Turrinis Nase. Franz F Altmann

Читать онлайн.
Название Turrinis Nase
Автор произведения Franz F Altmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783701178292



Скачать книгу

ist, denkt er sich auch. Und weil er gar so viel denkt, denkt er überhaupt nicht dran, was sich die Leute denken werden, wenn ihr Doktor mit einem dünnen Manterl und mit Schlapfen im Schneesturm vor dem Haus herumsteht. Man sieht ihn aber eh fast nicht. Praktisch getarnt: weißes Manterl, weißes Hemd, weißes Hoserl, weiße Schlapfen und sogar weiße Socken. Die Haare werden auch schön langsam weiß. Und kalt ist ihm sowieso kein bisserl. Weil ihm vor lauter An-die-Gucki-Denken ganz warm ist.

      * entrisch: gruselig, unheimlich

      Der Gucki ist dafür saukalt. Richtig reißen tut es sie, wie sie jetzt durch den Schnee stapft. Warum muss sie aber auch blöd in der Gegend herumrennen, anstatt endlich ihren Aufmacher zu schreiben? Wird schon ihre Gründe haben. Erstens muss der Turrini sowieso schon längst Gassi, wobei Gassi natürlich der falsche Ausdruck ist, weil es bei uns ja keine Gassen gibt. Zweitens muss sich die Gucki den Tatort anschauen. Und auch bei Tatort bin ich mir nicht so sicher. Weil: Wer sagt denn, dass der Fundort der Leiche gleichzeitig der Tatort ist? Eigentlich kann er es gar nicht sein. Hundertpro! Weil gestern ist der Harry nicht umgebracht worden – und vorgestern hätte die Gucki die Leiche gefunden. Also: die Gucki wahrscheinlich nicht. Wegen dem vielen Schnee. Der Turrini aber bestimmt. Für was ist er denn sonst ein Hund? Die Gucki und der Turrini sind nämlich vor zwei Tagen am Fundort vorbeigekommen. Weil sie da praktisch jeden Tag vorbeikommen. Beim Gassigehen, das – wie gesagt – kein Gassi-, sondern ein Feldwegigehen ist. Weil der Fundort ja ganz in der Nähe von der Gucki ihrem Haus ist. In Steining. Das ist ein Dorf, das aber kein richtiges Dorf ist, sondern lauter alleinstehende Häuser. Ein paar Bauernhäuser und der Gucki ihr Wochenendhaus, das jetzt kein Wochenendhaus mehr ist. Eher umgekehrt – ein Wochentagshaus. Weil die Gucki am Wochenende öfter nach Wien fährt.

      Gestern war sie aber nicht in Wien. Da war sie mit dem Turrini beim Fundort. Und ist sogar stehen geblieben. Und hat sogar noch ein Foto gemacht. Weil es so ein entrisches* Bild war. Ist da auf einmal so eine Art Galgen aufgestellt. Einfach zwei Latten im rechten Winkel zusammengenagelt, und dann noch eine dritte in einem Winkel von 45 Grad. Damit es auch hält. Und an dem Galgen baumelt eine tote Krähe. Mit dem Kopf nach unten. Trotzdem schaut es aus wie eine öffentliche Hinrichtung. Sozusagen abschreckendes Beispiel. Nur: warum? Ich mein: Für was braucht man im Winter eine Vogelscheuche? Gibt ja nichts, was die Krähen fressen könnten. Nur Schnee. Die Siloballen, die für die Gucki normalerweise ein vertrauter Anblick sind, weil sie schon seit dem Sommer dort liegen, sind so verschneit und so verweht, dass sie auf einmal wie ein Lindwurm ausschauen. Den hat die Gucki auch fotografiert. Gleich ein paar Mal. Die Siloballen hat die Gucki sowieso schon öfter fotografiert. Auch schon im Sommer. Weil sie so was Unwirkliches haben. Praktisch Fremdkörper in der Landschaft. Die Form ist es aber nicht, dass sie nicht herpassen. Weil da gibt es Steine auch, die so ausschauen: so ein Zylinder, bei dem die Kanten abgerundet sind. Eher das Material: das Plastik, das da herumgewickelt ist. Weil es ausschaut, wie wenn es so spannen tät, wie wenn es den Siloballen jeden Moment zerreißen tät. Und dann natürlich die Farbe: So ein komisches Grün, dass man es gar nicht beschreiben kann. Am ehesten noch: gespieben. So blassgrün wie einer im Gesicht ist, der kurz vor dem Speiben steht. Irgendwie eine Leichenfarbe. Ich mein: Ich will ja nichts sagen gegen die Siloballen, weil sie ja schon recht was Praktisches sind. Nur: Jetzt gibt es sie schon seit mehr als zehn Jahren – und ich kann mich noch immer nicht an die Silobinkel gewöhnen! Weil bei uns heißt es Silobinkel. Weil natürlich kein Mensch Ballen sagt. Binkel klingt ja auch irgendwie freundlicher. Trotzdem kann ich mich nicht damit anfreunden.

