Chronik von Eden. D.J. Franzen

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Название Chronik von Eden
Автор произведения D.J. Franzen
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783957771285



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Vorschein.

      »Bei dir hat es doch geklappt, oder? Wer weiß denn genug über Vogelspinnen, um unsere Abschreckung zu durchschauen? Jetzt müssen wir aber weiter. Es ist nicht mehr weit. Dann kannst du etwas essen und dich ausruhen, während ich dir die anderen vorstelle.«

      »Haben noch mehr dieses Massaker überlebt?«

      »Ja. Aber jetzt komm. Schnell.«

      Auf hölzernen Beinen stakste Martin hinter Tom die Treppe herunter. Die Wände wechselten von grauem Verputz zu rotem Backstein. Martin stützte sich beim Abstieg schwer auf das Geländer und verzog das Gesicht. Seine Hand wanderte an seine rechte Seite und er stöhnte unterdrückt auf. Seitenstiche bohrten sich wie ein stumpfes Messer durch seinen Bauch. Tom führte ihn zu einer weiteren grauen Eisentür. Martin keuchte und stützte sich an der Wand ab. Tom öffnete die Tür und Martin fühlte, wie er mit einer ungeduldigen Bewegung in einen schmalen Gang geschoben wurde. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Das Knirschen verstummte abrupt. Martin sah sich verwirrt um.

      »Was ist los? Warum höre ich nichts mehr?«

      »Weil wir da sind. Wenn wir alle nah beieinander sind, können wir IHRE ...« Tom zögerte. Dann zuckte er mit den Schultern. »Es wird ruhiger, wenn wir alle zusammen sind. Vertrau mir.«

      Tom fasste Martin am Arm und führte in zu einer Biegung am Ende des Ganges. Sie kamen um die Ecke und betraten eine runde Halle mit einer kuppelförmigen Decke. Mehrere Gänge führten aus diesem unterirdischen Dom hinaus. An den Wänden standen Kisten mit Lebensmitteln und Trinkwasserbehältern im typischen Farbton des Militärs, mit gelber Aufschrift. Neonröhren an der Decke tauchten die Halle in kaltes Licht. Zwischen zwei Gängen sah Martin ein Schlagzeug. Direkt daneben mehrere Ständer mit Gitarren. Rechts von ihm stand ein kleiner Tisch mit einer Funkanlage. Eine Karte Kölns hing an einer der Wände. In der Mitte der Halle hatten sich fünf Kinder zusammengekauert. Martin bemerkte an den Sweatshirts und Pullovern aller Kinder ein rundes Emblem, das wie das Ergebnis einer Handarbeitsstunde der vierten Klasse aussah. Eine schwarze Spinne auf gelben Hintergrund. Tom wandte sich an Martin. Sein Blick verriet Stolz.

      »Martin. Darf ich dir die Spider-X vorstellen?«

      Kapitel V - Flucht

      Die Kinder saßen im Halbkreis vor Martin, der einen Müsliriegel aß. Im Hintergrund rauschte und knisterte das Funkgerät. Er versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Draußen herrschten offenbar Krieg und Chaos. Wenn es hart auf hart käme, wären die Kinder für ihn schlimmstenfalls ein Klotz am Bein. Wie würde er reagieren, wenn es für ihn ums nackte Überleben ginge? Martin wusste darauf keine vernünftige Antwort. Zumindest ließen ihn die Kids in Ruhe essen, ohne ihn sofort mit Fragen, Gejammer und Tränen zu bestürmen.

      Martin blickte auf und Tom begann ihm mit leiser Stimme die anderen vorzustellen. Ein blondes Mädchen mit einfältigen Gesichtszügen stellte Tom als Gabi vor. Sie kicherte und wurde rot, als Martin ihr mit prallen Wangen und gespielt fröhlich zublinzelte. Karl und Kurt waren eineiige Zwillinge. Tom erklärte ihm, das Karl stumm und Kurt taub sei.

      »Wenn du Karl ansprichst, gibt er Kurt ein Zeichen, damit er dich ansieht und von deinen Lippen ablesen kann.«

      Ritchie, einen verwachsenen Jungen in einem elektrischen Rollstuhl, nannte Tom The Brain.

      »Die Idee, Maximilian an der Treppe aufzuhängen, stammt von ihm«, sagte er. Martin bemerkte mit Erstaunen in Toms Stimme einen Hauch von Heldenverehrung. Bisher hätte er Tom eher als Anführer der kleinen Gruppe eingeschätzt. Ritchie grinste und griff mit seiner verkrümmten Rechten an einen Hebel an seinem Rollstuhl. Ein kleiner Metallarm mit einem Kehlkopfmikrofon fuhr ihm vor das Gesicht.

