Название | Eine Prise Magie (Bd. 1) |
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Автор произведения | Michelle Harrison |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961775446 |
Charlie schmiegte sich näher an sie und weinte noch heftiger. Bettys Mund wurde ganz trocken. Hatte das alles irgendwie mit ihrem Vater zu tun? Wollte man sie wegen ihm bestrafen und ihnen deshalb wie den Menschen auf der Insel der Qualen verbieten, fortzugehen? Anders konnte sie es sich nicht erklären.
»Was meinst du? Sag schon!«
»Nicht hier.« Granny ließ ihre Hand sinken. Ihre alten Wangen wabbelten, als sie den Kopf bewegte und sich nervös umsah.
»Es wird nur eine kurze Reise, aber ihr müsst jetzt voll bei der Sache sein. Wir dürfen nicht gesehen werden.«
»Nicht gesehen werden? Granny, ich verstehe nicht …«
»Du musst auch nichts verstehen, halt dich einfach fest.« Granny schob ihren Arm unter Bettys. Die Reisetasche baumelte an ihrem Handgelenk. »Hak dich bei Charlie unter. So ist es richtig – haltet euch schön fest. Was auch immer euch geschieht, lasst nicht los.«
Betty fragte sich, ob ihre Großmutter jetzt endgültig verrückt geworden war. Warum sonst würde sie sich so sonderbar verhalten? »Granny, du machst mir Angst …«
»Nun ja, ich kann nicht anders. Und früher oder später hättet ihr es sowieso herausgefunden.« Granny hielt Bettys Arm noch etwas fester. Ihr vertrauter Geruch nach Tabak und Bier wirkte wärmend in der frostigen Luft. »Seid ihr bereit?«
»Für was?«, fragte Betty verwirrt, als Granny ihre Tasche öffnete.
Ihre Großmutter antwortete nicht. Stattdessen griff sie in die riesige Reisetasche, stülpte sie um und sagte mit klarer Stimme: »Wildschütz!«
Betty spürte einen ungeheuren Ruck in ihrem Inneren, als würde sie aus großer Höhe fallen. In ihren Ohren rauschte es, und ein gewaltiger Stoß eiskalter Luft fegte an ihr vorbei, sodass sie die Augen zukneifen musste und mit den Füßen jeden Halt verlor. Sie hörte, wie Granny nach Luft schnappte und Charlie ein seltsames kleines Stöhnen ausstieß, aber sie hielt sich entschlossen an beiden fest. Dann verlor sie ihr Gleichgewicht, und ihre Füße traten ins Leere.
»Granny!«, jammerte sie und riss die Augen auf, während sie stürzte. Unsanft landete sie auf dem Boden, ihre Großmutter und Charlie noch immer untergehakt. Unter ihrem Po spürte sie harte Pflastersteine, und der pfeifende Wind war von lärmenden Stimmen und Lachen abgelöst worden. Betty sah verblüfft auf und erkannte, dass sie alle drei vor der Eingangstür zum Wildschütz saßen.
»Nicht gerade eine meiner besseren Landungen, das gebe ich zu, aber ich bin auch keine Passagiere gewohnt.« Granny ließ Bettys Arm los und stand auf. »Uff, meine Hüften.« Nachdem sie sich den Staub von der Kleidung geklopft hatte, überprüfte sie ihre Reisetasche und ließ dann mit einem Nicken die Schnalle zuschnappen. »Wir sind zu Hause.«
Kapitel 3
Die drei Gaben
Hopp, hopp, weiter geht’s!«, sagte Granny. Sie spähte von dem dunklen Hauseingang hinaus auf den verlassenen Park. »Gut – niemand hat uns gesehen.«
Starr vor Schreck rappelte Betty sich auf und zog Charlie neben sich hoch. Beide starrten ihre Großmutter an. Auch wenn Betty noch zu benommen war, um zu sprechen, quoll ihr Kopf doch über vor Fragen. Was zum Raben war da gerade passiert … wie war so etwas überhaupt möglich? Und wie konnte Granny so tun, als wäre das alles ganz selbstverständlich? Charlie hatte aufgehört zu weinen, aber auf ihrem dreckverschmierten Gesicht waren noch Tränenspuren zu sehen. Ihr kleiner Körper zitterte.
»Kommt schon.« Granny schob sie auf die Tür zu. »Rein mit euch, raus aus der Kälte.«
Warme Luft, fröhliches Stimmengewirr und Musik strömten aus der Gaststätte. Betty trat ein, den Arm fest um Charlies Schultern gelegt. Drinnen war es schummrig, und der Schein der Kürbislaternen tauchte alles und jeden in ein goldenes Licht. Es war schwierig, sich zwischen all den Leuten zu bewegen, aber Granny schubste und drängelte, um sich einen Weg zur Bar zu bahnen, wo Fliss und ein anderes Mädchen, Gladys, einen Drink nach dem anderen ausschenkten.