      Der Turrini anscheinend auch nicht. Der bellt wie ein Wilder und ackert im Schnee herum, als wären die Silobinkel wirklich ein Lindwurm – und er der Heilige Ritter Georg, der die Gucki vor diesem Monster beschützen muss. Muss die Gucki natürlich lachen. Weil sie manchmal wirklich ein bisserl von einem Ritter träumt. Halt von einem, der sie aus ihrem ganzen Schlamassel herausreißt: dass sie für diese depperten Mühlviertler Nachrichten schreiben muss, dass sie sich ununterbrochen von dieser depperten Chefin sekkieren lassen muss, dass sie mit dieser depperten Diplomarbeit über den Turrini nicht fertig wird, dass sie nicht weiß, wie sie diesen depperten Altbausanierungskredit zurückzahlen soll, dass dieser depperte Hund nicht folgt, dass überhaupt alles aussichtslos ist. Da ist es dann wirklich kein Wunder, dass sie hie und da ein bisserl ins Träumen kommt. So – von wegen eine starke Schulter, an die man sich anlehnen kann. Nur war halt weit und breit kein Ritter in Sicht. Weil ins Gasthaus Otter verirrt sich keiner – und auf ein Zeltfest oder Hüttenfest auch nicht. Und in die Meierhansl-Hütte, in der sie jeden Sonntag und jeden Dienstag tarockiert, schon gar nicht. Dort gab es zwar Männer zum Saufüttern – und alle nicht verheiratet – und alle auf der Suche nach einer Frau – nur: Was die suchen, ist keine lustige Journalistin, die Kartenspielen kann, sondern eine tüchtige Bäuerin, die einen Nebenerwerbshof bewirtschaften kann. Und außerdem: Bei der Gucki traut sich sowieso keiner so recht. Weil die Gucki halt doch anders ist. Nicht nur, weil sie eine Studierte ist. Auch weil es einem das Beuschel herausreißt, wenn man einmal bei der Gauloises filterlos anzieht, die die Gucki immer raucht. Da muss einer schon recht einen Rausch haben, dass er zudringlich wird. So wie gestern der Joe. Hat ihr ein bisserl auf den Busen gegriffen. Ist aber dann eh gleich eingeschlafen. Im Sitzen. Die Watschen, die ihm die Gucki vorher noch gegeben hat, hat er wahrscheinlich nicht einmal recht gespürt. Obwohl: Die Gucki kann ordentlich zuhauen! Weil geklescht hat es ärger, wie wenn der Fuzzi „Schuss!“ sagt. Und der drischt dabei so auf den Tisch, dass die Gläser wackeln. Aber das hab ich eh schon erzählt.

