Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner

Читать онлайн.
Название Highcliffe Moon - Seelenflüsterer
Автор произведения Susanne Stelzner
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783957446015



Скачать книгу

stell dir doch mal den Nachwuchs vor«, setzte Keira glucksend nach.

      »Oh, bitte«, stoppte ich sie, »vorstellen möchte ich mir da gar nichts.«

      »Is ja guut«, schmollte Keira.

      Nic verdrehte die Augen und schien sich die beiden ebenfalls nicht vorstellen zu wollen. Geschickt lenkte er vom Thema ab: »Habt ihr schon von dem neuen Horrorstreifen gehört, der jetzt im Kino angelaufen ist? Heißt ›Schwärzer als die Nacht‹ oder so ähnlich. Soll echt gut sein. Keira und ich wollen heute Abend hin.«

      Ich guckte zu Ben. »Kino wäre doch nicht schlecht heute, oder? Was meinst du?« Da Charlie noch ein oder zwei Tage blieb, hatten wir geplant, etwas zu dritt zu unternehmen.

      »Jooaahh, find ich gut«, antwortete Ben nach kurzer Überlegung.

      »Okay, hören wir noch, was Charlie sagt. Sie kommt nachher und holt uns ab.«

      Charlie hatte hier im vergangenen Jahr ihren Abschluss gemacht, ließ sich aber nie lange bitten, vorbeizukommen, weil sie vorwiegend gute Erinnerungen mit dem Gebäude verband. Hier war ihr Tobey zum ersten Mal begegnet.

      »Oh, gut«, meinte Ben und begann, zufrieden eine zweite Banane zu schälen. »Ich kann den Wagen meiner Mom heute leider eh nicht kriegen. Sag mal, wann hast du eigentlich deine erste Fahrstunde?«

      »Freitag um fünf«, erwiderte ich stolz und stellte fest, dass ich es kaum abwarten konnte.

      »Oh«, er grinste frech. »Ich werde dann mal lieber zu Hause bleiben, nur zu meiner Sicherheit.«

      »Besser ist es«, mischte sich nun auch Nic ein.

      »Ha, ha, sehr witzig.« Ich rang mir ein gequältes Lächeln ab.

      »Die ganze Theorie war echt nervig«, meinte Nic mit gewichtiger Miene und ließ uns nicht im Unklaren darüber, dass er diese trotzdem recht erfolgreich hinter sich gebracht hatte. »Aber die Praxis lief super. Ich habe die wenigsten Fahrstunden meiner Gruppe gebraucht«, ließ er uns noch mit buchstäblich stolzgeschwellter Brust wissen.

      »Toll«, sagte Ben genervt und formte zu mir gewandt die Lippen zu dem Wort »Angeber«, während er mit den Augen schielte.

      Keira, die mit mir den Theoriekurs von Mrs Keppler besuchte, meldete sich unterstützend zu Wort: »Macht euch mal keine Gedanken, Jungs. Wir werden das schon rocken. Oder, Val?«

      »Logo.« Dass dies überhaupt angezweifelt wurde, ging mir schon auf die Nerven. Ich konnte längst fahren. Charlie hatte mich auf mein Drängen hin schon mit knapp sechzehn viele Male auf einsamen Waldwegen ans Steuer ihres Minis gelassen und mir alles beigebracht. Ich hatte das Fahren schneller kapiert, als ich gedacht hätte.

      Während Nic sich über den Ölverbrauch seines gebrauchten Spiders bei Ben beklagte und eine Fachsimpelei über Motoren daraus entstand, krabbelte Keira über den Rasen zu mir herüber und hockte sich neben mich. »Ich hab mir Übungsbögen besorgt. Wir können ja mal zusammen lernen«, schlug sie mit gedämpfter Stimme vor.

      »Warum nicht?«, antwortete ich, ohne zu zögern. Es war eine Menge Lernstoff und es konnte sicher nicht schaden, sich gegenseitig abzuhören.

      »Meine Eltern haben mir einen Wagen versprochen, wenn ich gleich beim ersten Mal bestehe. Ich darf’s also nicht vergeigen«, verkündete Keira nun mit einem verklärten Leuchten in den Augen. In Gedanken sah sie sich wahrscheinlich schon in ihrem eigenen kleinen Flitzer Dorset unsicher machen. Nachdenklich schaute ich sie an. Das Glück würde ich nicht haben.

      Sie bemerkte meinen Blick. »Es wird sicher erst mal ein alter, gebrauchter sein. Aber das ist mir egal«, schwächte sie ab, als wollte sie mich nicht neidisch machen, was ich irgendwie schon wieder rührend fand. Aber Neid war keines meiner Laster.

