Hand in Hand. Patty Wipfler

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Название Hand in Hand
Автор произведения Patty Wipfler
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783867812344



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angegriffen wird. Es wird von der Katze gekratzt. Mama ist schwanger, müde und genervt. Es wird vom Nachbarkind beschimpft. Abends ist ihm sein Zimmer unheimlich. All diese Erlebnisse sind emotional aufgeladen. Um weiterhin klar denken zu können, diese Erlebnisse zu verarbeiten und daraus zu lernen, muss Ihr Kind diese Ladung entschärfen. Und es hat eine Methode dafür! Sie spielen nach dem Essen mit ihm Fangen und es schüttet sich vor Lachen aus, lässt dabei Spannung ab und nährt seine Gewissheit, dass Sie es wertschätzen. Als Nächstes verschwindet ein winziger Puppenschuh im Abfluss der Badewanne und Ihr Kind nimmt das zum Anlass, sich ordentlich auszuweinen. Voilà! Ihr Kind hat in seinem Inneren gut aufgeräumt und ist für einen guten neuen Tag gerüstet.

      Wenn Ihr Kind pinkelt oder Stuhlgang hat, macht Ihnen das in der Regel keine Sorgen. Und gewiss fühlen Sie sich nicht dazu gezwungen, diese Ausscheidungen genauer zu untersuchen und zu diskutieren. Sie werden in die Toilette gespült und fertig. Bestimmt werden Sie Ihrem Kind das Freisetzen emotionaler Spannung gern auch so unkompliziert ermöglichen wollen. Es lacht, hat einen Wutanfall, weint oder zittert und windet sich in Angst. Sie geben ihm dabei den nötigen Halt. In seinem eigenen Tempo wird ihr Kind fertig und dann ist der Spaß dran!

      Schließlich noch ein wichtiger Punkt:

      • Drängen Sie weder Ihr Kind noch sonst jemanden zum Weinen. Sobald Sie merken, wie gut es Ihrem Kind und seiner Denkfähigkeit tut, wenn es sich ausweint, wollen Sie jeden missionieren, und zwar besonders Ihr Kind! Allerdings ist das eine schlechte Idee. Aufforderungen wie diese: „Lass diese Gefühle raus“, „Na komm, mach dir mal richtig Luft, das hilft.“, „Bestimmt tut es dir gut, wenn du dich richtig ausweinst – das war doch schwer für dich.“, machen Ihr Kind dem emotionalen Reinigungsprozess gegenüber befangen. Sein Gefühlsleben wird sozusagen unter dem Vergrößerungsglas betrachtet. Und zwar unter Ihrem! Der emotionale Reinigungsprozess ist Sache Ihres Kindes. Sie können diesen weder befehlen noch steuern. Am besten helfen Sie Ihrem Kind, indem Sie Bedingungen schaffen, unter denen es wirklich Ihre Fürsorge spürt. Genau dafür sorgen die Zuhörstrategien – mit deren Hilfe übermitteln Sie Ihre liebevolle Zuwendung. Verbinden Sie sich mit Ihrem Kind über Wunschzeit und Ganz-Ohr-Spiel, beschrieben in Kapitel 6. Lassen Sie sich noch mehr Vergnügliches einfallen, wenn Sie Zeit haben. Kuscheln. Spielen. Umhertollen. Und was vielleicht am wichtigsten ist, lassen Sie selbst bei einem guten Zuhörer regelmäßig Dampf vom stressigen Alltag ab. Konzentrieren Sie sich auf liebevolle Zuwendung und überlassen Sie Ihrem Kind die Verantwortung für alles Weinen.

      Achten Sie nach einer gelungenen Runde Bleib-Ganz-Ohr bei Ihrem frisch erleichterten Kind auf neue Erkenntnisse, Herzlichkeit und Kreativität.

      Bleib-Ganz-Ohr als Heilmittel bei Kummer

      Unsere vorstehenden Hinweise und Ideen treffen auch auf ein Kind zu, das sich von Kummer befreit. Dabei ist noch anzumerken, dass selbst viel geliebte Kinder in guten Lebensverhältnissen eine ganze Menge davon abzuladen haben. Das Leben ist so neu und es gibt so vieles zu verarbeiten. Den Schmerz über kleine unvollkommene Augenblicke auszuweinen ist in der Kindheit eine wichtige Aufgabe. Jedes Mal, wenn Ihr Kind einen Gefühlsausbruch vom Stapel lässt, hat es dafür gute Gründe. Es will klar denken, und Weinen wird ihm dabei helfen.

      Es kann zum Beispiel so laufen:

      Meine siebenjährige Tochter und mein fünfjähriger Sohn haben vor Kurzem die Schule gewechselt. Eines Tages, in der zweiten Schulwoche, eilte meine Tochter zusammen mit einer neuen Freundin aus dem Klassenzimmer und wollte das Mädchen gleich zum Spielen mit nach Hause nehmen. Gerne sagte ich zu und wir machten uns auf den gemeinsamen Heimweg. Mein Sohn fand das aber nicht gerecht und klagte: „Ich habe keinen Freund zum Mitnehmen, ich will aber, und geh jetzt nicht ohne Freund mit.“ Ich blieb ganz Ohr, und er weinte heftig, wiederholte, dass er auch einen Freund wollte, aber keinen hatte. Ich hockte mich auf Augenhöhe zu ihm, ermöglichte ihm Blickkontakt und blieb nah bei ihm. Er wandte sich ab und weinte weiter, mit Blick auf eine Mauer. Ich sagte ihm, dass es mir leid tat, wie schwer es gerade für ihn war und dass ich wüsste, wie sehr er sich einen Freund wünschte. Er war mit einem Jungen aus seiner alten Schule besonders befreundet, und ich hatte den starken Eindruck, dass er deswegen trauerte. Ich spürte großes Mitgefühl, und so fiel es mir leicht, ganz Ohr zu bleiben und seine Tränen zuzulassen.

