Hochzeitsreise nach Riva. Gerhard Gaedke

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Название Hochzeitsreise nach Riva
Автор произведения Gerhard Gaedke
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783701181162



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fünf Jahre. Aber dann war es ja aus und ich war fast ein wenig erleichtert.

      Das Ende war ja doch überraschend, gab es nie Anzeichen davor?, fragte ich Elise.

      Da war der letzte Urlaub mit Franz, und dabei strich sie sich mit beiden Händen durchs Haar. Zuerst wollte er nach Zürich, zwei Tage, er habe seine Eltern doch etwas vernachlässigt. Ihr sei das neu gewesen, er war doch regelmäßig zur Niederlassung nach Basel gefahren und dann eine Nacht länger ausgeblieben, er schaue noch bei seinen Eltern vorbei. Gut, dachte sie, zwei Tage bei seinen beiden Alten, nette, einfache Leute, die sie ins Herz geschlossen hatten.

      Dann aber, so hatten sie es vereinbart, auch einige Tage zur Mama nach Wien. Sie hatte es sich so sehr gewünscht. Diesmal aber nicht alleine, mit Franz, hatte sie ausdrücklich betont. Dr. Brunner, meine Tochter ist mit ihm, dem Dr. Brunner, verlobt. Direktor einer großen Züricher Versicherung – was nicht stimmte, er war damals stellvertretender Gebietsleiter. Charmant wie ein Wiener, betonte sie oft, vielleicht spielte auch der kleine Geschenkkarton mit einigen Tafeln Lindt-Schokolade, die er ihr immer aus Zürich mitbrachte, in diesem Zusammenhang eine Rolle.

      Franz war nun bei diesem letzten Wienaufenthalt unruhig, nervös, schlecht gelaunt. Was solle er da. Dabei hatte sich meine Mutter ein ganz nettes Programm für sie ausgedacht. Am ersten Abend auf den Kahlenberg, mit dieser herrlichen Aussicht auf Wien, die Nacht war sternenklar. Wir beide haben es jedenfalls sehr genossen. Dann einen Tag nach Retz, in die Weinberge, zum Heurigen, das hatte Herr Dr. Brunner immer so gemocht.

      Diesmal wollte Franz nicht mit. Gut. Und am Abend, nachdem wir beide angeheitert heimgekehrt waren, dieser Anruf.

      Wer war es? Ich dachte an seine Gesellschaft, vielleicht war etwas passiert. Und dann seine überstürzte Abreise. Ohne Erklärung. Frag nicht.

      Was hat er?, wollte Mutter wissen. Elise zuckte mit den Achseln und ihre Tränen waren nur der Anfang, die Ouvertüre, Auftakt zu einem Drama.

      Dann war Franz telefonisch nicht mehr erreichbar. Zwei Tage später fuhr sie dann zurück nach Vaduz. Sie spürte, eigentlich wusste sie damals schon, dass da eine andere Frau im Spiel war. In letzter Zeit hatte er ihre Liebkosungen nur irritiert angenommen, vorgegeben, bei Fußballübertragungen eingeschlafen zu sein, und er war nicht mehr ins Schlafzimmer gekommen. Und bei der Frage: Wer war es?, wenn er einen Anruf wegdrückte, gab es keine oder eine unwirsche Antwort.

      Dafür kam eine Woche später ein Brief. Es tue ihm leid.

      Wer?, fragte sie sich. Es war die junge Blonde mit dem üppigen Busen. Seine Empfangsdame in der Filiale Basel. Gerade die, dachte sie sich, als sie es erfuhr. Einmal hatte sie Elise bei einer Veranstaltung, zu der sie Franz mitgenommen hatte, getroffen. Kindfrau, habe sie dabei gedacht. Weißes Rüschchenkleid mit großem Ausschnitt und ein Herzchen-Tattoo auf dem rechten Busen. Mein Gott, Franz, was hatten wir uns alles vorgenommen, dachte sie, die Kinder wollte man einmal nach England zur Ausbildung schicken. Hatte sie ihm zu wenig geboten? Gut, mit Busen- und Pogröße dieser Kindfrau konnte sie nicht mithalten. Vorbei. Ihr schien, dass damals ihre Tränen einen ganzen See hätten füllen können.

      Sie wollte jedenfalls danach weg, zurück nach Wien. Ich lasse sie nicht gehen, Elise, sagte ihr Chef. Und nach einem langen Abend bei ihm zu Hause, an dem dann auch etwas mehr als üblich Alkohol floss, und der liebevollen Umarmung seiner Frau und ihren Tränen beim Abschied, bekam sie Sonderurlaub. Und ein Flugticket nach Paris.

      Am Abreisetag befüllte sie noch einen Abfallsack mit den verbliebenen Sachen von Franz. Zahnbürste, Kamm, Parfum, sein Basenpulver. Das leise ausgesprochene Schwein folgte beim Entsorgen seiner Markenpullover und Maßhemden in einen Textilcontainer.

      Im Hotel in Paris frühstückte sie am ersten Morgen mit einem Franzosen aus Honfleur. Jean, Kinderarzt, den seine Frau vor Kurzem verlassen hatte. Ein Typ, ganz anders als die Männer, die Elise kannte, näher gekannt hatte. Kein blonder Nordmann, nein, schwarzes Haar, nicht größer als 1,70 – ein Aznavour-Typ.

