Kein Leben wie jedes andere. Konrad Diebler

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Название Kein Leben wie jedes andere
Автор произведения Konrad Diebler
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783969405413



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Moment in ein Gebüsch gespuckt. So sind mir gerade die negativen Erinnerungen geblieben.

      Auf dem Hof der Tischlerei hielt Opa Alwin noch Hühner und einen Hahn, diese Tiere waren aus der Nachkriegszeit übrig geblieben. Meinem Vater gefiel dies gar nicht. Die Hühner liefen über den Hof, kackten auf die Holzstapel und passten einfach nicht in eine Tischlerei. Das größte Problem war jedoch der Hahn. Er sprang Mitarbeitern oder Kunden, die auf den Hof kamen, in den Rücken. Auch ich ängstigte mich vor ihm. Eines Tages sprang der Hahn wieder einem Kunden in den Nacken. Meinen Vater packte die Wut, er ergriff den Gockel am Hals, ging in die Werkstatt und hackte ihm auf einer Hobelbank mit der Axt ruck zuck den Kopf ab.

      Diese spontane Tat war der Anfang vom Ende der Hühnerhaltung. Meine Oma war alles andere als glücklich, aber es half nichts, ein Huhn nach dem anderen wurde geschlachtet und landete im Topf und auf den Tellern.

      Das Jahr 1959 brachte für meinen Vater einschneidende Veränderungen. Über den Selbständigen schwebte die Gefahr der Enteignung durch den Staat. Dies beschäftigte ihn sehr, er trat die Flucht nach vorn an und schloss sich mit zwei weiteren Tischlermeistern zu einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks – einer PGH – zusammen, was das Ende seiner Selbständigkeit bedeutete. Er war nun PGH-Vorsitzender und Gehaltsempfänger, blieb aber, was ihm wichtig war, der Chef. Die anderen zwei Tischlereien brachten einen Haupt- und einen Lohnbuchhalter mit. So endete auch für meine Mutter die Arbeit im Büro. Ab 1959 war sie Hausfrau und Mutter eines Schulanfängers, mich.

       Ida und Alwin um 1960

       Konrad mit Mutter 1953

       Hulda u. Konrad 1956

       Robert u. Hulda um 1950

       SCHULKIND SEIN

      „Dann weht ein anderer Wind!“ Und: „Wenn du nicht fleißig lernst oder Dummheiten in der Schule machst, gibt es Schläge“, solche Sätze sagte nicht nur mein Vater, es war damals üblich, den Kindern Angst vor der Schule zu machen. So trat ich mein Schülerdasein mit gemischten Gefühlen an.

       Schulanfang 1959

      MAMA am Fenster, MIMI am Tisch, diese ersten Worte im Lesebuch brachte uns Herr Martin bei, unser erster Lehrer. Noch im Rentenalter unterrichtete er die Schulanfänger im Lesen, Rechnen und Schreiben. Schon vor 1933 war er Lehrer gewesen, wurde in der Nazizeit jedoch aus dem Schuldienst entlassen. Nach 1945, politisch unbelastet, konnte er den Lehrdienst wieder antreten. Das tat er mit einer Beinprothese, die von seiner Kriegsverletzung herrührte.

      Unsere ersten Schreibübungen machten wir noch mit Federhalter und Tinte. In den schweren, massiven Schulbänken befanden sich Öffnungen für die Tintenfässer. In diese tauchten wir unsere Schreibfeder ein und brachten mühsam die ersten Buchstaben zu Papier. Nicht ohne große Kleckse im Schulheft, auf der Schulbank, der Kleidung oder an den Händen zu hinterlassen.

      Ich hatte zwei Probleme. Alle Kinder trugen einen neuen Schulranzen, in der Art wie damals üblich, helles Leder und zwei Schnallen. Ich hatte einen schwarzen mit nur einer Schnalle, welchen meine Schwester schon getragen hatte. Zweitens besaß ich keine Federmappe, sondern ein kleines

      Holzkästchen für die Stifte, diese klapperten beim Laufen. So wurde ich von den Schulkameraden gehänselt, sie riefen: „Konrad mit dem schwarzen, altmodischen Ranzen und dem klappernden Holzkistchen.“ Mein Vater deutete die Situation so um, ich hätte das Bessere und die anderen Kinder seien nur neidig.

      Nach Abschluss der ersten Klasse ging Herr Martin in den wohlverdienten Ruhestand. Unsere neue Klassenlehrerin wurde Fräulein D., eine junge Frau, welche gerade ihr Studium absolviert hatte.

      In Klasse drei war wieder Lehrerwechsel, Frau N., eine Frau mittleren Alters, unterrichtete uns als neue Klassenlehrerin.

