Da ist mehr, noch so viel mehr .... Andrea Volkelt

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Название Da ist mehr, noch so viel mehr ...
Автор произведения Andrea Volkelt
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783898019125



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      Die schrecklichste Nachricht

      Irgendwie parke ich das Auto. Im selben Moment stürmt Sigi von der Haustür zur Straße. In meinem Magen krampft sich alles zusammen. Ich starre auf Sigi. Unfähig zu denken, steige ich aus. Sofort schließt er seine Arme um mich, legt seinen Kopf an meinen. Unterdrücktes Schluchzen. Ich spüre seine Tränen an meiner Wange. Dann flüstert er: »Maxi ist gestorben.«

      »Neeeeeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiiiiiinnnnnnnnnnnnnnnnnn! Bitte, bitte nicht! Lass das nicht wahr sein! Bitte, bitte nicht!«, höre ich mich schreien.

      Sigi hält mich. Trotzdem sacke ich in mir zusammen wie ein nasser Sack. Mein Mann geht mit mir in die Knie. Er lässt mich nicht los.

      Aus meinem Schrei wird ein Wimmern: »Bitte, bitte nicht!« Ich schließe meine Augen, zittere am ganzen Körper.

      Jemand fragt: »Wollen Sie ihre Frau nicht in die Wohnung bringen? Wir begleiten Sie.«

      Kraftlos hänge ich in Sigis Armen und lasse mich hochheben und die Stufen hinauf in die Wohnung tragen.

      Ich sitze im Wohnzimmer auf dem Boden. Jetzt sehe ich, dass viele fremde Menschen bei uns sind.

      Ein Sanitäter fragt mich: »Wollen Sie etwas zur Beruhigung? Ich kann Ihnen aber sagen, dass das die Wirklichkeit nicht ändert. Sie werden es akzeptieren müssen. Die Tablette macht Ihnen nur vorübergehend einen Nebel, aber in die Realität müssen Sie trotzdem zurück.«

      Ich schüttle den Kopf, mehr ungläubig, als dass ich »nein« sagen wollte. Der Sanitäter erkennt dies als eine Ablehnung und verabschiedet sich mit seinem Team. Keine Ahnung, was hier läuft. Ein fremder Mann gibt sich als Seelsorger aus und erklärt mir, dass Maxi aufgrund eines Verkehrsunfalls verstorben sei, gar nicht weit von hier. Hinter Sachrang, schon auf der österreichischen Seite des Berges. Er redet weiter und ich kann nur spärlich folgen. Wortfetzen bekomme ich mit. »Konnte leider nicht eher kommen, das ist jetzt vier Stunden her.« Es ist halb sieben.

      »Kann ich Sie alleine lassen?«, fragt er und ich nicke schwach. Es sind noch zwei Polizisten da. Ein Mann und eine Frau.

      »Können wir eine Kerze anzünden?«, frage ich leise.

      Die Polizistin findet eine Kerze bei uns im Flur, holt sie ins Wohnzimmer und zündet sie an. Sie fragt: »Soll ich jemanden für Sie anrufen?«

      Ich habe keine Ahnung. Sigi erklärt, er hätte gerade meinen Bruder angerufen. Die Schwägerin war am Apparat. Sie kommt. Jetzt steht die Hausärztin da. Sie setzt sich neben mich und sieht mich an. »Ich gebe Ihnen jetzt eine Tablette. Die sollte Sie erst mal etwas beruhigen. Machen Sie bitte den Mund auf.« Ich öffne mechanisch den Mund und schlucke die Tablette. Langsam fühle ich den Nebel um mich herum und gelange in einen seltsamen Zustand. Als würde ich ein Stückchen vom Boden abheben. Jedenfalls fühlt es sich etwas besser an als das, was ich zuvor gefühlt habe.

      Noch mehr Leute treffen ein. Meine Schwägerin ist da, meine Schwiegermutter. Dafür verlassen die Polizisten nach dreimaligem Nachfragen, ob wir sie wirklich nicht mehr bräuchten, die Wohnung. Jetzt lege ich mich auf die Couch.

      Die Ärztin erklärt: »Es wird sich jetzt etwas leichter anfühlen, aber sobald Sie das Gefühl haben, es geht Ihnen nicht gut, oder das furchtbar schwere Gefühl übermannt Sie wieder, rufen Sie mich an. Hier ist meine Handynummer. Sie können mich anrufen, jederzeit, vierundzwanzig Stunden. Melden Sie sich. Ich gehe jetzt. Bis später.«

      Ich weiß nicht, wie ich ins Bett gekommen bin und was genau alles passiert ist oder wer wann unsere Wohnung verlassen hat. Ich liege nur im Bett und weiß, dass der nächste Morgen angebrochen ist. Ich will nicht aufstehen. Ich will nicht. Sigi setzt sich auf meine Bettkante. Er sieht aus wie ein Häufchen Elend – fassungslos, wie gelähmt, unendlich traurig.

