Kein Leben wie jedes andere. Konrad Diebler

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Название Kein Leben wie jedes andere
Автор произведения Konrad Diebler
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783969405413



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da dieser bereits im Rentenalter war und den Betrieb nicht weiterführte.

      Nach einigen weiteren Stationen kam mein Vater zu Beginn der 1930er Jahre dann nach Leipzig.

      Dort lebte auch meine Mutter. Sie wurde am 5. Januar 1912 in der Messestadt geboren.

      Ihr Vater Alwin Pehnert, Jahrgang 1886, war Geschirrführer. Ein Beruf, der dem heutigen Berufskraftfahrer entspricht. In dieser Zeit wurden die meisten Transporte noch mit Pferd und Wagen durchgeführt. So transportierte mein Großvater große Rollen Zeitungspapier vom Güterbahnhof in die Zeitungsdruckereien. Auch am Bau des Völkerschlachtdenkmals war er mit Baustofftransporten beteiligt gewesen.

      Meine Großmutter Ida, die Alwins Frau war, wurde 1889 geboren. Sie wusch für feine Herrschaften in deren Haushalt die Wäsche, bügelte und spannte Gardinen. Auch in der Küche wurde sie tätig. Ihre Herrschaften waren Inhaber der Gaststätte „Zum Thüringer Hof“ und während der Leipziger Messen kochte auch sie mit in der traditionsreichen Gaststätte.

       Ida Pehnert

      Alwin und Ida stammten aus dem Dorf Mölbis südlich von Leipzig. Das einige Jahrzehnte später in der DDR traurige Berühmtheit erlangte. Es lag hinter dem Braunkohlenveredlungswerk Espenhain. Damit lag es in der Hauptwindrichtung. Viel Dreck und giftige Abgase zogen in das Dorf und machten die Bewohner, und besonders die Kinder, krank.

      Die Eltern von meinem Opa Alwin bewirtschafteten in Mölbis einen kleinen Bauernhof.

      Meine Oma Ida hingegen war das uneheliche Kind einer Magd in Mölbis. Es ging die Kunde, ein Butterhändler, der über die Dörfer zog und hier und da ein Kind zeugte, sei der Vater gewesen.

      Auch hieß es, der Dorfpfarrer habe der leiblichen Mutter den Säugling gegen ihren Willen weggenommen und ihn Pflegeeltern im Dorf übergeben. Dies war ein traumatisches Erlebnis für die leibliche Mutter.

      Nach Abschluss der Dorfschule ging meine Oma nach Leipzig in Stellung, d.h. sie wurde Dienstmädchen in einem vornehmen Haushalt. Putzen, waschen, kochen zählten zu ihren Aufgaben.

      Doch dann passierte es: Ihre Mutter hatte herausgefunden, wo sie wohnt, und wollte Kontakt mit ihr aufnehmen. Diesen Versuch hat meine Oma jedoch brüsk abgewiesen. Sie sagte ihr: „Ich habe keine Mutter!“

      Meine Großeltern, die nach eigenen Aussagen in Mölbis keinen Kontakt hatten, lernten sich in Leipzig kennen, lieben und heirateten 1911.

      1914 musste auch Alwin in den Weltkrieg ziehen. Er war bis 1918 an der Westfront, in Belgien und Frankreich im Einsatz. Er hat nie viel erzählt. Die Grauen im Schützengraben wurden nicht thematisiert, obwohl er zwei Mal verwundet wurde. Die einzige Schilderung über diese Zeit widmete er dem Essen.

      So erzählte er: „Im Winter lagen da im Freien große Berge gefrorener Rüben. Die Köche kamen mit dem Spaten und stachen welche ab. Die gaben sie so in den Kessel, so dass sie zusammen mit der Erde und den Ratten aufgetaut und gekocht wurden!“

       Hochzeit Alwin und Ida 1911

      Die Grauen des ersten Weltkrieges haben nach Erzählungen meiner Großeltern viele Menschen dazu veranlasst, aus der Kirche auszutreten. Auch meine Großeltern kehrten der Kirche von da an den Rücken. Ihre Tochter Herta wurde noch getauft, aber nicht mehr konfirmiert.

       Familie Pehnert um 1918

      Nach ihrem Schulabschluss 1926 erlernte meine Mutter den Beruf einer Kontoristin, Bürokauffrau nennt man diese Tätigkeit heute.

