Einigen - der schönste Punkt der Welt. Arthur Maibach

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Название Einigen - der schönste Punkt der Welt
Автор произведения Arthur Maibach
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038183006



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      «Der hochwirdig sant Michel» war der «patron und schirmer der kilchen des Paradieses», so schreibt Elogius Kiburger in der «Strätlinger Chronik». Elogius Kiburger war wohl der bekannteste Pfarrherr von Einigen und der Verfasser der «Stätlinger Chronik». Er berichtete, er habe damals, im Jahr 1446, als «Kilchherr der kilchen in Paradies sant Michels» ein Teil des Kirchendachs der Kirche Einigen neu herstellen, einen Taufstein machen und ein Sakramentshäuschen aus Stein anbringen lassen.

      Im dritten Kapitel der «Strätlinger Chronik» preist er mit begeisterten Worten den Segen, der von dem «Paradies» am Wendelsee ausgehe. Um das Jahr 223 beschloss, erzählt er, Herr Arnold von Strätlingen, eine Kirche am Wendelsee zu Ehren des Erzengels Michael erbauen zu lassen. Die Stimme des Erzengels wies die Bauleute zu dem Platz in dem «garten oder matten, die da geheissen was die hofstatt des Paradieses», wo sich auch ein Brunnen befinde, führte sie dorthin und sprach alsdann wiederum: «Hie an diesem end des Paradieses findet man einen schatz, der so gross ist, dass in niemant geschetzen oder bazalen mag» … Diesen Angaben zufolge war das Gebiet, welches das «Paradies» genannt wurde, recht gross.

      Wir dürfen stolz sein, an einem Ort zu wohnen, dessen alte Bezeichnung «zum Paradies» genannt wurde. Ich glaube nicht, dass Elogius Kiburger diese Ortsbezeichnung erfunden hat. Sicher sprachen die Bewohner von «Zeningen» vom Paradies, wenn es sich um die Kirchenregion handelte. Dieses Gebiet musste wunderschön gewesen sein, da wo das «Jucki-Brünnelein», der «St.-Michaelsbrunnen» sprudelte. Ob dieser Ort schon vor dem Bau der ersten Kirche diesen Namen trug, wird mit grosser Wahrscheinlichkeit nie bezeugt werden können. Auch ist es nicht von Wichtigkeit, wer wann diesem Ort das Wort «Paradies» zuordnete. Freuen wir uns doch ganz einfach, in einem Dorf zu leben, das die alttestamentliche Bezeichnung «Zum Paradies» trägt.

      Was ist nun aber ein oder das Paradies? In unserem Fall handelt es sich ganz klar um den Garten Eden. Nicht um die Zwischenzeit zwischen Tod und Auferstehung, noch um das endzeitliche Paradies. Paradies ist ein Lehnwort aus dem Altpersischen, wo parideza eine Umwallung, dann auch das Umwallte, den Park oder Garten bezeichnet. In dieser Bedeutung ging Paradies in das Hebräische pardes, Aramäische pardesa, Griechisch paradeisos und auch Lateinische paradisus ein. Als die LXX (Septuaginta, griech. Übersetzung des Alten Testaments) das hebr. «Gottesgarten» der Schöpfungsgeschichte in 1. Mose 2 mit paradeisos übersetzte, wurde Paradies im griech. Judentum zum religiösen Begriff. Das hebr. Judentum hat zur Bezeichnung des Gottesgartens seinen alten Ausdruck «Garten» oder «Garten Eden» beibehalten und spricht nicht von Paradies. Wenn daher im hebr. Alten Testament das Wort Paradies nicht vorkommt, so heisst das nicht, dass ihm auch die Sache fremd wäre. Der «Garten» oder «Garten Eden» oder auch «Gottesgarten» ist die Schöpfung selber. Seine Fruchtbarkeit ist unbeschreiblich, ebenso sein Reichtum an Gewächsen und Tieren.

      Wie schön muss wohl diese Gegend gewesen sein, dass ein Mensch diesem Garten, diesem Brunnen, diesem schönsten Punkt der Welt (Hans Müller Einigen) die Bezeichnung «Zum Paradies» gab. Und wir haben das Vorrecht, hier, gerade hier zu wohnen.

      Möge es uns gelingen, zu unserem Paradies Sorge zu tragen.

       3500 Jahre alte Gräber in einem Garten

      Am Holleeweg in Einigen wurden im Jahr 1970 bei Aushubarbeiten für ein Treibhaus im Garten von Rudolf Neuenschwander Grabreste entdeckt. Neben Knochenfragmenten erschienen im gelockerten Aushubmaterial auch grünpatinierte Bronzegegenstände. Diese Umstände veranlassten den Grundbesitzer richtigerweise, die Arbeiten einzustellen und den Fundaufschluss dem Archäologischen Dienst melden zu lassen2. In einem Communiqué des Archäologischen Dienstes schreibt Herr Hans Grütter Folgendes:

