Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner

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Название Highcliffe Moon - Seelenflüsterer
Автор произведения Susanne Stelzner
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783957446015



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federte sie lachend vom Sessel hoch, krallte ihre Tasche und flitzte ins Schlafzimmer. »Ich werde dich von dem Anblick erlösen«, rief sie aus dem angrenzenden Zimmer herüber und ich hörte, wie sie den derben Reißverschluss ihrer Louis Vuitton-Tasche aufriss.

      Ich bückte mich zu meinem Rucksack und zog eine Wasserflasche heraus. Während ich mehrere kleine Schlucke nahm, sah ich mich um. Charlies Dad hatte die Jugendstilwohnung kurz vor seinem Tod renovieren lassen und sich dabei von Charlies Geschmack, der in Einrichtungsdingen überraschend treffsicher war, unterstützen lassen. Alles war in sehr hellen Pastellfarben – sandfarben, beige, grau und weiß – abgestimmt und die klassischen Möbel, die hier vorher gestanden hatten, waren durch moderne ersetzt oder neu bezogen worden. Die schneeweiß gestrichenen Türen und Fenster stachen effektvoll von der hellgrau gestrichenen Wand ab.

      Charlies Kopf erschien im Türrahmen. »Ich hoffe, das findest du besser«, sagte sie aufgedreht.

      Ich schaute skeptisch, war auf alles gefasst. »Lass sehen.«

      Sie sprang nun vollends durch die offene Tür und presste ihre Fäuste wie ein Model in die Taille. »Und, was meinst du?« Gespannt sah sie mich an.

      Jetzt hatte sie ein kunstvoll verwaschenes, blass cremefarbenes Rippenshirt mit sehr langen Ärmeln an, darunter blitze ein hellblaues Spitzenshirt hervor und die schwarze Hose hatte sie durch eine hellblaue, auf alt getrimmte Designerjeans ersetzt. Der rehbraune Nietengürtel dazu, farblich abgestimmt mit den Ballerinas, war ein Traum. Man sah, dass es ausgewählte, teure Stücke waren und trotzdem wirkte alles lässig. »Du siehst super aus, Charlie«, kommentierte ich ihren pastellfarbenen Auftritt.

      »Danke«, antwortete sie geschmeichelt. Sie ließ sich wieder in dem Sessel mir gegenüber nieder, fuhr sich durch ihre dicke blonde Mähne und schaute aus dem Fenster. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass die Wohnung sie inspiriert hatte. Sie passte nun perfekt zur Einrichtung.

      »Ich denke, vielleicht sollte ich doch rüber in die Staaten ziehen und mal sehen, wie es läuft«, griff Charlie unvermittelt ihr vorherrschendes Thema wieder auf. »Eine gemeinsame Wohnung mit Tobey wäre schon schön. Es macht so viel Spaß, etwas Neues aufzubauen, eine Wohnung einzurichten.«

      Mein Lächeln gefror. Sie würde fortgehen? »Meinst du das ernst?«, fragte ich mit einem flauen Gefühl in der Magengegend.

      »Ich weiß nicht, vielleicht«, sinnierte sie, den leeren Blick auf das vollgestopfte hohe Bücherregal am Ende des Raumes geheftet.

      Ich spürte, wie meine Gesichtszüge absackten. »Aber wolltest du nicht erst dein Studium hier beenden?«

      Meine Stimme musste jammervoll geklungen haben, denn als sich unsere Blicke trafen, richtete sie sich im Sessel auf. »Ist doch nur so eine Idee. Ich weiß noch nicht. Guck doch nicht so, Val. Selbst wenn ich irgendwann ganz rübergehe, würde ich dafür sorgen, dass wir uns so oft wie möglich sehen können. Dafür lass ich gern die Kreditkarte glühen«, lachte sie aufmunternd.

      Der Gedanke gefiel mir trotzdem nicht. Die USA waren nicht mal eben um die Ecke. »Das ist eine Scheißidee, Charlie. Du willst doch wegen ihm nicht dein Studium schmeißen, oder?«, stieß ich hervor. Klar war es egoistisch von mir, aber der Gedanke, meine beste Freundin an die andere Seite des Ozeans zu verlieren, frustrierte mich maßlos.

      »Vielleicht verstehst du es, wenn du in eine ähnliche Situation kommst. Den Menschen, den man liebt, möchte man eben immer um sich haben«, sagte sie fast entschuldigend.

      Ich fragte mich, ob ich auch für einen Jungen mein Zuhause und meine Freunde aufgeben würde.

      Abwesend polierte sie nun mit einem Finger die Nieten auf ihrem Gürtel und sagte leise, als hätte sie meine Gedanken erraten: »Zu Hause ist da, wo er ist.« Dann hob sie den Kopf und sah mich beschwörend an, als wäre sie davon überzeugt, dass ich diese Erfahrung auch eines Tages machen würde. »Wie gesagt, die Würfel sind noch nicht gefallen. Vielleicht überstehen wir die zwei Jahre und ich hoffe immer noch, dass Tobey dann zurückkommt.«

      Ich nickte nur und entschied, das Thema erst einmal ganz weit hinten in meinem Kopf zu parken. Man soll sich über ungelegte Eier keinen Kopf machen, fiel mir Dads hilfreiche Devise ein.