      »Und?«, schnarrte seine künstliche Stimme. »Hat es gewirkt?«

      Martin spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. In einer verlegenen Geste zuckte er mit den Schultern und nickte leicht. Tom deutete auf die Letzte der Gruppe.

      »Das ist Melanie. Sie ist die älteste von uns und Gabis Schwester. Sie ist taubstumm, kann aber von deinen Lippen lesen.«

      »Okay. Und wie seid ihr hierher gekommen? Was ist passiert, während ich weg war?«, fragte Martin.

      Die Kinder blickten sich an und er glaubte für einen Augenblick leise Stimmen zu hören. Aber da war nichts. Keines der Kinder bewegte die Lippen und doch ... es wirkte als würden sie stumme Zwiesprache halten. Einen Dialog, von dem er ausgeschlossen war. Dann verging der Moment, Ritchie nickte, und Tom wandte sich an Martin.

      »Vor ein paar Wochen gab es im Fernsehen die ersten Berichte über eine Art Supergrippe.«

      Martin winkte Toms Worte ab.

      »Das habe ich mitbekommen. Niemand wollte es zugeben, aber dieses Virus mutierte fröhlich weiter und war gegen alle Versuche es zu bekämpfen immun.«

      Das Mikrofon fuhr vor Ritchies Hals.

      »Ja. Und während die großen Anführer und Lobbyisten sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe schoben, ging so richtig die Post ab«, schnarrte seine künstliche Stimme. »Paris, Genf, Zürich, München ... ist eine ziemlich lange Liste mit Totalverlusten geworden.«

      Ein schiefes Grinsen verzerrte Ritchies Gesicht noch mehr. Martin vermutete, dass man so wurde, wenn man ständig von der Gnade anderer abhängig war. Trotzdem, einem Kind stand so viel Sarkasmus nicht zu, fand er. Er wandte sich wieder an Tom.

      »Das weiß ich alles. Was mich interessiert, ist, was in der Zeit passiert ist, in der ich weg war.«

      »Erst wurden die Leute einfach nur krank und starben. Dann kamen SIE«, antwortete Tom.

      »SIE? Das sind die ... Knirscher, stimmts?«

      Tom nickte. Für einen Augenblick kamen ihm die Worte von Declan Smith in den Sinn. Über die Gerüchte, dass die Toten der Seuche als Zombies wieder auferstehen würden. Aber das konnte nichts anderes sein als die typischen Anzeichen einer Massenhysterie. Martin schob den Gedanken beiseite. Panik und Hysterie waren ganz schlechte Ratgeber, wenn man in der Scheiße saß.

      »Wie kam ich hierher?«

      »Die Soldaten haben hier ein notdürftiges Krankenhaus eingerichtet. Wann du gekommen bist, weiß keiner von uns. Wir durften unsere Zimmer nicht mehr verlassen. Dann ging da oben plötzlich alles drunter und drüber. Die Soldaten und Ärzte haben sich gegenseitig angeschrien. Dann haben sie sich geprügelt. Einer der Soldaten hat uns hier unten versteckt. Oben wurde plötzlich geschossen und ...« Tom stockte. Martin konnte sich vorstellen, was in dem Jungen vorging. Schließlich holte Tom zitternd Luft und fuhr in seinem Bericht fort. »Wir warteten, bis es ruhiger wurde. Dann sind wir hoch. Kurt, Karl und ich haben dich gefunden. Du warst außer uns der letzte Lebende hier. Wir haben dann jeden Tag nach dir gesehen.«

      Toms Lippen bildeten einen blutleeren Strich in seinem blassen Gesicht. Martin glaubte er wolle noch viel mehr sagen, aber der Junge schwieg. Martin versuchte irgendwie einen Sinn hinter den Schleier der vergangenen Tage zu bringen, die er bewusstlos in seinem Zimmer gelegen hatte. Die Kinder standen unter Schock. Kein Wunder, denn selbst für ihn war das Ausmaß dieser Katastrophe nicht endgültig erfassbar. Dann war da noch die Frage, warum man ihn hierhin verschleppt hatte.

      Martin schaute seufzend auf. Hier würde er keine Antworten finden. Die Kinder beobachteten ihn schweigend und warteten. Er seufzte erneut und schüttelte den Kopf. Bisher hatten sie sich gut gehalten. Aber sie könnten nicht ewig hier unten hocken. Martin stand ächzend vom Boden auf und ging an den Tisch mit dem Funkgerät.

      »Was hast du vor?«

      Martin drehte sich um und sah einen der Zwillingsbrüder direkt hinter ihm stehen.

      »Wir können nicht ewig hier unten hocken und hoffen, dass sich da oben alles von alleine klärt oder ein himmlischer Retter in unserer Mitte erscheint.«

      Der Junge sah ihn zweifelnd an, sagte aber nichts mehr.

      »Habt ihr eine bessere Idee?«

      »Warum bist du nicht krank?«, schnarrte