      Den Kongressbesuch sagte Jean sogleich ab und sie bummelten durch Paris. Île de la cité, unten an der Seine entlang, Place de la Concorde, dann nach Montmartre und ein kleines Gebet für Mama in der Kathedrale, danach ein Kaffee in einem kleinen Bistro und zwei Gläser Pastis. In Paris wird die Wende in meinem Leben eingeläutet, sagte sie sich. Mit Jean noch heute ins Bett. Am besten gleich. Und er wollte. Jean. Der Kinderarzt aus Honfleur. Am nächsten Tag, erst gegen Mittag, standen sie auf. Jean schlug eine Busfahrt zum Eiffelturm vor. Sie nickte verträumt. Alles, was er vorschlug, akzeptierte sie. Kunst?, habe er gefragt und sie seine Frage bejaht. Er führte sie in den Louvre. Nach vielen Mona Lisas führte Jean sie ins Modemuseum und zu den Roben von Chanel, Dior und Cardin. Bis Elise ihn bat, sie nach Hause zu bringen. Nach wunderbaren, aber anstrengenden Nächten mit Jean war Kunst pur einfach zu viel. Am vorletzten Tag entführte sie Jean dann noch in den Jardin du Luxembourg. Jean schlug ihr im Schatten eines großen Baumes vor, mit ihm nach Honfleur zu kommen. Statt einer ablehnenden Antwort streichelte sie nur seine Hand.

      Dann war diese Woche zu Ende. In Erinnerung blieb ihr seine Umarmung am letzten Tag, als sie beide nackt am Hotelfenster, diesem typischen französischen Fenster, standen und er ihr ins Ohr flüsterte: wunderbare Frau, auf Deutsch, aber mit diesem französischen Akzent, sanft und gleichzeitig rau gesprochen. Und Elise gestand mir, wenn sie an Jean denke, fallen ihr diese beiden Worte ein.

      Von Jean hast du mir nie erzählt, warf ich ein und schenkte ihr nach. Sie lächelte und streichelte mich, indem sie mit dem Zeigefinger über meinen Unterarm fuhr.

      Danach war sie fast geheilt. Und nach einigen Wochen begann sie die Anzeigen von Partnervermittlungen in der Zeit und der Süddeutschen zu lesen. Sie las von ganz tollen Männern. Arzt, Golfspieler, Jachtbesitzer, 60, jünger aussehend, schuldlos geschieden, Kinderwunsch kein Problem. Mit dem?, dachte sie. Nein, diesen Weg wollte sie nicht einschlagen. Und die Männer in Vaduz? Businessmänner. Sprechen selbst noch in den wenigen Bars vom Vermögen ihrer Stifter und den steuerfreien Ausschüttungen an die Begünstigten. Und haben höchstens einen Blick auf den Hintern der allzu jungen Kellnerinnen. Nicht ihr Fall, beschloss sie.

      Nun zurück zu dieser Woche am Gardasee. Sie genoss die herrliche Nachmittagsstimmung des ersten Tages auf der Terrasse eines Cafés unten am See, was sie auch auf das nunmehr dritte Glas Wein zurückführte. Und sie bemerkte die Blicke der älteren Männer mit ihren weißen Sakkos, die ihre Bäuche nur schlecht verhüllten. Von Männern, denen sie verschwiegene Stiftungen in Liechtenstein zutraute, aber kein verschwiegenes Verhältnis mit ihr. Noch ein Glas zum Vergessen, dann ging sie nach Hause, sie hatte Franz endgültig hinuntergespült. In den See, dabei habe sie etwas zu laut gelacht.

      Noch vor dem Abendessen packte sie ihren Koffer aus. Goethes Italienische Reise, dann einen Kirchhoff, der immer etwas vom Gardasee einbaut, einen Krimi, den ihr die Buchhändlerin empfohlen hatte, Pullover und Windjacke. Gardaseewetter. Die Worte ihres Chefs. Er hatte ihr auch Saló am Westufer empfohlen. In Riva müsse sie ins Ristorante Leon d’Oro. Falls Sie mögen, Risotto mit schwarzen Trüffeln der Norcia. Er war dabei ins Schwärmen gekommen. Und dass er am liebsten mitfahren würde. Verstehen Sie es bitte nicht falsch, hatte er ergänzt.

      Am nächsten Tag regnete es, Nebel lag über dem See. Sie hatte Lust, sich im Leseraum zu entspannen. Dazu hüllte sie sich in ihre Gott sei Dank mitgebrachte Stola, die sie im letzten Herbst in Wien erstanden hatte, und ließ sich auf ein dunkelrotes Sofa neben der Stehlampe fallen. Die anderen Gäste akzeptierten im Laufe der Woche die Inbesitznahme. Wäre es schöner mit Franz?, fragte sie sich noch einmal angesichts des immer stärker werdenden Regens und der Sorge, sich zu langweilen. Sie verneinte, dachte an Jean aus Honfleur und dann vertiefte sie sich, um keine Traurigkeit aufkommen zu lassen, in den Kriminalroman. Er war schlecht geschrieben, unspannend, obwohl auf jeder Seite eine Leiche dazukam. Und den Kirchhoff? Später dachte sie.

      Sie betrachtete den Raum. Blümchentapete an den freien Wänden, rundumlaufende indirekte Beleuchtung, dunkler Holzboden, Fischerbilder vom See. Ihr Blick fiel auf die Bibliothek. Man könne sich gerne etwas ausborgen, Signora Carla lächelte freundlich. Mit dem Finger tippte sie dann einen nach dem anderen Buchrücken an, so, als müsse jedes Exemplar rufen: nimm mich. Dann las sie: Hochzeitsreise nach Riva. Roter Einband, sie hob die Augenbrauen,