Die Siegel von Tench'alin. Klaus D. Biedermann

Читать онлайн.
Название Die Siegel von Tench'alin
Автор произведения Klaus D. Biedermann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783937883533



Скачать книгу

den Wagen zwei Straßenblöcke vor der Vilmerstreet stoppen und schaute sich um, bevor er ausstieg.

      Verrückt ... welch ein Blödsinn, schalt er sich gleich darauf, als wenn mir jemand auf diese Weise folgen würde. Hab wohl zu viele alte Krimis geschaut. Das ist doch heute nicht mehr nötig, wenn man wissen will, wo sich jemand aufhält.

      Nicht nur Regierungsfahrzeuge besaßen obligatorisch ein Ortungssystem. Wie er gelesen hatte, war es damals, vor einigen hundert Jahren, lächerlich einfach gewesen, den Leuten den Einbau aufzuschwatzen. Man musste ihnen nur klarmachen, dass man im Falle eines Diebstahls sein Auto innerhalb von Stunden zurückbekommen könne. So hatten die Leute auch noch für ihre eigene Überwachung bezahlt. Manchmal sind die Menschen wirklich dumm, hatte der Senator nicht nur in diesem Zusammenhang gedacht.

      Auf seinem kurzen Weg bemerkte er, dass hier alles irgendwie gleich aussah, sogar die Vorgärten schienen sich gegen Abwechslung erfolgreich zur Wehr gesetzt zu haben. Alle zeigten kurz geschnittene Rasenflächen, die von akkuraten Blumenbeeten umrahmt wurden. Lediglich die Höhe der Buchsbaumhecke, die jedes Grundstück umschloss, gab Aufschluss über die Wohndauer der Besitzer.

      »Wohl ein und derselbe Bauträger«, murmelte er, »es lebe der Individualismus.«

      Als er auf das Haus von Dr. Manders zuging und es mit seinen Blicken abtastete, so als könne er von dem Gebäude einen wichtigen Hinweis über den Verbleib seiner Tochter erhalten, befand er, dass es ein sehr schmuckes Haus für einen jungen alleinstehenden Mann sei, der eher in dem Ruf stand, nur seine Forschungen im Sinn zu haben, und sicherlich die meiste Zeit in seinem Labor verbrachte. Passt eigentlich nicht zu ihm, zu dem jungen Abteilungsleiter bei BOSST, dachte er bei sich, während der weiße, feine Kies der Auffahrt leise unter den Ledersohlen seiner vornehmen, maßgefertigten Schuhe knirschte. Vielleicht hat er es ja geerbt, dachte der Senator noch, bevor er sich wieder dem Grund seines Kommens widmete. Auf sein zunächst zaghaftes, dann immer heftigeres Klingeln wurde allerdings nicht geöffnet. Was ist da bloß los?, fragte er sich, in der Firma ist er nicht, und hier ist er auch nicht.

      Dr. Will Manders, der Kollege und schüchterne Verehrer seiner Tochter, der sich ebenfalls große Sorgen um Nikita gemacht hatte, hatte sich nach ihrer Abreise häufiger bei Paul Ferrer gemeldet. Er war eines Tages zu ihm ins Büro gekommen und hatte ihm sein Herz ausgeschüttet. Kurz darauf hatten sich die Männer bei einem geheimen Treffen im Clubhaus der Golfanlage weiter austauschen können. Schon nach ihrem ersten Kennenlernen hatte der Senator dem jungen Mann sein Vertrauen geschenkt und mit ihm alle Befürchtungen geteilt. Daher passte es so gar nicht, dass Will Manders auf einmal nichts mehr von sich hören ließ. Das konnte im Grunde nur Schlechtes bedeuten.

      Jetzt war dem Senator klar, dass der junge Mann sich zu weit aus dem Fenster gelehnt haben musste. Er hatte wohl mit seinen düstersten Ahnungen recht behalten.

      Wenn die gemerkt haben, dass du ihnen nicht traust und eigene Nachforschungen angestellt hast, war dies dein Todesurteil. Besonders dann, wenn du herausgefunden haben solltest, wo Niki wirklich ist.

      Eine letzte Möglichkeit, an die sich Paul Ferrer gerade klammerte, bestand darin, dass der junge Mann alleine losgezogen sein könnte. Diesen Gedanken verwarf er aber sofort, denn in dem Fall hätte er sich sicher vorher bei ihm gemeldet. Oder auch wieder nicht, wenn Will Manders befürchtete, dass er ihn von diesem Vorhaben abhalten würde. Der Senator war verwirrt und zunehmend unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, was für ihn äußerst ungewöhnlich war. Im Kongress war er für seinen scharfen Verstand bekannt und wurde von seinen politischen Gegnern gefürchtet, weil er seine Gedankengänge auch rhetorisch sehr gewandt zum Ausdruck bringen konnte. Jetzt ging es um das Wohl seiner Tochter und da waren Logik und Verstandesschärfe seinen väterlichen Emotionen zum Opfer gefallen.

      Zu Hause wurde er von seiner Frau Eva, die ihm aus der Küche entgegenkam, erwartet. Sie brauchte keine Fragen zu stellen. Schon an der Art und Weise, wie er sein Jackett über einen Stuhl in der Eingangshalle warf, und natürlich an seinem Gesicht, sah sie ihm an, dass er nichts Neues über die Umstände der Reise ihrer Tochter erfahren hatte. Er war in den letzten Tagen älter geworden, wie ihr schien. Tiefe Sorgenfalten hatten sich um Mund und Nase eingegraben.

