Warum ich weder Calvinist noch Arminianer bin. Wilfried Plock

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Название Warum ich weder Calvinist noch Arminianer bin
Автор произведения Wilfried Plock
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783945973158



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Schöpfung über Golgatha bis zur Vollendung. Diesen nennen wir Heilsgeschichte. Sie untergliedert sich in verschiedene Heilszeiten, über deren Zahl man unterschiedlicher Meinung sein kann. Viele folgen Scofields Einteilung in sieben Haushaltungen oder Heilszeiten.

      Hermeneutische Systeme

      Natürlich ist mir bewusst, dass unser aller Bibelverständnis durch viele Einflüsse geprägt wurde. Wir alle haben so genannte »hermeneutische Vorverständnisse« . Diese gilt es zu erkennen und abzulegen. Mit bestimmten Denksystemen können wir die Komplexität der biblischen Lehre nicht erfassen. Systemdenken steckt Gott unweigerlich in eine Schublade. Zurück zur ganzen Schrift heißt darum die Devise!

      Karl-Heinz Vanheiden und Andreas Ebert zeigen in ihrem Buch Systemtreu oder bibeltreu? – Die Auswirkungen von überbetonten Auslegungsprinzipien mit messerscharfer Logik das Wesen des Systemdenkens auf. Auch wenn die Autoren in erster Linie die hermeneutischen Schwächen in der Brüderbewegung aufdecken wollten, so kann man ihre Erkenntnisse durchaus auch auf andere Lehrgebiete anwenden.

      Systemdenken

      Karl-Heinz Vanheiden schreibt:

      Unser menschlicher Verstand ist auf systemisches Denken hin angelegt. Wenn wir die Dinge um uns herum nicht in bestimmte Systeme einordnen können, verstehen wir sie nicht. Genauso ist es mit der Bibel. Die Aussagen einzelner Bibelstellen ordnen wir systematisch zusammen. Daraus gewinnen wir biblische Lehre: die Lehre über Gott, die Lehre vom Menschen, über Erlösung, von der Gemeinde usw. Alle diese Lehren könnte man wieder in ein größeres System verschiedener kirchlicher Gruppierungen einordnen; also eine protestantische, katholische, baptistische oder Brüdertheologie. Solch ein System besteht in der Kombination verschiedener biblischer Lehren, die zu einem Ganzen zusammengeschlossen worden sind.

      Es gibt nur ein Problem: Diese Systeme sind menschliche Denkkonstruktionen, von denen einerseits eine große Faszination ausgeht, die aber andererseits enge Grenzen setzen, die Schrift verkürzen und das eigenständige Denken einschränken. Ich will nun mit einigen Thesen versuchen, einige charakteristische Merkmale eines Denkens in geschlossenen Systemen dem biblischen Denken gegenüberzustellen.

      1. Wer im System denkt, kennt die Ergebnisse des Systems. Er weiß z. B., wann die Entrückung stattfinden wird und wie man das Gleichnis vom Schatz im Acker auslegen muss. Wer versucht, biblisch zu denken, kennt die Grundlage, die Schriftstellen, auf die man sich bei der betreffenden Lehre gründet, und die Regeln, die man bei der Auslegung beachten sollte. Manchmal kommt er zu den gleichen Ergebnissen wie das System, denn die Systeme sind schließlich auch durch Bibelstudium entstanden.

      2. Wer im System denkt, findet z. B. die Antworten auf seine Frage nach Scheidung und Wiederheirat, wenn er die Lehrschriften der Väter studiert. Auslegung ist vorgegeben. Wer versucht, biblisch zu denken, weiß vorher noch nicht, was herauskommt. Es kann sogar sein, dass er andere Antworten findet, als das System vorgibt. Auslegungen werden geprüft.

      3. Wer im System denkt, arbeitet oft mit Behauptungen. Er sagt etwa: dies ist ein Bild für …, obwohl das durch nichts bewiesen werden kann. Wer versucht, biblisch zu denken, akzeptiert nur klare Schriftbeweise und fragt bei seinem Gegenüber oft vergeblich danach.

      4. Wer systemtreu denkt, liest fasst nur die Schriften der Systemväter und verdächtigt jeden, der nicht zu den gleichen Ergebnissen kommt. Wer versucht, biblisch zu denken, liest auch andere bibeltreue Auslegungen und kalkuliert damit ein, dass auch die Väter irren können und prüft alles anhand der Bibel.

      5. Wer im System denkt, studiert natürlich auch die Bibel, aber er liest die Bibel mit der Brille des Systems und kommt überhaupt nicht auf den Gedanken, dass es anders sein könnte. Jedes Detail, das er entdeckt, baut er in das vorgegebene System ein. Neue Überlegungen sind ihm suspekt. Wer biblisch denkt, vertieft seine Schriftkenntnis und entdeckt zu seiner Überraschung manches, was er nicht erwartet hätte und was auch nicht in das vorgegebene System passt.

