Chronik von Eden. D.J. Franzen

Читать онлайн.
Название Chronik von Eden
Автор произведения D.J. Franzen
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783957771285



Скачать книгу

      Wo war er?

      Das gelbliche Licht eines späten Nachmittags flutete ins Zimmer, stach mit heißen Nadeln in seinen Augen. Mit einem leisen Stöhnen kniff er sie zusammen. Vorsichtig wandte er den Kopf. Stille hinter dem Metronom des Piepens.

      Ein Krankenhausbett?

      Seine trockene Zunge fuhr über die Lippen. Sie fühlten sich wie zwei taube Wülste in seinem Gesicht an. Langsam öffnete er die Augen ein kleines Stück. In seinen Armen steckten Infusionsnadeln. Über seiner Brust lag ein umgekippter Galgenständer. Mühsam verfolgte er mit seinem Blick einen Schlauch, der aus seinem Arm wuchs. Ein Gefühl, als müsste er sich wie ein antiker Held einen Weg aus einem Labyrinth suchen. Seinen eigenen Weg zurück in die Realität.

      Er sah neben dem Bett einen Monitor und einen weiteren Galgenständer mit einer Infusionsflasche. Ein Blick auf die Flasche. Leer und zerknüllt wie eine Coladose am Haken.

      Okay, du liegst in einem Krankenhaus, dachte Martin. Wie zum Teufel bist du hierhin geraten? Ich war doch eben noch im Stadion, wo ...

      Er schloss die Augen, als die Bilder der Erinnerung auf ihn einstürmten.

      Karin, das Feuer, Baguette und Gauloises ... der Stich in den Arm.

      Langsam erwachte Martin endgültig aus dem Dämmerzustand. Ein Gefühl wie durch ein Meer aus Watte zu schwimmen. Er öffnete seine Augen erneut, diesmal vorsichtiger, und blickte sich um. Stumpfes Licht fiel in sein Zimmer. Ein Einzelzimmer, während draußen die Menschen in Massen starben? Über das Piepsen des Monitors hinweg bemerkte er etwas Ungewöhnliches.

      Ruhe.

      Nicht nur Ruhe, sondern das absolute Fehlen jeden Geräuschs. Selbst in einem ländlichen Krankenhaus würde man die üblichen Geräusche hören.

      Nichts.

      Absolutes Nichts.

      Keine Autos draußen, keine Schritte auf dem Flur. Kein Türenknallen, keine Lautsprecherdurchsagen, die nach irgendeinem Doktor riefen ... die Welt begrüßte Martin mit eisigem Schweigen. Ächzend hob er den Kopf und stützte sich auf die Ellenbogen. Einer der Galgenständer fiel laut scheppernd zu Boden. Martin verzog das Gesicht und kniff die Augen zu. Er holte tief Luft, um das Summen im Kopf unter Kontrolle zu bekommen.

      Zu viel Anstrengung, alter Junge. Gehs langsamer an.

      Martin lächelte müde. Mit Hilfe des dreieckigen Plastikgriffs über dem Bett setzte er sich ganz auf. Schweißgebadet hielt er einen Moment inne. Außer dem Echo des Herzschlags in seinen Ohren hörte er nichts. In seinem Kopf hämmerte es furchtbar. Was war das hier für ein Laden? Martin fand den Rufknopf für die Schwester. Ein Griff, ein Druck mit dem Daumen, und im Schwesternzimmer würde jetzt eine rote Lampe blinken und allen mitteilen, dass Martin wieder unter den Lebenden weilte.

      Soweit die Theorie.

      Nichts tat sich.

      »Hallo?«

      Seine Stimme war ein heiseres Krächzen. Ein schmerzhaftes Schlucken.

      »Hallooho?«

      Der einsame Ruf verblutete in der Stille. Martin saß in seinem Bett und hypnotisierte die Tür. Der gleichgültige Gesang des Monitors hallte durch die Stille.

      Keine Schritte.

      Keine Stimmen.

      Keine Autos ... und draußen dämmerte der Morgen.

      *

      Martin vergaß die Zeit und erst als seine Pobacken einschliefen, kam wieder Leben in ihn. Mit einer fahrigen Geste griff er an seine Arme und zog die inzwischen nutzlosen Infusionsnadeln heraus. Dann waren die Pflaster an der Reihe, die die Elektroden an seine Brust klebten. Der Monitor bekam eine Herzattacke und pfiff wie ein heiserer Dampfkessel. Jetzt würde man im Schwesternzimmer aber bestimmt Alarm schlagen.

