistes in meine Bilder übersetzen.«

      Kersting hatte sich in Begeisterung geredet und jetzt wich Jana kaum einmal mit dem Blick von seinen enthusiastisch glänzenden Augen. Der Kriminalfall schien weit weg und sollte ihnen doch schon am nächsten Tag sehr nahe rücken.

       4 Hinter den Kulissen

      »Es wird brenzlig, wir dürfen jetzt nicht die Ruhe verlieren.«

      Der Sprecher hatte sich näher zu seinem Gesprächspartner gewandt und die Stimme gesenkt, obwohl bis zum nächsten besetzten Tisch im Lokal eine große Lücke war, sie beide außerdem in einer Nische saßen. Auf den ersten Blick zwei Geschäftsfreunde im dunkelblauen Anzug, trotz des warmen Septembertages. Sie mochten um die fünfzig sein, gepflegte Erscheinungen. Der die Warnung mit leiser Stimme ausgesprochen hatte, verriet durch fahrige Handbewegungen die Erregung, die ihn untergründig beherrschte. Er hatte rötlich blondes strähniges Haar, eine ungesunde weiße Hautfarbe und rot geränderte helle Augen und sah aus wie ein Archivar, der selten ans Tageslicht kommt.

      Der andere, etwas korpulenter als sein Gegenüber, dunkelhaarig und mit einem eckigen Kinn, versuchte, beruhigend zu lachen, kniff dabei aber die braunen Augen zusammen, so dass man auch ihm eine gewisse Unruhe anmerkte, als er antwortete.

      »Es ist alles auf sicheren Konten in Luxemburg, jeweils keine großen Beträge, mach dir bloß keine unnötigen Sorgen.«

      »Sicher ist heute gar nichts, mein Lieber, das weißt du genau. Nicht mal mehr in der Schweiz. Aber darum mache ich mir die geringsten Sorgen. Viel zu viele Leute sind ganz oder teilweise informiert und denken sich ihr Teil. Viel zu viele!«

      In seiner Stimme schwang ein panischer Unterton. »Deine Assistenten, meine auch, unsere Sekretärinnen, sogar die wissenschaftlichen Hilfskräfte haben wir schließlich eingesetzt – du ja auch. Und ohne Dr. Decker hätten wir die Aufträge gar nicht bekommen. Oder glaubst du etwa, dass ›Wiemann und Krepp‹ von sich aus auf uns gekommen wären? Auch die haben in ihren Forschungsabteilungen einige Mitwisser an unserem Unternehmen sitzen!«

      »Das schadet gar nichts. Die wissen bloß von einer wissenschaftlichen Kooperation. Da schöpft niemand Verdacht. Geld gezahlt, Ergebnisse bekommen, basta!«

      »Naja, schon. Ich bin auch mehr beunruhigt über unsere engeren Mitarbeiter. Werner Fink hat mich neulich abgepasst und um ein Gespräch gebeten. War sehr merkwürdig. Berichtete von finanzieller Klemme und ob er nicht so beschäftigt werden könne, dass für ihn zusätzlich zum mageren Gehalt etwas dabei rausschaut. ›Woran haben Sie denn gedacht?‹, fragte ich. ›Gutachten zum Beispiel‹, erwiderte er oder ›Beteiligung an einem Drittmittelprojekt, dann aber nicht als Universitätsangestellter.‹ Geht nicht, habe ich ihm auseinandergesetzt. Was aus Drittmitteln erwirtschaftet wird, geht an die Universität. Hat gelacht wie einer, der’s besser weiß und ist aufgestanden. ›Denken Sie an mich, wenn doch eine Möglichkeit auftaucht!‹ Sagte es und war verschwunden.«

      »Das heißt noch gar nichts. Darin kann ich keine fiese Anspielung sehen. Und unter uns: das Gehalt unserer Mitarbeiter ist schäbig. Der Staat fördert doch geradezu die Selbsthilfe. Nimm auch unsere Verhältnisse! Was wird in der Wirtschaft gezahlt und was bekommen wir monatlich aufs Konto? Und wenn man den Universitäten nicht genug Forschungsmittel gibt, müssen wir uns eben anderswo umsehen.«

      Das bestellte Essen kam und unterbrach das Gespräch. Man unterhielt sich über Restaurants in und um Frankfurt und darüber, dass hier in der etwas abgelegenen »Gerbermühle« mit ihrer guten Küche und diskreten Bewirtung sozusagen ideales Geschäftsklima herrsche.

      Als sie ihre Rechnungen bezahlt hatten und dem Ausgang zustrebten, erhob sich an einem der hintersten Tische des langgestreckten Raumes eine Frau, wohl Mitte dreißig, hoch und schlank gewachsen, mit langen brünetten Haaren. Eine gepflegte Erscheinung im modisch geschnittenen Hosenanzug. Sie hatte Kopfhörer getragen, nahm sie ab und verstaute sie in ihrer großen Handtasche. Sie verließ mit zügigem, aber nicht eiligem Schritt den Speisesaal, trat hinaus. Das Tuckern zweier Schlepper klang vom Main herauf.

      Vor der Tür des Restaurants zog sie ihr Smartphone aus der Tasche, photographierte die aushängende Speisekarte, wandte sich aber rechtzeitig zum Parkplatz um, auf dem die beiden Professoren gerade auf einen größeren BMW zusteuerten. Ein ganzes Stakkato von Klicken verriet, dass sie die beiden beim Einsteigen in einer Serie von Photos festhielt. Als der BMW rückwärts setzte, kehrte sie sich nochmals der Speisekarte zu, als wolle sie sich eine Einzelheit besonders einprägen, ging dann auf einen weißen VW-Beetle Cabrio zu, stieg ohne große Eile ein, wendete und verließ den Parkplatz im Schritttempo. 45 Minuten später konnte man das Auto auf dem weitläufigen Parkgelände des FAZ-Verlagsgebäudes einparken sehen. Die Fahrerin war noch nicht ausgestiegen, da rangierte ein blauer Passat in die Lücke neben ihr. Sie waren Kollegen, das verrieten schon die F - AZ-Zulassungsschilder an ihren Autos, und begrüßten sich freundlich.

      »Hallo, Sigrid. Immer noch am selben Fall dran?« fragte der Neuankömmling, ein untersetzter, gerade noch nicht korpulenter junger Mann, den man sich eher in einer Kantinenküche als in einer Zeitungsredaktion vorgestellt hätte.

      »Und wie! Ein aufschlussreiches Mittagessen, von dem ich gerade komme. Schade, dass meine Aufzeichnung noch nicht gerichtsverwertbar ist.«

      »Bist du so nahe herangekommen?«

      »Ist heute ja gar nicht mehr nötig. Ich saß bestimmt 15 Meter entfernt, beste Aufnahmequalität.«

      »Und was jetzt?«

      »Muss ich mit dem Chef besprechen. Wahrscheinlich werde ich die Informationen als Vermutung präsentieren, nach komplizierter Recherche und so … In der Art eben. Oder zunächst auf Halde legen, weiter machen und später mit einbauen, wenn ich auf verwertbare Informationen gestoßen bin, zum Beispiel von einem Informanten, der ausgestiegen oder unzufrieden oder einfach ein ›glücklicher Verräter‹ ist, wie wir die Typen nennen. Darauf wird es wahrscheinlich hinauslaufen.«

      »Ob