Einigen - der schönste Punkt der Welt. Arthur Maibach

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Название Einigen - der schönste Punkt der Welt
Автор произведения Arthur Maibach
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038183006



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offenbar dichte Besiedlung der Terrassen über dem linken Thunerseeufer. Es ist im Übrigen kein Zweifel, dass die zum Grabplatz – der ja, wie einleitend erwähnt, keineswegs vollständig erfasst ist – gehörende Siedlung in unmittelbarer Nähe aufgefunden werden kann.

      Es ist dringend zu hoffen, dass diese und viele ähnliche Aufgaben einem personell und materiell genügend dotierten Archäologischen Dienst vor kommenden Überbauungen und damit endgültigen Zerstörungen zu lösen vergönnt sind.

      In Einigen wurde schon früher von Ausgrabungen berichtet, die aber leider nicht so ausführlich beschrieben sind wie die Gräber vom Hollee. So können wir lesen: Die alte Besiedelung der fruchtbaren und quellenreichen Gegend von Einigen bezeugen verschiedene Funde. 1818 ist in Einigen ein bronzener Dolch aus keltisch-helvetischer Zeit gefunden worden. Im Dorfe sollen überhaupt öfters Altertumsreste aus Metall ausgegraben, aber von den Bauern meistens zu eigenem Gebrauch verarbeitet worden sein. Auf der Einigen-Allmend entdeckte man in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Lanzenspitze und zwei eiserne Streitbeile; jene wird als keltisch-helvetisch, diese werden als fränkisch bezeichnet. Grabhügel mit Skelettbestattungen und zwei Bronzespangen werden beim Ghei zwischen Einigen und Spiez gemeldet.3 Soweit zu den Funden und Ausgrabungen in Einigen. Nun bleibt zu hoffen, dass bei der regen Bautätigkeit, die zur Zeit in Einigen stattfindet, alle Gegenstände, die von Interesse sein könnten, gemeldet werden.

      Im Jahr 2008, beim Umbau des Hauses im Hollee, wurde auf Grund eines Hinweises von einem Bewohner aus Einigen darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Gebiet um ein archäologisches Schutzgebiet handle. So konnte, bevor die Baumaschinen auffuhren, der Bauplatz vom Archäologischen Dienst sorgfältig nach allfälligen weiteren Gräbern untersucht werden. Die neuen Ausgrabungen brachten vier Skelette und viel Schmuck ans Tageslicht. Die vier Skelette von je zwei Frauen und Kindern sind gut erhalten, die Beigaben wertvoll – und gar rätselhaft. Die Bestattungen stammen aus der Zeit von 1800 bis 1600 vor Christus – der frühen Bronzezeit. Die zwei Frauen und zwei Kleinkinder seien in Rückenlage und in Tracht beigesetzt worden. Nebst dem in grossem Umfang gefundenen Schmuck seien auch die Skelette in erstaunlich gutem Zustand. Beide Frauen erhielten viele Grabbeigaben. Eine Frau trägt einen Halsring, zwei Gewandnadeln und zwei Armringe. Die andere wurde mit einer sogenannten doppelschäftigen Bronzenadel beigesetzt, einer Art Verschluss von Kleid oder Mantel.

      Um mehr Informationen über die Skelette zu erhalten, werden diese zur Beurteilung ins Labor der Anthropologie der Uni Bern kommen. Die Fundstücke werden nach der anthropologischen Untersuchung konserviert und archiviert.

      2 Neue Berner Zeitung, Seite 5, Dienstag, den 19. Mai 1970

      3 Hans Gustav Keller, Einigen, Druck- und Verlagsanstalt Adolf Schaer Thun, 1946, Seite 23

       Die Strättliger Chronik

      Sei es die Geschichte der Gründung der Eidgenossenschaft mit dem Helden Wilhelm Tell von Friedrich Schiller oder die Sage des Heiligen Beatus, der den Drachen tötete, oder die Aussagen des Eulogius Kiburger, der die Strättliger Chronik schrieb und unseren Ort als das Paradies bezeichnete. In all diesen Geschichten ist ein Teil Wahrheit, es wurden aber auch Begebenheiten aus anderen Schriften übernommen und mit viel Fantasie einer bestimmten Region oder einem Dorf, oder wie im Fall Einigen, einer Kirche zugeordnet. Freuen wir uns doch, dass Eulogius Kiburger mit seiner schriftstellerischen Ader und dem Wissen aus lateinischen Werken, welche er zur Strättliger Chronik verarbeitete, uns eine wunderbare «historische» Vergangenheit schenkte.

      An dieser Stelle werde ich kurz auf die Beatussage zurückgreifen:

      Die Bollandisten in Antwerpen und später in Brüssel haben vom Jesuitengeneral den Auftrag erhalten, im Sammelwerk Acta Sanctorum alle Traditionen zum Leben der Heiligen zu publizieren und kritisch zu verarbeiten. Ein Riesenwerk für Jahrhunderte!