      Seine Augen sind feucht. Er sagt: »Komm, steh auf.«

      Nichts

      geht

      verloren …

      Ein Anfang

      Nach meiner Schulzeit im Jahre 1982 trat ich eine Lehrstelle als Bürokauffrau in einem kleinen Familienbetrieb in Rosenheim an. Meine Ausbilderin formte mich nicht nur beruflich. Sie war ein spiritueller Mensch. Das bemerkte ich erst im Laufe der Zeit. Ihre ruhige Art mit Menschen und Situationen umzugehen, faszinierte mich. Neben den Anweisungen fand sie immer wieder Zeit für intensive Gespräche über meine inneren Ziele. Dabei tastete sie sich behutsam vor. Vertrauensvoll sprachen wir über Religionen, Glauben und die Möglichkeit, dass da mehr sein könnte als das, was wir sehen. Bald empfahl sie mir erste Bücher. Neugierig geworden, besorgte ich mir den Lesestoff und nach jeder Lektüre tauschten wir uns aus. Einmal waren es die Nahtoderfahrungsberichte, ein anderes Mal ging es um den Buddhismus und die traditionellen Entwicklungsstufen eines Mönchs. Mit Disziplin, Geduld und innerer Stärke lernte hier mein Protagonist seinen bewussten Zugang zur Seele. Das war für mich eine spannende und bemerkenswerte Lehrzeit.

      Nach zwei Jahren Ausbildung wechselte ich unmittelbar in einen holzverarbeitenden Betrieb. Auch dort fühlte ich mich wohl – egal wie hektisch es wurde – im Team blieb immer Zeit für Spaß und Witze. Und den Duft von frisch verarbeitetem Holz liebe ich heute noch genauso wie damals.

      Im Juli fuhr ich mit meiner Freundin Evi zum Zelten auf die Insel Elba. Mit unserem Camping-Reiseführer in der Hand steuerten wir einen Platz nach dem anderen an. Der Dritte gefiel uns. Die Campingparzellen waren großzügig angelegt und die Waschhäuser modern und sauber. Während wir das Zelt aufstellten, lugten unsere Nachbarn mit zweifelnden Blicken zu uns herüber.

      »Die sind wohl gespannt, ob wir das ohne Hilfe hinbekommen«, flüsterte ich Evi ins Ohr, die neben mir kniete und die Heringe in den Boden drückte. »Aber warte nur, wie sie schauen werden, wenn ich jetzt meinen Gummihammer aus dem Auto hole und die Heringe in den Boden klopfe.«

      Sie grinste.

      Mit einem »Traraaa und fertig« war unsere Baumaßnahme beendet. Vor dem Zelt stellten wir ein Tischchen und die Stühle auf. Mittlerweile war es schon dämmrig. Schnell deckten wir den Tisch und sahen während des Abendessens der rotgefärbten Sonne zu, wie sie im Meer untertauchte. Wir beschlossen unseren ersten Urlaubstag mit einem Gläschen Wein. Für mich fühlte es sich an wie »angekommen sein« und ich war sehr zufrieden. In dieser Nacht schlief ich tief und fest und von Evi hörte ich keinen Laut. Irgendwann riss uns ein Trommeln aus dem Schlaf, vermischt mit einem Heulen und Pfeifen. Es war bereits hell, die Zeltwände über uns flatterten wild. Erschrocken blickten Evi und ich uns um, bis wir endlich verstanden, was draußen vor sich ging: Rhythmisch prasselte ein Platzregen auf die Zeltsegel, als spiele jemand mit einem Schlaginstrument. Zum Glück war unser Zelt dicht und hielt dem heftigen Sturm stand. An Schlaf war trotzdem nicht mehr zu denken. Wir lagen nebeneinander und ließen diese besondere Stimmung auf uns wirken. Mit der Zeit wurde die Musik leiser und der Regen ließ nach.

      Evi krabbelte zum Zelteingang und öffnete den Reißverschluss. Sie lugte hinaus und sagte: »Alles in Ordnung bei uns, aber bei den Nachbarn …«

      Schnell befreite ich mich aus dem Schlafsack und spähte ebenfalls hinaus. Tatsächlich lagen einige Zelte zusammengesunken am Boden, Stangen von Vorzelten waren umgefallen und Planen davongeweht. Langsam krochen die umliegenden Leute aus ihren Quartieren und begutachteten die Schäden.

      Wir saßen schon beim Frühstück, als uns einer der Nachbarn ansprach, ob wir ihm nicht den Gummihammer für die Heringe leihen könnten.

      »Selbstverständlich«, sagte ich, sprang von meinem Stuhl auf und ging zum Auto.

      »Habt ihr vielleicht auch noch ein paar Erdnägel, die ihr uns borgen könnt?«, rief er mir hinterher.

      Ich kramte eine kleine Sammlung aus meinem Kofferraum und überließ ihm das Werkzeug. Man soll doch niemanden unterschätzen, nur weil man jung, blond und ein Mädchen ist, dachte ich und fühlte mich großartig. Mein Vater hatte immer gesagt: »Es kommt nicht immer auf das WAS, sondern auf das WIE an.«

      Am Vormittag spazierten wir bepackt mit Badesachen