      Das Jahr 1963 sollte mein Glücksjahr nicht sein. Im Februar bekam ich starke Bauchschmerzen. Ein Heizkissen auf dem Bauch sollte die Schmerzen lindern, das Gegenteil war jedoch der Fall. Unsere Hausärztin konnte keine Diagnose stellen, überwies mich also in die Universitätsklinik Leipzig. Noch am Abend fuhr mich mein Vater mit dem Auto in die Liebigstraße. In Leipzig waren die Temperaturen unter minus 20 Grad gesunken und es schneite heftig.

      Nach mehreren Untersuchungen stellte dann ein Arzt die Diagnose: Blinddarmentzündung. Noch in der Nacht wurde ich notoperiert, der Blinddarm war vereitert und bereits geplatzt. Am nächsten Tag teilte der Arzt meinen Eltern mit, dass es eine halbe Stunde später – zu spät gewesen wäre.

      Nach einer Woche in der Universitäts-Kinderklinik wurde ich zwar entlassen, musste zu Hause aber noch das Bett hüten.

      An einem Abend klingelte das Telefon, es war Onkel Karl, der Bruder meines Vaters. Er teilte mit, dass Vater Robert, mein Großvater, verstorben war. Nur eine Woche war er mit Grippe im Bett krank gewesen. Sein Tod kam allen sehr plötzlich. Der Kontakt zu ihm war nicht so eng wie zu meinen Großeltern mütterlicherseits. Vielleicht 4 bis 6 Mal im Jahr besuchten wir ihn in Tautenhain.

      Da hatte er mir, seinem jüngsten Enkel, immer seine Kaninchen gezeigt. Sein Tod machte mich sehr traurig. Großmutter Hulda war bereits 1956 verstorben, an sie habe ich keine Erinnerung.

      Der Februar überzog das Land mit eisigen Temperaturen und viel Schnee. Die Tiefsttemperatur fiel unter minus 30 Grad. In den Braunkohletagebauen rund um Leipzig stockte die Kohleförderung, gleichzeitig aber wurde mehr Heizmaterial verbraucht. Aus diesem Grund schlossen die Schulen und der Unterricht fiel aus. Ich verpasste durch meinen Blinddarm keinen Schulunterricht. Außerdem führte man nun das Schulfernsehen ein.

      Meine Blinddarmwunde heilte, die Temperaturen stiegen und der Frühling zog ins Land. Doch ein Unglück kommt selten allein.

      Am Sonnabend, den 16. März wollte ich mit meinen Freunden Fahrrad fahren. Hier muss ich einfügen, dass damals die meisten Leute im Winter nicht Fahrrad fuhren. Im Herbst wurde das Rad geputzt, eingeölt und im Keller oder auf dem Hausboden zur Überwinterung abgestellt. Bei Familie Diebler überwinterten die Fahrräder auf dem Dachboden. Ich bettelte meine Eltern, mir mein Rad vom Boden zu holen. Nach längerem Betteln gaben sie nach und holten mir mein Fahrrad.

      Ich fuhr zum Treffpunkt und wir starteten in die Fahrradsaison.

      Nach einigen Radrunden machte ein Junge den Vorschlag, mit dem Radfahren aufzuhören und lieber Verstecke zu spielen. Gesagt, getan. Los ging es! Das Gemeinschaftsgrundstück in der Bergmannssiedlung, auf dem wir uns befanden, war mit einem Holzzaun eingefriedet. Vor dem Zaun stand eine große Kiste, welche ungefähr bis zum oberen Zaunriegel reichte. Ich kletterte auf die Kiste und stellte den linken Fuß auf den Riegel zwischen zwei Zaunlatten, dabei verlor ich das Gleichgewicht und stürzte nach vorn. Mein linker Fuß steckte jedoch noch im Zaun. Der Zaun war stabil. Und ich hatte günstiger Weise noch hohe Schuhe an.

      Ich schaute nach oben direkt auf meine Schuhspitzen. Freunde befreiten mich aus der misslichen Lage. Doch hatte ich höllische Schmerzen im Bein und konnte nicht auftreten. So setzten mich die Jungs auf mein Fahrrad und schoben mich nach Hause. Der linke Unterschenkel bewegte sich zwischen Knie und Knöchel hin und her. Der Kommentar der Freunde, „das ist nicht so schlimm, höchstens verstaucht“, sollte mich trösten. Zu Hause angekommen, sah mein Vater sofort, was passiert war. Beide Unterschenkelknochen, Schien- und Wadenbein waren gebrochen.

      Jetzt war keine Zeit zu verlieren. Vater legte mich in seinen Wartburg-Kombi und fuhr in das St. Elisabeth-Krankenhaus nach Leipzig-Connewitz. In der Notaufnahme wurde das Bein