      Wenige Minuten später wandte er sich mir zu, ich umarmte ihn fest und dann schauten wir uns an. Er weinte weiter, sagte, er wolle auch einen Freund. Ich hörte weiter zu. Nach zehn bis fünfzehn Minuten war er soweit, dass wir nach Hause laufen konnten. Dort wirkte er vergnügt und spielte zufrieden nebenan, während ich in der Küche Essen machte und die Mädchen eine Etage über uns spielten.

      Am nächsten Morgen fragte er: „Ist heute ein Schultag oder Wochenende?“ Als ich ihm bestätigte, es sei ein Schultag, jubelte er, was mich völlig überraschte. Als ich ihn an diesem Nachmittag von der Schule abholte, hatte er einen neuen Freund dabei, den er zum Spielen nach Hause einlud! Was für ein wunderbares Ergebnis, das mich mit Dankbarkeit für die Praxis mit Bleib-Ganz-Ohr erfüllte.

      Mit Bleib-Ganz-Ohr den Frust Ihres Kindes abbauen

      Wutanfälle bieten keinen schönen Anblick, aber Sie werden sie schätzen lernen, sobald Sie erlebt haben, wie ein Trotzanfall die Fähigkeit Ihres Kindes, zu denken und zu lernen, ankurbeln kann. Zuerst ist es vielleicht schwierig, dabei ganz Ohr zu bleiben. Aber sobald es Ihnen gelingt, werden Sie bestimmt von der positiven Kraft eines Trotzanfalls beeindruckt sein!

      Es ist wichtig zu erkennen, was nicht zu einem Trotzanfall gehört. In einem echten Trotzanfall will ein Kind niemanden verletzen. Er ist eher mit einer explodierenden Knallfroschkette vergleichbar als mit einem verletzenden Geschoss.

      Trotzanfälle setzen Frustration frei. Sie treten plötzlich auf. Ein frustriertes Kind ist laut, ihm wird heiß und sein Bewegungsdrang ist enorm. Es will diese hitzige Energie jetzt loswerden! Frustration entsteht, weil Ihr Kind eifrig lernt und seine Wunschvorstellung manchmal seine tatsächlichen Fähigkeiten überholt. Es möchte schon laufen, noch lange bevor es überhaupt den ersten Schritt getan hat, und es möchte sprechen, noch bevor es sein erstes Wort gesagt hat. Was es sich in den Kopf gesetzt hat, muss es über Tage, Wochen oder vielleicht sogar Monate durch Versuch und Irrtum lernen. Und weil es dabei so oft probieren und scheitern muss, fährt es vor lauter Frust am liebsten aus der Haut. Es kann nicht mehr denken. Verbieten Sie dem Kind, wie oftmals üblich, einen Trotzanfall, dann wird es sein Lernprojekt auf der Stelle aufgeben müssen, denn jedes Mal, wenn es einen neuen Versuch wagt, drängt sich ihm wieder der Frust auf und blockiert ihn.

      Doch ein kräftiger Trotzanfall löst das Problem. Sobald der Frust zuschlägt, hüpft das Kind zum Beispiel auf und ab, haut gegen Türen und Schränke oder wirft sich auf den Boden und krümmt sich dort. Vielleicht gibt es Tränen und Schweiß. Vielleicht wird Ihr Kind zehn bis fünfzehn Minuten so weiter machen – viel länger dauert ein Trotzanfall normalerweise nicht. Am Ende wird Ihr Kind sich entspannen. Und wenn es danach zu seiner Aufgabe zurückkehrt, wird es einen kleinen Fortschritt erreichen. Einige Aufgaben werden eine ganze Reihe Trotzanfälle auslösen, denn Ihr Kind erwartet viel von sich, aber seine Fertigkeiten entwickeln sich erst allmählich. Wie viele Trotzanfälle es auch braucht, Bleib-Ganz-Ohr ist für das Lernen Ihres Kindes die beste Unterstützungsstrategie.

      Meistens ist es besser, Ihr Kind bei einem Trotzanfall nicht in die Arme zu nehmen. Es muss sich bewegen können! Also kommen Sie näher, bieten freundlichen Augenkontakt an und heben es nur dann hoch, wenn seine Sicherheit gefährdet ist oder Sie es lieber an einen abgeschiedenen Ort bringen wollen. Ihr Kind braucht jetzt kaum beruhigende Worte. Es weiß, was es tun muss. Ihr kontinuierliches, tröstliches Zuhören wird ihm helfen, aus dem Anfall wiederhergestellt und aufgeweckt hervorzugehen.

      Kinder neigen oft kurz vor Entwicklungsschüben zu Trotzanfällen. Typische Zeiten für deren heilende Wirkung sind kurz bevor ein Kind mit dem Krabbeln und Laufen beginnt, kurz bevor es zu sprechen anfängt oder eine neue Fertigkeit lernt wie das Schuhe-Binden, das Radfahren, das Lesen und kurz vor oder