      6. Wer im System denkt, kennt manchmal auch Bibelstellen, die nicht ins System passen. Wer versucht, biblisch zu denken, stellt sich auch »unpassenden« Aussagen und versucht nicht, sie mit Gewalt ins System zu pressen. Denn dabei wird fast immer die Schrift vergewaltigt.

      7. Wer im System denkt, verkürzt unwillkürlich biblische Wahrheit. Wer biblisch denkt, versucht, die biblische Wahrheit zu erfassen, wie sie ist, auch in ihren scheinbaren Widersprüchen. Er hütet sich davor, die Schrift zu verändern.

      8. Wer im System denkt, für den sind Kompromisse kaum möglich. Extreme Vertreter des Systemdenkens sind typische Sektierer. Außerhalb ihres Systems gibt es für sie nichts mehr. Wer versucht, biblisch zu denken, weiß, wie schwer manche Schriftstellen zu erklären und zu vereinbaren sind. Er weiß, dass er manchmal auf Hilfskonstruktionen angewiesen ist. Das macht ihn vorsichtig, aber deshalb sind für ihn auch andere Hilfskonstruktionen denkbar.

      9. Wer im System denkt, ist davon überzeugt, ganz auf dem Boden der Schrift zu stehen, aber in Wirklichkeit verteidigt er nur das System. Natürlich stimmt vieles in seinem System mit der Bibel überein, ich glaube sogar, wenn ich an die Brüderlehre denke, das meiste. Trotzdem muss ich mich hüten, dem System zu verfallen und es zu stützen. Ich muss mich immer zu den klaren Aussagen der Schrift stellen.

      10. Wer im System denkt, von dem hört man kaum jemals eigene Aussagen, geschweige denn eine neue Sicht, denn er fürchtet, sie könnten nicht systemkonform sein. Er hat immer alles an den Schriften der Väter geprüft. Wer versucht, biblisch zu denken, kann mit Ergebnissen seines Studiums durchaus Schwierigkeiten bekommen, vor allem, wenn er mit systemkonformen Geschwistern zusammenstößt. Er wird schnell verdächtigt, unbiblische Lehren zu verbreiten. Ja, manche sind sehr schnell bereit, den anderen als liberal zu beschimpfen, wenn er mit seinen Ergebnissen nicht ins System passt.

      11. Wer im System denkt, denkt z. B. über Bekehrung und Heilsgewissheit nicht mehr nach, weil sie ihm als selbstverständliche biblische Lehren erscheinen, die sich schon Jahrzehnte festgesetzt haben. Wenn er dann gefragt wird, was die Schrift tatsächlich dazu sagt, wird es gewöhnlich sehr dünn und meist sogar falsch. Wer versucht, biblisch zu denken, muss von der Schrift her neu überlegen, was Gott wirklich will, wenn er von Bekehrung spricht oder von Buße und ob es nicht auch eine falsche Heilssicherheit geben könnte.1

      Die Unausgewogenheit von Systemen

      Mit diesen Gedanken im Hinterkopf wollen wir uns nun an die unterschiedlichen Systeme von Arminianismus und Calvinismus wagen. Sie stehen sich scheinbar diametral gegenüber. Das eine betont die Verantwortung des Menschen – das andere das Handeln Gottes; das eine ist synergistisch (ein menschlicher Beitrag ist nicht ausgeschlossen) – das andere monergistisch (Gott tut alles) usw. Es ist ja verständlich, dass die Reformatoren nach den Jahrhunderten des finstersten Katholizismus mit all seiner Werkgerechtigkeit mehr die Souveränität Gottes betonten. Aber sie gingen m. E. zu weit.

      David Dunlap schreibt von einer Pendelbewegung:

      Diese beiden theologischen Richtungen tendierten dazu, soweit wie möglich voneinander weg zu schwingen, anstatt dass sie versucht hätten, die Schrift in ausgewogener und fairer Weise zu behandeln.2

      Dunlap zitiert C. H. Mackintoshs Ausspruch: »Der Calvinismus ist ein Vogel mit einem Flügel« und fügt hinzu, dass dasselbe auch vom Arminianismus gesagt werden könnte.3 Das ist die Crux mit allen von Menschen erdachten Systemen: Sie schaffen es nicht, die Lehre der gesamten Schrift ausgewogen darzustellen.4 Wenn man im Denken eines dieser beiden Systeme gefangen ist, könnte es sein, dass man bestimmte Bibelstellen automatisch durch die Brille des Systems liest. Arminianisch geprägte Christen lesen manchmal eine Aussage der Schrift und denken beispielsweise sofort: Hier lehren Paulus, Petrus oder Johannes, dass Gläubige wieder verloren gehen können. Calvinistisch geprägte Christen stoßen auf Begriffe wie Erwählung oder auf »das Ziehen des Vaters« und interpretieren die Aussagen