      Zehn Minuten später war immer noch niemand da, um nach dem Rechten zu sehen. Aus dem mulmigen Gefühl in Martins Bauchhöhle wurde langsam ein Eisklumpen. Wer hatte ihn aus welchen Gründen hierhin verschleppt? Vorsichtig schwang er die Beine aus dem Bett und wankte ans Waschbecken.

      Wasser! Schnell, viel und kalt.

      Sein Körper schrie nach Flüssigkeit. Der Wasserhahn röchelte und ein Strahl dunkelbrauner Brühe schoss hervor, der nur langsam klarer wurde. Martin fragte sich, wie lange es her war, dass hier jemand den Wasserhahn benutzt hatte. Ein oder zwei Tage reichten normalerweise, damit die Leitungen sich mit Rost belegten. Sollte so lange niemand nach ihm gesehen haben?

      Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, wagte er einen Rundblick durch sein Zimmer. Nach einem normalen Krankenzimmer sah es nicht aus. Sein Bett, der Monitor ... alles wirkte auf Martin wie notdürftig aufgestellt. Und über allem diese nervtötende Stille. Sein Blick schwankte zwischen Fenster und Tür hin und her. Er entschied sich für das Fenster. Bei jedem schlurfenden Schritt schwappte es gefährlich in seinem Bauch und seiner Blase. Ein unangenehmes Gefühl, jedoch nichts im Vergleich zu dem, das ihn überrollte, als er aus dem Fenster blickte.

      Ein schiefergrauer Himmel, auf dem die Wolken wie dicke, nasse Wäschebündel lagen. Darunter im Zwielicht ein Grünstreifen, hinter dem sich im Dämmerlicht die Umrisse der Kölner Innenstadt als noch dunklere Scherenschnitte abhoben. Vereinzelt sah Martin den hellen Schein ungezügelter Feuer. Das musste auf der anderen Rheinseite sein. Über den verwaisten Parkplatz unter seinem Fenster segelte ein Blatt Papier im Wind. Niemand bereitete die Aufnahme unzähliger Notfälle vor. Im Gegenteil. Aus einem der abgestellten Krankenwagen baumelten zwei Füße mit weißen Socken und billigen Turnschuhen. Blass, und mit ängstlich aufgerissenen Augen, wankte Martin zur Tür.

      Drei Schritte und einige ungläubige Momente später plumpste er kraftlos auf das Bett.

      Die Tür zu seinem Zimmer war abgeschlossen.

      *

      Die Erschöpfung hatte Martin trotz seines bohrenden Hungergefühls erneut einschlafen lassen. Dazu kam eine ordentliche Prise Nasenzucker aus seinem Jackenvorrat, der sich bedenklich dem Ende näherte.

      Als er die Augen öffnete, lag er eingerollt wie ein Embryo auf den zerwühlten Bettlaken. Seine Augen waren verklebt, er fühlte sich schwach und zittrig. Draußen war es heller geworden. Das Pochen zwischen seinen Schläfen war zu einem beständigen Begleiter geworden, der im Rhythmus seines Herzschlags den Takt eines unhörbaren Lieds vorgab. Vorsichtig setzte er sich auf und schaute sich um. Alles unverändert. Sein Gesicht verzog sich. Wütend griff er hinter den Monitor und riss das Stromkabel aus der Wand.

      »Schickt mir ruhig die Rechnung«, flüsterte er in die Stille.

      Keine Antwort.

      »Wenn ich mit euch fertig bin, ist das da nur noch ...«, er deutete hilflos auf das Kabel in seiner Hand. Sein Atem wurde schneller und seine Hände begannen zu zittern. Schließlich brüllte er mit aller verbliebenen Kraft in das Schweigen der Welt.

      »DANN IST DAS HIER NUR EINE LAPPALIE! HÖRT IHR?«

      Seine Stimme brach, wurde zum heiseren Flüstern eines verängstigten Kindes. Tränen brannten heiß in seinen Augen.

      »Gottverdammt noch mal, was ist hier los?«

      Sein Hals tat weh von der ungewohnten Anstrengung. Das Piepen des toten Monitors hallte als totes Echo in seinen Ohren nach. Die Stille sprang ihn an wie ein wildes Tier. Martin stand auf und ging an das Fenster. Er versuchte auf dem Parkplatz etwas zu erkennen.

      Alles unverändert.

      Der Schein der Feuer, der Ambulanzwagen mit offenen Türen stand immer noch am selben Fleck, und die weißen Socken mit den billigen Turnschuhen hatten sich nicht bewegt. Die Angst wollte nicht weichen, setzte sich in seinem Denken fest.

      Hatte die Seuche die Menschheit ausgerottet?

      War dass das Ende der Welt?

      Unmöglich!

      Informationen.

      Er