Granny drückte Betty die Reisetasche in die Hand. »Nimm die mit hoch in die Küche. Und setzt schon mal Teewasser auf.«
Betty hielt die Tasche auf Armeslänge von sich. Sie hatte Angst, von dem Ding verschluckt und an irgendeinem unbekannten Ort wieder ausgespuckt zu werden.
»Heiliger Krähenfuß!« Granny riss die Reisetasche wieder an sich und klemmte sie sich unter den Arm. Sie nahm ein Glas von der Theke und schenkte sich einen großen Whisky ein. »Fliss!«, rief sie. »Nach oben.«
»Jetzt?«, platzte Fliss überrascht heraus.
»Jetzt.«
Die beiden sahen sich an, und Fliss machte auf einmal ein ganz ernstes Gesicht. Sie nickte, wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und warf Betty einen Blick zu. Betty starrte zurück, und da entdeckte sie etwas, was aus der Schürzentasche ihrer Schwester ragte. Fliss versuchte hastig, es zurückzustopfen, aber Betty hatte es sofort erkannt: Es war eine Ecke des Jahrmarkt-Flugblatts, die da herauslugte. Fliss hatte sie also tatsächlich verraten. Doch all das, was gerade passiert war, hatte Bettys Wut abkühlen lassen und dafür nur noch mehr Fragen aufgeworfen. Wusste Fliss, was Grannys alte Reisetasche wirklich konnte und was für ein großes Geheimnis ihre Großmutter ihnen erzählen wollte? Ungewohnte Gefühle von Eifersucht versponnen sich wie feine Fäden zu einem fremdartigen Muster. Früher waren es immer Betty und Fliss gewesen, die Geheimnisse geteilt hatten; jetzt war sie diejenige, die ausgeschlossen war.
»Wo wollt ihr denn hin?«, kreischte Gladys. »Ich stehe hier knöcheltief im Bier! Das schaffe ich nicht allein!«
»Wir brauchen nicht lang, und ich zahl dir heute Abend doppelten Lohn.« Granny trank den Whisky in einem einzigen Schluck und schenkte sich dann gleich einen zweiten ein.
»Das wird nicht helfen«, sagte Fliss.
»Du warst ja noch nie betrunken, woher willst du das also wissen?«, sagte Granny ärgerlich und drehte sich dann zu Betty um. »Hatte ich euch beiden nicht gesagt, ihr sollt nach oben gehen?«
Wie betäubt legte Betty ihre Hände auf Charlies Schultern und schob sie in Richtung Treppe. Als sie die Stufen hinaufstiegen, versuchte Betty, sich auf normale, alltägliche Dinge zu konzentrieren, betrachtete die abgeblätterte Tapete und den ramponierten Teppich. Das hier war ihre Welt, nicht eine, in der muffige alte Reisetaschen Leute von einem Ort zum anderen beförderten. Vielleicht war ja Schnupftabak in der Tasche gewesen, überlegte sie. Etwas, was sie vorübergehend benebelt hatte. Das war die einzige vernünftige Erklärung.
Sobald sie in der Küche waren, setzten sich Betty und Charlie an den Tisch. Charlie zog ihre Knie an und lugte über sie hinweg wie eine verängstigte kleine Maus, die Augen weit aufgerissen. Granny zog einen Stuhl hervor und verscheuchte schimpfend eine zerzauste schwarze Katze, die darauf gesessen hatte.
»Verschwinde!«, blaffte sie das fauchende Tier an. Die Katze hasste jeden, nur Charlie versuchte immer wieder, sich mit ihr anzufreunden. Sie war eines Tages einfach ins Haus spaziert (auch wenn Betty vermutete, dass Charlie sie mit Essensresten angelockt hatte), und jetzt wurden sie die Katze nicht mehr los. Granny hatte strenge Anweisung erteilt, ihr keinen Namen zu geben, und jedes Mal, wenn die Katze Anstalten machte, Charlie zu kratzen, rief sie »Pfui!« und fuchtelte mit dem Besen, aber die Katze kam immer wieder zurück und machte, was sie wollte. Und dank Charlie hatte sie nun doch einen Namen.
»Arme Pfui«, murmelte sie, als die Katze die Treppe hinunterschlich.
Fliss füllte die Teekanne. Granny setzte sich an den Kopf des Tisches, nahm ihre Pfeife hervor und stopfte sie mit Tabak.
Eine Minute später stellte Fliss jedem eine Tasse Tee auf den Tisch und rührte haufenweise Zucker hinein.