Die achtsame Schule - Praxisbuch. Daniel Rechtschaffen

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Название Die achtsame Schule - Praxisbuch
Автор произведения Daniel Rechtschaffen
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783867812238



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ihre körperlichen Grundbedürfnisse gedeckt werden und sie sich in der Klasse sicher und geborgen fühlen. Auch Erwachsene beginnen ihre Achtsamkeitspraxis auf diese Weise. Wir reduzieren unser gewohntes Lebenstempo und begeben uns in einen Zustand der Entspannung und Introspektion. Körperkompetenzübungen wecken unsere Sinne und fördern ein Gefühl der Verbundenheit mit unserem Körper und der physischen Welt.

      Geistige Kompetenz

      Sobald wir ganz bewusst in unserem Körper anwesend sind, können wir unsere Aufmerksamkeit entwickeln. Wir kräftigen unseren Aufmerksamkeitsmuskeln, indem wir uns einen Fokus suchen, wie unseren Atem oder den Geschmack einer Orange. Dann beobachten wir die Widerspenstigkeit unseres Geistes, der sich ablenken lässt und vom einen zum anderen springt. Die Praxis der Achtsamkeit bedeutet, unsere Aufmerksamkeit immer wieder liebevoll zu unserem Fokus zurückzulenken. Auf diese Weise lernen wir die Funktionsweise unseres Geistes kennen und verbessern unsere geistige Leistungsfähigkeit. Kleinere Kinder lernen, ihre Gedanken wie vorbeiziehende Wolken zu beobachten, was besonders dann hilfreich ist, wenn die Umsetzung dieses Gedankens sie in Schwierigkeiten bringen könnte. Uns Erwachsene lehrt diese Praxis das Beobachten der Gedanken, dadurch weniger impulsiv zu sein und nicht in endlose Grübeleien zu verfallen.

      Emotionale Kompetenz

      Sobald wir mit der Sprache der Körperempfindungen und der Funktionsweise unseres Geistes vertraut sind, können wir uns der Sprache des Herzens zuwenden. Wir lernen ungesunde Gedankenmuster und die darunterliegenden Gefühle zu erkennen. Wenn wir unser Stresslevel und unseren emotionalen Zustand bewusst wahrnehmen, verbessert das unsere Impulskontrolle und die Emotionsregulation. Außerdem lernen wir, gesunde Emotionen wie Dankbarkeit, Empathie und Liebe zu entwickeln. Wut und Angst werden dabei nicht unterdrückt; wir öffnen vielmehr unsere mitfühlende Aufmerksamkeit für das gesamte Spektrum der Emotionen. Wenn wir mit all unseren Emotionen präsent sind, dann werden wir Zufriedenheit, Mitgefühl und Dankbarkeit verspüren, während Gefühle wie Wut, Angst und Depression an Gewicht verlieren. Das ist eine der erstaunlichen Folgen von Achtsamkeit. Einige Emotionen sind sehr schmerzhaft, doch wenn wir sie bewusst wahrnehmen, öffnet sich unser Herz und wir werden mitfühlender uns selbst und unserer Umgebung gegenüber.

      Soziale Kompetenz

      Nachdem wir Mitgefühl und Emotionsregulation geübt haben, können wir diese Fähigkeiten als Botschafterinnen der Achtsamkeit in die Welt tragen. Wir entwickeln Empathie für unsere Freunde, unsere Familie und irgendwann auch für die Menschen, die uns auf die Nerven gehen. Wir können Achtsamkeit dazu nutzen, um unsere Annahmen zu hinterfragen und andere Perspektiven zu verstehen. So sehen wir die Welt mit frischen, emphatischen und verständnisvollen Augen. Ob im Lehrerzimmer, in unseren Liebesbeziehungen oder der sozialen Dynamik auf dem Spielplatz, es gibt so viel zu lernen über emphatische Kommunikation und soziale Kompetenz. Wir lernen Achtsamkeit nicht nur, um in einer kriegerischen Welt zu innerem Frieden zu finden. Wir entwickeln unseren inneren Frieden, um vorzuzeigen, was alles möglich ist, und uns für Gleichberechtigung und Integration unserer Schüler und Mitmenschen einzusetzen.

      Globale Kompetenz

      Unser Mitgefühl muss nicht auf unsere unmittelbare Umgebung beschränkt bleiben. Mit der Zeit kann man Verständnis und Umsicht für alle auf diesem Planeten entwickeln – selbst für Vögel, Hirsche und Ozeane. Wenn wir unsere achtsamen Augen öffnen, beginnen wir die Vernetzung aller Dinge zu erkennen und verstehen langsam, wie unser Handeln die Welt beeinflusst. Wir begreifen auch, dass unsere Umgebung, unsere Stimmung und unsere psychische Verfassung zusammenhängen. Oft ist uns gar nicht bewusst, wie negativ das grelle, fluoreszierende Licht im Klassenzimmer auf unsere Schüler, Schülerinnen und uns wirkt. Durch ein besseres Verständnis, wie wir die Welt beeinflussen und von ihr beeinflusst werden, können wir mehr Verantwortung für unser Leben übernehmen. Wenn wir uns für eine globale Sicht der Welt öffnen, erweitern wir unser Mitgefühl und unser Verständnis auf all die Milliarden Wesen da draußen, die nach Geborgenheit, Gesundheit und Zufriedenheit streben, wie wir eben auch.