      Charlie erhob sich. »Ich schlage vor, wir lassen unseren Krempel hier einfach so liegen und ziehen gleich weiter, okay? Wir haben durch den blöden Stau schon genug Zeit verloren.«

      »Find ich auch«, erwiderte ich und sprang aus dem tiefen, bequemen Sessel auf.

      Die Luft war wunderbar. Ich ließ das Seitenfenster herunter, bevor ich begann, den mitgebrachten Kuchen auszupacken und Charlie ein Stück herüberzureichen, woraufhin ich einen nicht allzu ernst gemeinten strafenden Blick erntete. »Ich probier nur mal. Den Rest isst du, Spargel. Du kannst es vertragen.« Sie biss ein winziges Stück ab, stöhnte »Lecker« und legte das angebissene Stück auf dem Papier in die vordere Ablage, wo sie es fortan unruhig beäugte. Keine zwei Kreuzungen weiter holte sie das Kuchenstück mit einem gemurmelten »Scheiß drauf« wieder heran und verzehrte alles bis auf den letzten Krümel. Entspannt lehnte sie sich auf dem Fahrersitz weit zurück und versprach feierlich, wie gefühlt jeden zweiten Tag: »Ab morgen mache ich Diät.«

      »Klar«, erwiderte ich wie immer und wir beide wussten, dass es nicht dazu kommen würde.

      In einer kleinen Seitenstraße vor einem alten Kontorhaus fanden wir eine Parklücke und starteten von hier unseren Bummel über den Borough Market, wo die Händler bereits begannen, ihre Waren zusammenzupacken. Dann folgte ein mehrstündiger Marathon durch diverse trendige Vintage Boutiquen. Als wir in dem Gewirr der kleinen Straßen und Gassen endlich unser Auto wiedergefunden hatten, dämmerte es schon leicht, da sich der Himmel komplett zugezogen hatte. Charlie stellte ihre Tasche auf die Motorhaube und begann nach dem Autoschlüssel zu graben. »Wo bist du blödes Ding? Mist! Mist! Mist!«

      Es war erstaunlich, wie sie es jedes Mal wieder fertigbrachte, den Autoschlüssel innerhalb der überschaubaren Begrenzung einer Handtasche scheinbar unwiederbringlich zu versenken. Ich schaute ihr amüsiert dabei zu und kaute auf meinem Daumennagel herum, als ich aus dem Augenwinkel plötzlich eine Bewegung sah. Reflexartig drehte ich mich herum und mein Blick fiel sofort auf ein nur sehr vage zu sehendes, undefinierbares Lichtgebilde, mehrere Schritte von Charlies Wagen entfernt. Es sah aus wie die sehr schwache Reflektion eines glänzenden Gegenstandes. Millionen kleiner pastellfarbener Lichtpunkte ergaben eine diffuse Form ohne exakte Konturen, die kurz über dem Kopfsteinpflaster zu schweben schien. Ich wollte sehen, ob es sich mit meinem Blickwinkel verändern würde, und bewegte mich darauf zu, als es unvermittelt leicht hin und her zu schwingen begann. Es war schwierig, die Größe des Gebildes auszumachen, da ich die Entfernung nicht einschätzen konnte, aber es sah so aus, als hätte es sich jetzt ein Stück entfernt.

      Na klar, sehr witzig. Ich hätte auch gleich darauf kommen können. Da saß sicher irgendwo einer mit einem Laserpointer oder so am Fenster und lachte sich scheckig. Gerade wollte ich mich wieder umdrehen, um dem Verursacher keine Gelegenheit zu geben, sich auf meine Knochen zu amüsieren, als die Erscheinung hinter der nächsten Hausecke verschwand, als würde sie sich selbstständig bewegen.

      Charlie wühlte immer noch, unflätige Bemerkungen ausstoßend, in ihrer Tasche. »Das gibt’s doch nicht. Der Scheißschlüssel muss doch hier irgendwo sein.«

      Ich lief zu der Häuserecke und reckte meinen Kopf vor. Da war es, in der Mitte der Gasse, und schien auf mich zu warten. Was war das für ein Ding? Ich suchte mit intensivem Blick alle Fenster in der Umgebung ab, von denen diese Projektion möglich gewesen wäre. Aber ich entdeckte nichts. Meine Theorie bröckelte.

      Der Lichtfleck bewegte sich nun ein wenig weiter und tanzte vibrierend über die Asphaltfragmente der engen Straße, um dann am schmiedeeisernen Gitter am Eingang eines sandfarbenen Hauses mit schwarzen Fensterrahmen zu verharren. Vorsichtig ging ich hinterher, doch es verschwand wiederum hinter der nächsten Hausecke. Blitzschnell rannte ich ihm nach. Das Ding verharrte in einiger Entfernung an einer Steinmauer und ich glaubte jetzt sogar eine leicht fluoreszierende Silhouette auszumachen. Atemlos vom Laufen und vor Aufregung stoppte ich und fixierte es wie ein Jäger seine Beute. Ich strich meine Haare aus dem Gesicht und spähte