      »Paul, du musst dich ausruhen ... denk an deine Gesundheit, du machst dich noch ganz fertig ... hast du mal in den Spiegel geschaut?«, ermahnte sie ihren Mann und stand jetzt dicht vor ihm. »Ich mache mir Sorgen um dich. Wenn du krank wirst, hilfst du damit niemandem. Überlasse ab jetzt bitte Frank die Nachforschungen, er verfügt über die richtigen Verbindungen. Wenn jemand etwas erfahren kann, was man eigentlich nicht wissen darf ... dann er.«

      »Ich habe ihn selbstverständlich angerufen, Eva, er ist im Urlaub, wie mir seine Sekretärin sagte. Wusstest du das? Nun, er muss uns ja nicht alles erzählen.«

      Frank Murner, Pauls Studienfreund und Leiter einer militärischen Sicherheitsabteilung, die der Regierung direkt unterstellt war, war Nikitas Patenonkel. Er selbst hatte Kapitän Franch auf persönliche Order des Präsidenten hin befohlen, mit der U46 auszulaufen. Er wusste allerdings damals noch nicht, dass Nikita an Bord sein würde, und als er es erfahren hatte, war es schon zu spät gewesen. Da war sie längst in Flaaland und hatte das größte Abenteuer ihres Lebens begonnen.

      Der Senator ließ, ohne auf die Ermahnungen seiner Frau einzugehen – er wusste, dass sie recht hatte –, einen Kaffee aus der Maschine und setzte sich auf einen der hohen Hocker an der Küchentheke.

      »Wie kann ich mich ausruhen, Eva ... in dieser Situation? Will Manders ist bestimmt tot«, sagte er fast tonlos und blickte wie ein meditierender Kaffeesatzleser in seine Tasse, als könne er dort eine Antwort finden. »Ich hatte es zwar geahnt, aber jetzt bin ich mir sicher. Dass diese Leute vor nichts zurückschrecken, ist ja nichts Neues. Ich möchte gerne wissen, was unsere Tochter da drüben soll, ausgerechnet unsere Tochter. Was kann so wichtig sein, dass wir die Ewigen Verträge brechen und alles aufs Spiel setzen, was wir uns aufgebaut haben? Ich weiß jedenfalls nichts von irgendwelchen Projekten, die das auch nur annähernd rechtfertigen würden. Das ist vollkommen absurd.«

      Er erwartete keine Antwort, sondern stützte seinen Kopf mit beiden Händen und sah dabei aus wie der Denker von Hamangia.

      Leise fuhr er fort: »Ich werde niemanden mehr anrufen, das ist verschwendete Zeit. Die wissen jetzt sowieso, dass ich Will Manders suche. Das Haus wird selbstverständlich überwacht. Dass ich daran nicht gedacht habe ... ich bin bestimmt sehr gut zu erkennen ... ach, was soll´s.« Er lächelte bitter.

      »Aber wenn du deine Nachforschungen einstellst«, entgegnete seine Frau besorgt, »wird man wissen, dass du Verdacht geschöpft hast. Wenn du irgendwie an der Sache dranbleiben möchtest, bitte einen Kollegen um eine offizielle Untersuchung. Rudolf zum Beispiel. Geh in die Offensive ... obwohl ich eine Ahnung habe, dass es Nikita gut geht. Ich kann mir nicht helfen, aber mein Bauchgefühl sagt es mir. Eine Mutter spürt so etwas.«

      Frau Ferrer hatte sich ebenfalls einen Kaffee geholt und stellte sich jetzt ihrem Mann gegenüber an die Theke.

      »Eva«, der Senator blickte seine Frau aus müden Augen an, »deine Ahnungen in allen Ehren, aber unsere Tochter ist einige Tausend Meilen weit weg in einem unbekannten, feindlichen Land, da hätte ich schon gerne mehr Sicherheiten als deine Ahnungen. Ich habe auch ein Bauchgefühl, ein väterliches, und das schlägt Alarm.«

      »Wieso feindlich, Paul? Woher willst du wissen, dass die Menschen dort unsere Feinde sind?«

      »Sie sind vielleicht noch keine Feinde, Eva, aber wenn sie merken, dass wir die Verträge verletzen, werden sie es ... da bin ich mir sicher. Eine offizielle Untersuchung durch den Senat wäre geradezu töricht. Da würden sich einige Medien freuen wie die Maus in der Backstube. Ich sehe schon die fette Schlagzeile: ›Durchgebrannt?‹ Und den Untertitel: ›Senator sucht jetzt offiziell nach dem Verehrer seiner erwachsenen Tochter, die ebenfalls verschwunden ist.‹ Ich sehe schon meine feixenden politischen Gegner vor mir ... nein, den Gefallen werde ich denen sicher nicht tun. Ich kann nur hoffen, dass diejenigen, die für all das verantwortlich sind, nie herausbekommen, dass wir wissen, wo Niki ist. Die Nachricht über den Verlust des U-Boots, mit dem sie gefahren ist, zeigt doch, dass etwas vertuscht werden sollte. Den armen Kapitän und seine Besatzung haben