      Und dann hat die Gucki jetzt auch wirklich was Besseres zu tun, als an Männer zu denken. Weil es ihr schon wieder den Magen hebt. Weil es auf einmal so stinkt. So ein eigenartig süßlicher Geruch. Ein bisserl wie Zuckerwatte. Nur: Wo soll denn da mitten am Arsch der Welt eine Zuckerwatte herkommen? Wahrscheinlich bildet sie sich das nur ein. Außerdem wird es jetzt wirklich höchste Zeit, dass sie in die Redaktion kommt. Also hoppauf! Die Gucki pfeift – der Turrini kommt nicht. Das allein wäre noch nichts Besonderes. Weil der Turrini grundsätzlich nur kommt, wenn es ihm passt. Weil ihn die Gucki halt verzogen hat. Vermodelt heißt das bei uns. Nur: Normalerweise schaut ihr Turrini-Burli wenigstens her, wenn sie pfeift: Ob sich das Folgen auszahlt. Ob das Frauli vielleicht ein Fressi in der Hand hat. Weil das Frauli immer ein Fressi eingesteckt hat. Heute – zum Beispiel – eine getrocknete Rindslunge. In der Außentasche von ihrer Fliegerjacke. Das ist so eine kurzgeschnittene schwarze Lederjacke mit einem Kragen aus weißem Lammfell. Die ist auch vom Opa. Der war nämlich Jagdflieger. Und die Fliegerjacke war neben einem Bauchschuss das Einzige, was ihm vom Krieg geblieben ist. Dementsprechend stolz war er auch auf seine zwei Erinnerungen. Wenn der wüsste, wie seine Jacke jetzt riecht! Weil sie nämlich gotterbärmlich stinkt. Nach Hundefutter. Vielleicht kriegt die Gucki nur deswegen keinen Mann?

      Aber lassen wir die Spekulationen! Beim Turrini waren wir. Der nicht nur nicht folgt, sondern auch nicht einmal herschaut. Weil er wie ein Narrischer im Schnee herumbuddelt. Bleibt der Gucki gar nichts anderes über, als dass sie hingeht. Wie sie aber näher kommt, wird ihr klar, dass sie sich das mit der Zuckerwatte nicht nur eingebildet hat. Ich mein: Zuckerwatte ist es natürlich keine, aber stinken tut das Silofutter genauso. Und der Turrini muss sich jetzt auch noch in diesem stinkenden Zeug herumwuzeln! Das macht er grundsätzlich. Je mehr was stinkt, umso lieber ist es ihm! Am liebsten rennt er daher hinter einem Miststreuer her oder hinter einem Odelfassl. Und dann wuzelt er sich auch schon im ärgsten Dreck – und die Gucki kann ihn wieder baden! Nur: Das macht er ja nicht zufleiß – das machen die meisten Hunde. Die Gucki hat sogar beim Otter groß angekündigt, dass sie Odel in Hundeparfüm-Flascherl abfüllen und sauteuer verkaufen wird. Das war aber natürlich nicht ernst gemeint. Weil die Produktbezeichnung Eau de toilette wäre dann doch zu doppeldeutig. Trotzdem erzählt das Fräulein Ehrenmüller bis zum heutigen Tag herum, dass die Gucki angehende Parfumfabrikantin ist. Das tut die Gucki überhaupt gern: so ein bisserl die Leute pflanzen. Für das ist ihr nichts zu blöd! Hat sie doch tatsächlich knapp unter dem Dach an die Mauer von ihrem Haus einen alten Holzkorb montiert. Und mitten in den Korb einen Schneebesen hineingesteckt. Hat auch nicht lang gedauert, bis man sie darauf angeredet hat. Und ein paar hat es wirklich gegeben, die die Geschichte vom biologischen Fernsehprogramm aus Schweden sogar geglaubt haben. Weil so ein Holzkorb wirklich eine gewisse Ähnlichkeit mit den Satellitenschüsseln hat, die heutzutage auch bei uns ein jedes Haus verschandeln. Von den Hirnen, die damit verschandelt werden, will ich jetzt gar nicht reden!

      Weil