      Anfang der dreißiger Jahre geschah es. Da lernten sich im Volkshaus in der Leipziger Südvorstadt meine Eltern beim Tanz kennen. Vater war arbeitslos und meine Mutter arbeitete in ihrem Beruf in einer Spedition.

      Als mein Vater seine Herta heiraten wollte, hielt er bei Alwin „um ihre Hand an“, d.h. er erbat das Ja für die Hochzeit.

       Herta und Martin als junge Menschen

      Mit der Frage: „Wie willst du sie denn ernähren?“, verweigerte ihm Opa Alwin ihm die Zustimmung.

      Um der Arbeitslosigkeit zu entgehen, machte sich Vater 1933 selbständig. Als Stellmacher baute er Handwagen und Fahrradanhänger. In dieser Zeit wurde der Skisport gerade populär. Dies brachte ihn auf die Idee, Skier zu reparieren, insbesondere abgebrochene Spitzen wieder anzubringen und einen Skiservice durchzuführen. Obendrein stellte er auch selbst Holzskier her, die in Sporthandlungen verkauft wurden.

      Seine erste Werkstatt war ein kleines Hofgebäude in der Johannastraße 11 in Leipzig Dösen.

      1935 dann übernahm er einen Kohle- und Holzhandel in der Leinestraße in Leipzig Dölitz.

       Hochzeit Martin und Herta 1935

      Dort richtete er sich seine Werkstatt ein. Neben dem Verkauf von Brikett und Feuerholz verlegte er sich bald auf den Bau von Wochenendhäusern. Diese wurden in der Werkstatt gebaut, auf dem Hof auf- und anschließend wieder abgebaut, zum Standort transportiert und dort endgültig errichtet.

      Wie gut die Geschäfte liefen! Er verdiente Geld und bekam 1935 von Opa Alwin die Erlaubnis zur Hochzeit, die im gleichen Jahr am 13. April gefeiert wurde.

      Der Zweite Weltkrieg beendete jäh diese Entwicklung. Ein Jahr nach Kriegsbeginn wurde Vater zur Wehrmacht eingezogen, musste in den Krieg ziehen. Nach sieben langen Jahren kehrte er 1947 aus russischer Kriegsgefangenschaft endlich in die Heimat zurück.

      Der Anfang nach dem Krieg war schwer. Zerstörte Städte, große Winterkälte und Hungersnöte verlangten den Menschen viel ab.

      Opa Alwin und Oma Ida stammten vom Dorf und kannten sich mit Tierhaltung und Gartenbau aus. Sie fütterten eine Ziege, Hühner und Kaninchen. So war kein Mangel an Milch, Eiern oder Fleisch. Im Garten wuchs Gemüse und Kartoffeln wurden gepflanzt. Aus der Ziegenmilch stellte Opa Alwin Ziegenkäse her. Im Connewitzer Wald bekamen die Selbstversorger eine Fläche zugewiesen, von der sie sich mageres Gras als Futter holen konnten. Die Urgroßeltern in Mölbis konnten auch mit etwas Essbarem aushelfen.

      Dadurch brauchten weder meine Eltern, noch meine Schwester Martina so großen Hunger leiden, wie die Leipziger Stadtbevölkerung.

      Mein Vater brachte seine Tischlerei wieder zum Laufen. Er hatte zehn Gesellen und war besonders auf den Leipziger Messen wirtschaftlich erfolgreich. Mit dem Bau von Wochenendhäusern war es nach dem Krieg erst einmal vorbei, die Menschen hatten jetzt andere Probleme.

      1953 legte er seine Meisterprüfung ab. Als Tischlermeister, obwohl er den Tischlerberuf – er war ja Stellmacher – nie erlernt hatte. Und somit sind wir wieder in meinem Geburtsjahr angelangt.

       Konrad - 1. Foto 1953

      Die ersten Lebensjahre verbrachte ich viel bei Oma und Opa. Meine Mutter erledigte in der Tischlerei die Büroarbeiten. Da meine Großeltern gegenüber der Werkstatt wohnten, gab mich Mutter früh dort ab und nahm mich nach Feierabend wieder mit nach Hause.

       Familie Diebler um 1957

      Für ein Jahr besuchte ich ab 1958 den Kindergarten in Dölitz. An zwei Sachen erinnere ich mich bis heute, an das Essen und Schlafen. Wir mussten immer aufessen und auch das fette Fleisch durfte nicht auf dem Teller bleiben. Nach dem Essen kam die Mittagsruhe, geschlafen