      »Wär’s mir auch«, versicherte ich ihr. »Hauptsache ein fahrbarer Untersatz. Ich hoffe, dass ich vielleicht zum achtzehnten Geburtstag einen bekommen werde. Oder wenigstens einen großen Teil des Geldes. Ich spare zwar wie verrückt, aber … na, mal sehen. So lange darf ich mir auch den von meiner Mutter ausleihen«, sagte ich mit Blick auf Ben, der den mittlerweile nervigen, belehrenden Monolog von Nic mit dem Satz »Du solltest einen Blog darüber schreiben« kurzerhand abgewürgt und sich uns zugewandt hatte. »Deine Mom hat meiner erzählt, dass es ziemlich gut klappt mit eurem Carsharing«, sagte ich hoffnungsvoll zu Ben.

      »Ich bin ja auch ein ausgezeichneter Fahrer«, antwortete er mit gespielter Überheblichkeit, als wollte er Nic nacheifern.

      »Na klar, wenn du es sagst«, gab ich spröde zurück, obwohl ich zugeben musste, dass es an seinem Fahrstil wirklich nichts auszusetzen gab. Als Erste, direkt nach seiner Prüfung vor zwei Monaten, hatte ich mich wagemutig als Beifahrerin zur Verfügung gestellt.

      Die Glocke ertönte. Schwerfällig erhoben wir uns alle und trabten ohne Eile zurück ins Gebäude. Da ich eine Freistunde hatte, begleitete ich Ben zum Chemiekurs und sah eine Weile durch die großen Glasfenster des Raumes zu. Den Kurs leitete der alte Mr Benson, der privat sehr nett, aber als Lehrer ziemlich streng war. Bis zur elften Klasse hatte ich seine Kurse besucht. In seiner typischen Art, mit den hochgezogenen, schneeweißen Augenbrauen, den weit aufgerissenen Augen und einem lautstarken »Konzentration bitte«, forderte er nun die ungeteilte Aufmerksamkeit der Schüler für seinen Versuch ein. Er war ganz offensichtlich nicht so nachsichtig mit dem allgemeinen Bedürfnis der Kursteilnehmer, das Erlebte der vergangenen Wochen aufzuarbeiten. Entsprechend energisch fielen seine Ermahnungen an die tuschelnden Schüler aus. Ich musste grinsen. Nachdem er alle zusammengetragenen Utensilien benannt hatte, begann er mit dem Versuch. Es ging um Kaliumpermanganat. Ich erkannte es, als er in die einzelnen Reagenzgläser, in der sich verschiedene Lösungen befanden, etwas hineinträufelte und lebhaft die dann einsetzenden Farbveränderungen erklärte. Seine Vertretung, Mr Orlando, hatte uns diesen Versuch einmal gezeigt. Saure Lösung klar, neutrale Lösung braun, alkalische Lösung erst grün, dann braun. Ich erinnerte mich noch sehr genau daran.

      Ich schielte hinüber zu Ben, der in der letzten Reihe saß und unter dem Tisch eine SMS verfasste. Er schien von den Vorführungen nicht sonderlich gefesselt zu sein, aber ihm traute ich zu, dass er den Stoff längst beherrschte.

      Als Mr Benson sich nun dem Thema Oxidation und der Reduktion mithilfe des Natriumsulfits widmete – er kritzelte es quietschend auf die Tafel –, trottete ich in die Bibliothek.

      Nachdem ich einen kleinen Stapel der vom Doc empfohlenen Bücher zusammengesucht und mir einen freien Platz gesucht hatte, nahm ich das erste zur Hand. Es fiel mir schwer, die gelesenen Zeilen zu verarbeiten. Müde las ich sie wieder und wieder, ohne etwas zu begreifen. Frustriert schloss ich das Buch und starrte aus dem Fenster, den schnell ziehenden Wolken hinterher. Die Zeitverschiebung, unter der ich immer noch litt, war nur ein Grund. Ich konnte nicht verhindern, dass die Erlebnisse in New York mit regelmäßiger Hartnäckigkeit meine Gedanken unterwanderten.

      Irgendwie kam ich an diesem Tag über die Runden, auch, weil mein Rugby spielender Mitschüler Paul, mit dem Desiree seit etwa drei Monaten liiert war, mir in Mathe und Physik sein breites Kreuz als Deckung anbot und ich glücklicherweise nicht aufgerufen wurde. