Chronik von Eden. D.J. Franzen

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Название Chronik von Eden
Автор произведения D.J. Franzen
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783957771285



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Martin? Die Tür ist auf. Wir müssen nur noch durch den Gerätekeller, dann können wir versuchen auf den Parkplatz zu gelangen.« Tom runzelte die Stirn und blickte Martin ins Gesicht. »Ist wirklich alles Okay mit dir?«

      Martin nickte.

      »Ich musste nur gerade an jemand besonderes denken.«

      Tom blickte Martin fragend an.

      »Meine Verlobte. Ist schon lange tot.« Martin zuckte mit den Schultern und deutete auf den vor ihnen liegenden Weg. »Komm jetzt. Die Zeit wird knapp.«

      Tom drehte sich um und hastete zurück. Martin folgte ihm in den Tunnel. Und hoffte auf ein Licht an seinem Ende.

      *

      Kurze Zeit später starrte Martin auf die graue Metalltür, die den Gerätekeller des Internats vom Tunnel trennte. Die Tür wirkte nur leicht eingebeult. Aber das Schloss und die zugehörige Aussparung im Rahmen, hingen verbogen im grellen Licht der Taschenlampe. Sollten die Kinder gemeinsam soviel Kraft entwickelt haben? Aber wie hatten sie das Schloss derartig zerstören können? Das Knirschen war hier wieder intensiver geworden. Auf subtile Art erinnerte es Martin daran, dass sie nicht gerade ein Vermögen an Zeit auf ihrem Guthabenkonto hatten. Martin riss sich von dem merkwürdigen Anblick los. Vom anderen Ende des Kellers erklang Ritchies Stimme.

      »Schön, dass ihr Turteltauben zu uns stoßen konntet.«

      Martin beschloss bei nächster Gelegenheit dem Zwerg die Batterie für sein Mikro zu klauen. Er lief durch die Schatten der eingelagerten Geräte auf den Jungen im Rollstuhl zu. Von den anderen war nichts zu sehen und Martin sah auch schnell den Grund dafür.

      Ritchie stand mit seinem schweren Gefährt vor einer in die Wand eingelassenen Eisenleiter. Martin schaute hoch und sah im Licht seiner Taschenlampe, dass sie in einem senkrechten Schacht nach oben führte. Verwundert schaute er zu Ritchie.

      »Für mich ist hier Endstation«, schnarrte die Stimme des Jungen.

      »Gibt es keinen anderen Weg?«

      »Nein«, warf Tom ein. »Der Schacht führt direkt zu einem Parkplatz. Dort steht noch unser Schulbus, mit dem wir hierher gebracht wurden. Der einzige andere Weg ist der alte Lastenaufzug dort drüben. Aber der führt direkt ins Auditorium.«

      Das Geräusch, dass laut Tom von den Knirschern ausging, hallte nervenaufreibend den Schacht herunter.

      Also gut.

      Keine Fahrt im Aufzug.

      Martin schluckte und sah sich suchend um. Hier musste es doch etwas geben, das er für seine Zwecke nutzen konnte. An der Wand stand eine Bühnendekoration, auf die ein Wald gemalt war. Davor standen mehrere schwere Geräte, die Martin unter ihren staubigen Planen nicht erkennen konnte. Unter einer der Planen schaute ein langes Stromkabel hervor. Martin wandte sich an Tom.

      »Wo steht der Bus?«

      »Was hast du vor?«

      »Wo steht der Bus?«, wiederholte Martin seine Frage.

      »Wenn du oben ankommst, musst du dich nach links halten. Direkt auf einen Blumenkübel zu. Dahinter beginnt der eigentliche Parkplatz. An der Ecke des Gebäudes steht der Bus. Jedenfalls, wenn die Soldaten ihn nicht weggefahren haben.«

      Martin drückte Tom die Taschenlampe in die Hand.

      »Schaffst du die Leiter?«

      »Ich habe zwar nur einen gesunden Arm, aber ja. Ich schaffe das.«

      »Gut. Du gehst vor und sagst den anderen Bescheid. Wenn ich in zehn Minuten nicht da bin, versucht irgendwie von hier wegzukommen. Haltet euch nicht damit auf, den Bus zu starten, sondern lauft.«

      »Martin. Was hast du vor?«

      »Ja. Das würde ich auch gerne wissen«, schnarrte Ritchie. Martin deutete auf Ritchie.