       Das Grab eines Jünglings

      Die archäologischen Untersuchungen des Grabplatzes lieferten vorläufig folgende Erkenntnisse: Die vom Grundbesitzer angeschnittenen Skelettreste gehörten zweifellos zur Bestattung eines dreizehnjährigen Jünglings. Obwohl die durch die Aushubarbeiten stark fragmentierte Beisetzung nur noch in der Unterschenkelpartie in situ angetroffen wurde, kann anhand der geborgenen Grabbeilagen gesagt werden, dass in der ehemals mit Steinen ausgekleideten Grabgrube der Tote in gestreckter Lage beigesetzt war. Bei den Grabbeigaben handelt es sich um zwei Gewandnadeln, eine Rollenkopfnadel von 15 cm Länge und eine Ösenknopfnadel von 20 cm Länge. Bei den Objekten eignet die in charakteristischer Weise gebogene Nadelspitze; eine wohl damals übliche, als Schutz gegen Stichverletzungen angebrachte Sicherheitsvorkehrung. Im Weiteren hatte der Tote ein, wie die Patinafärbung erkennen lässt, ursprünglich an einem Holm befestigtes meisselartiges Gerät mitbestattet erhalten. Schliesslich umfasste das Beigabeninventar eine Dolchklinge. Der Griff, welcher anhand der in der Patina überlieferten Strukturen aus organischem Material gefertigt gewesen sein muss – ob Knochen oder Geweih bleibt erst noch zu untersuchen – wurde mit Hilfe von vier Bronzeteilen an der Klinge befestigt.

       Eine Doppelbestattung

      Die weitere Untersuchung des Grabplatzes führte zur Lokalisierung von zwei weitern Gräbern, doch musste wegen Überlastung des Archäologischen Dienstes auf die Bergung der im Moment nicht gefährdeten dritten Bestattung verzichtet werden. Das in die Aushubzone hineinragende Grab verriet sich oberflächig durch eine Häufung von grobem Moränematerial. In der Profilwand hoben sich die humose Grabeinfüllung und die aufeinandergelegten Steine der Grabumrandung deutlich ab von der umlagernden Moräne. Ein ausserhalb der südöstlichen Längsseite des Grabes, auf dem ehemaligen Gehniveau auflagernd, angetroffener Steinhaufen legt die Vermutung nahe, dass dieses Material teilweise von der einstmals über der Bestattung gelegenen Abdeckung stammen könnte. Die Bestätigung stellte sich ein, als die ersten Skelettteile bereits wenige Zentimeter unterhalb des oberen Grabhorizontes aufgedeckt wurden: Es waren dies ungefähr in der Grabmitte ein Schädel und wenig daneben ein Beckenfragment. Die Bestattung musste demnach in früherer Zeit einmal gestört worden sein.

       Grabräuber hinterlassen Spuren

      Die weiteren Untersuchungen lieferten dem Archäologen ein nicht alltägliches Bild. Die Grabgrube zeigte wiederum die bei der ersten Bestattung bereits festgestellte sorgfältige Steinauskleidung. Die westliche Hälfte des Grabes war noch intakt und mit grossen flachen Steinen überdeckt. Nach deren Entfernung musste mit Erstaunen zur Kenntnis genommen werden, dass die Grabgrube eine zweite Bestattung barg. Die beiden Toten lagen einander gegenüber. Die Skelettlage lässt eine gleichzeitige Beisetzung erkennen. Dabei ist das ost-west (Kopf im Osten) liegende Individuum – wie anhand verschiedener Fakten nachgewiesen werden kann – bereits in prähistorischer Zeit von Grabräubern geschändet worden. Eine charakteristische Verfärbung am linken Vorderarm lässt mit Sicherheit aussagen, dass bei diesem Grabraub mindestens ein Armreif entfernt wurde. Offensichtlich blieb eine kleine, unscheinbare Rollenkopfnadel unbeachtet oder vermochte das Interesse der Grabräuber ganz einfach nicht zu wecken.

      Der vorläufige anthropologische Befund weist das gestörte Skelett einem männlichen Individuum zu, welches sich durch das erreichte Alter erheblich von der Mitbestattung unterscheidet. Der in Ost-West-Richtung bestattete Mann dürfte im Alter zwischen 40 und 45 gewesen sein. Die Überreste der ihm gegenüberliegenden Mitbestattung – wohl durch das Vorhandensein eines mächtigen Decksteines vor den Grabräubern bewahrt – lassen dagegen ein Alter von bloss 9 Jahren belegen. Es scheint übrigens, dass das jüngere Individuum eine sorgfältigere Niederlegung erfuhr: Der Kopf befand sich auf einen kissenförmigen Stein abgelegt.

       Die Bedeutung der Funde

      Obwohl die verschiedenen naturwissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse noch ausstehen, kann bereits jetzt gesagt werden, dass die Grabfunde von Einigen wesentliche Erkenntnisse liefern. Einmal ist es die Kenntnis der Grabform anhand eines mit modernen Methoden aufgenommenen Bestattungsplatzes. Zum anderen lassen die gestreckten Gräber Einblicke in die Morphologie der Gestalt jener Menschen nehmen, welche zwischen rund 1800 und 1650 v. Chr. die alpine Zone besiedelten. Aus anthropologischer Sicht sind im Weiteren die dank dem kalkreichen Moränenboden erstaunlich gut erhalten gebliebenen Skelettreste, vor allem der vollständig überlieferte Schädel des alten Mannes als wissenschaftlich äusserst wertvoll zu bezeichnen.