      Um 1680 kommen die Bollandisten zum 9. Mai, zum Beatustag. Pater Gottfried Henschen legt alle vorhandenen Beatustexte auf sein Forscherpult. Dazu gehört natürlich auch das Buch von Daniel Agricola (1511), das in Interlaken und bei der Beatushöhle zum Einsatz gekommen war. Aber vor Henschenius liegen auch die frühmittelalterlichen Texte aus der Vendôme (z.T. aus dem 9. Jahrhundert), die das Leben eines dortigen Beatus schildern. Ein minutiöser Vergleich bringt es an den Tag: Agricola kann nur so ausführlich über den Beatus vom Thunersee hinschreiben, weil die Vendôme-Texte, die er offenbar zur Verfügung hatte, ihm alle Details lieferten, nämlich: Beatus (natürlich der von der Vendôme) wird von Petrus zum Apostel berufen und durch die kirchlichen Weihen priesterlich bevollmächtigt, er lebt in apostolischer Armut und verdient sein Brot durch seiner Hände Arbeit, er tut den Mitmenschen viel Gutes, bedient sogar seinen Begleiter, er predigt geistesmächtig und bekehrt die Heiden, er sucht im Alter eine einsame Wohnstätte, er kommt an den See und wird von den Schiffsleuten auf eine Höhle droben in den Felsen hingewiesen, er will den Fährmann, da er kein Geld besitzt, mit einem Messbuch entlöhnen, er vertreibt mit Todes- und Glaubensmut den von den Anwohnern gefürchteten Drachen aus der Höhle, er lebt und stirbt dort und findet daselbst sein Grab. Alles dies in Gallien, in Vindocinum, in der Vendôme, südwestlich von Paris, wo es ebenfalls einen See, eine Felswand, eine Drachenhöhle und den Namen Dunensis gibt. Dies alles liest Agricola in den Texten aus Frankreich und macht kurzen Prozess: Er überträgt das Ganze an den Thunersee, denn auch dort taucht ja seit Jahrhunderten der Name «Beatus» ebenfalls auf. Es geht da, so wird er argumentiert haben, letztlich um den selben Sankt Beatus.

      Was er aber nicht tut: Er erwähnt seine Quelle aus Frankreich mit keinem Wort. Er kopiert … und damit basta!

      Hier schafft nun Jesuitenpater Henschenius 1680 Klarheit, und dies wahrscheinlich für alle Zeiten. In den Acta Sanctorum legt er sein Ergebnis nieder. Sein Ordensbruder Henricus Moretus bestätigt und verfeinert 1907 die Beweisführung mit weiteren eindrücklichen Materialien aus der riesigen Dokumentensammlung der Bollandisten in Brüssel.

      Fazit: Von jetzt an wird die Frage auftauchen: Sind die Geschichten um Beatus, wie die Sagen, Volksüberlieferungen und Legendenerzählungen sie berichten, in dieser Art hier bei uns am Thunersee wirklich passiert? Gehören sie nicht definitiv in ihr Ursprungsland Frankreich?4

      Nun sei noch zu erwähnen, dass in der gesamten Geschichte um den Heiligen Beatus nur der See, die Felswand und das naheliegende «Dunensis», in unserem Fall «Thun», erwähnt werden. Die weitere Region und die Dörfer am See sind nicht genannt. So wird Einigen mit keiner Silbe erwähnt, obschon der Heilige Beatus auf seinem Mantel über den See fuhr.

      Als Verfasser der Strättliger Chronik nennt sich Eulogius Kiburger Kilchherr des Paradieses, der Kirche zu Einigen. An jener Stelle wird erwähnt, wie er im Jahr 1446 einen Teil des Kirchendaches neu herstellen und einen Taufstein machen liess, da man vorher in einer «hölzernen Stande oder Kübel» zu taufen genötigt war. Auch ein Sakramentshäuschen von Stein liess Kiburger in der Mauer anbringen, weil vormals das Sakrament in eine Kiste gelegt und oft von groben Leuten darauf gesessen wurde. Als Patrone der Kirche nennt er seine gnädigen Herren von Bubenberg. Ebendaselbst auf Seite 39 berichtet er den Tod Heinrichs von Bubenberg 1464. Auf Seite 117 wird die Jahrzahl 1448 genannt. Aus dem der Chronik beigebundenen regimen pestilenciale geht hervor, dass Eulogius Kiburger schon 1439 im Dienste der Bubenberg stand. Hierauf findet man ihn seit 1456 als Leutpriester zu Worb; als solcher hatte er seit 1478 zugleich die Stelle eines Kammerers und Kaplans von Münsingen und seit 1488 diejenige eines Stiftscanonicus von Bern inne. Mit geistlichen Pfründen wohl versehen, hatte er das Recht, Stellvertreter für diejenigen zu bezeichnen, die er nicht selbst verwalten konnte. Am einträglichsten war wohl die Kaplanei von Münsingen, eine Stiftung der Gertrud Segesser, Heinzmann von Steins Witwe, von 1463, mit einem Einkommen von 50 Gulden ewiger Gült. Im Jahr 1485 wurde diese Pfründe von ihrem Patron, Ritter Adrian von Bubenberg, dem eben neu errichteten Collegistifte von Bern einverleibt, was mehrjährige Streitigkeiten mit den Leuten von Münsingen zur Folge hatte. Während derselben und vielleicht gerade deshalb erhielt Kiburger, Günstling der zwei mächtigsten damaligen Berner Geschlechter, 1488 als Kirchherr von Worb zugleich noch eine Chorherrenstelle von Bern. 1492 liess er das Jahrzeitenbuch von Worb niederschreiben. Später siedelte er an das Vincenzen-Stift nach Bern über, wo er 1506 starb, und zwar in hohem Alter, da er über sechzig Jahre im Kirchendienste gestanden hatte.