      »Du bist ruhig. Und du«, er zeigte auf Tom. »Du machst dich jetzt auf den Weg. Die Zeit rast. Lauft um euer Leben. Weg von der Innenstadt. Schaut nicht zurück. Wenn ihr irgendwo einen Unterschlupf findet, den ihr richtig dicht machen könnt, dann versteckt euch dort. Aber keine Holzscheune. Hörst du? Es muss ein Gebäude aus Stein sein, dass weit genug weg ist. Und haltet euch von den Fenstern fern.«

      Martin ging zu der Ecke, in der das Kabel lag.

      »Martin?«

      »Was ist? Todessehnsucht?«

      Er sah wie Tom Luft holte und zum Reden ansetzte. Aber dann sanken seine Schultern herab und er umarmte Ritchie. Ein letzter Blick zu Martin und er klemmte sich die schwere Taschenlampe in seinen Hosenbund. Vorsichtig begann Tom den Aufstieg. Martin holte das Kabel unter der Plane hervor und stellte sich vor Ritchie. In seiner Hand schwang das Stromkabel, wie das dunkle Seil eines Henkers.

      »Was hast du vor?«, fragte Ritchie schnarrend.

      Martin grinste und zog das Kehlkopfmikrofon vom Hals des Jungen weg. Dann riss er es mit einem Ruck vom Metallarm des Rollstuhls.

      »Weißt du Ritchie, ich kenne dich erst eine knappe Stunde. Aber das hier ...« Er blickte mit einem breiten Grinsen auf die Sprechhilfe in seiner Hand. »Das war mir jetzt ein ehrliches Bedürfnis.«

      *

      Wenige Minuten später hing Martin in dem nach oben führenden Schacht. Die Zeit verlor für ihn jeden Bezug zur Wirklichkeit. Sie war nur noch ein abstrakter Gedanke zwischen zwei keuchenden Atemzügen. Die Geräusche der Knirscher verloren ihren bedrohlichen Klang und stumpften zum gleichgültigen Rauschen eines weit entfernten Meeres ab. Seine Welt bestand nur noch aus zwei Bezugspunkten.

      Die nächste Sprosse.

      Der nächste Klimmzug.

      Schwer atmend klammerte er sich an das kalte Metall der Leiter und schaute hoch. War der Eingang zum Schacht näher gerückt? Ja. Nicht viel, aber immerhin. Vielleicht noch vierzig Sprossen, dann wäre die Tortour überstanden. Das abgerissene Stromkabel biss sich in das Fleisch seiner Schultern.

      »Alles okay, Ritchie?«

      Seine Stimme ein atemloses Krächzen. Eine zierliche Hand klopfte schwach an seine Hüfte.

      »Gut. Bleib locker. Wir haben es gleich geschafft.«

      Martin holte zitternd Luft und griff nach der nächsten Sprosse.

      Neununddreißig.

      *

      Tom, Karl und Kurt starrten aus den Fenstern des Busses auf den Parkplatz. Das helle Licht der Laternen hielt die Knirscher zurück. Doch in den Schatten zwischen den Büschen konnten die Kinder ihr unablässiges Huschen und Wuseln sehen. Tom wandte sich ab.

      »Sie werden es nicht schaffen. Wir müssen ihnen helfen.«

      Kurt wandte sich verwundert an Tom.

      »Wie das? Wir sind nicht vollzählig.«

      »Es muss auch so gehen. Du, Karl, Mel und Gabi. Ihr versucht Martin und Ritchie zu helfen. Ich werde mich um den Bus kümmern.«

      »Das schaffst du nicht. Das hat noch keiner von uns ohne die gesamte Gruppe geschafft.«

      Tom zuckte mit den Schultern.

      »Wie würde Ritchie jetzt sagen? Wir haben auch noch nie bis zum Hals in der Scheiße gesteckt.«

      Kurt nickte und ging zu den anderen. Tom setzte sich hinter das Steuer des Busses und schloss die Augen. Kurt, Karl, Melanie und Gabi setzen sich auf den Boden im Fahrgastraum und gaben sich die Hände. Auch sie schlossen ihre Augen.

      Zuerst rührte sich nichts. Doch dann veränderte sich die Atmosphäre um die Kinder. Das Licht der Straßenlaternen wurde dumpfer, die Geräusche der Knirscher gedämpfter. Die Wirklichkeit verdichtete sich zu einem Ball aus kritischer Masse.

      Und etwas Unfassbares griff nach ihren Freunden im Schacht.

      *

      Martin