      Wie nutzt man dieses Buch

      Ziel dieses Praxisbuches ist es, Pädagoginnen zu befähigen, Achtsamkeit und emotionale Intelligenz in ihre Arbeit miteinzubeziehen und so positive Veränderungen im Leben einzelner und der Gemeinschaften zu bewirken. Um Achtsamkeit authentisch und effektiv unterrichten zu können, bedarf es einiger wichtiger Schritte, die wir hier zusammen durchgehen.

      Der erste Abschnitt – Wir beginnen mit uns selbst – ist ein Mini-Achtsamkeitstraining, eine Möglichkeit für Erwachsene, ihre eigene Selbstwahrnehmung und inneren Ressourcen zu stärken. Bevor wir in der Lage sind, unsere Schüler anzuleiten, müssen wir selbst mit dem Gelände vertraut sein. In persönlichen Achtsamkeitsübungen erkunden wir das Gelände des Körpers, des Geistes, des Herzens, der Gesellschaft und der Ökologie. Übungen und Empfehlungen helfen uns eine Achtsamkeitspraxis aufzubauen, die dann als Grundlage für unseren Unterricht dient. In diesem Abschnitt lernen wir, dann achtsam zu sein, wenn es darauf ankommt: im alltäglichen Chaos unserer Klassenzimmer, bei drohendem Burnout und sekundärer Traumatisierung. Wir nehmen uns auch Zeit, um unsere emotionale Reife zu erkunden. Bevor wir Achtsamkeit vermitteln können, müssen wir uns selbst der Kunst der Introspektion und emotionalen Intelligenz widmen, damit wir in der Lage sind, Achtsamkeit vorzuleben, und nicht die eigenen Themen auf die Schülerinnen projizieren.

      Im zweiten Abschnitt Schüler mit Achtsamkeit bekannt machen: Ressourcen und Anregungen lernen wir die Praxis, die wir selbst entwickelt haben, bei unseren Schülerinnen und Schülern anzuwenden. Wir erkunden Tools, um auf achtsame Weise zu unterrichten und den Schülern achtsamkeitsbezogene Themen nahezubringen. Wir überlegen auch, wie unsere Umgebung aussehen sollte, damit sich die Schülerinnen darin so zufrieden, entspannt und konzentriert wie möglich fühlen können. Dann überlegen wir, wie wir unsere achtsame Präsenz bei verschiedenen Altersgruppen und ethnischer Zugehörigkeiten, traumatisierten Kindern und Kindern mit speziellen Bedürfnissen einsetzen können. Wir lernen alle Kinder miteinzubeziehen und Achtsamkeit auf eine Art und Weise zu präsentieren, die den Kindern Spaß macht.

      Der Abschnitt Achtsamkeitsübungen für Schüler: Aktivitäten, Übungen und Techniken für den Unterricht ist eine Sammlung von achtsamkeitsbasierten Unterrichsstunden. Bevor wir mit dem Programm beginnen, beleuchten wir zehn forschungsbasierte Achtsamkeitsaufgaben. Wir sehen uns auch an, wie man Achtsamkeit präsentiert, damit sie für die Schülerinnen zugänglich und interessant ist, und wie die folgenden 25 Übungen des Programmes strukturiert sind. Jede Übung enthält Lernziele, Vorschläge für unterschiedliche Altersgruppen und andere Hinweise zur praktischen Umsetzung. Die Abfolge der Übungen orientiert sich an den fünf Kompetenzen, körperliche, geistige, emotionale, soziale und schließlich globale Kompetenz. Dabei wird klar, warum diese Reihenfolge wichtig ist, denn die Übungen bauen auf die in den vorhergehenden Übungen erlernten Fähigkeiten auf. Schließlich gibt es fünf Integrationsübungen, die hilfreich sind, um die Übungen in den Schulalltag einfließen zu lassen.

      Der letzte Abschnitt – Empfehlungen zur Integration – zielt darauf ab, die Inhalte in unserem Leben und unserer Arbeit umzusetzen. Arbeitsblätter und Empfehlungen in diesem Kapitel liefern praktische Unterstützung. Sie finden dort Empfehlungen von anderen Lehrenden und führenden Persönlichkeiten der Bewegung für Achtsamkeit in der Schule, sowie Arbeitsblätter für die Gestaltung ihrer eigenen achtsamkeitsbasierten Stunden und die Präsentation von Achtsamkeit für ein größeres Publikum. Im letzten Abschnitt erkunden wir, wie man Achtsamkeit effektiv und fließend in den Schulalltag integriert.

      Zeit für Achtsamkeit finden

      Oft wissen Lehrende nicht, wie sie die Zeit für eine Achtsamkeitsübung finden sollen, bei denen die Kinder einfach nur dasitzen und nichts tun. Doch sobald die Lehrenden sich diese Zeit einmal genommen haben – und sei es auch nur ein paar Minuten am Anfang jeder Stunde – merken sie, dass die Schülerinnen viel aufnahmefähiger sind und sie deswegen auch schneller mit dem Stoff vorankommen. Das ist, wie wenn wir sagen, wir wollen unser Essen nicht kauen, bevor wir es schlucken, weil das zu viel Zeit kostet. Selbst wenn es uns gelingt, das Essen schneller in unsere Mägen zu befördern, wäre es weder gesund noch genussreich. Wenn wir uns die Zeit nehmen, achtsam zu sein, finden wir mehr Leichtigkeit im Sein, statt gestresst von einer Sache zur Nächsten zu hetzen.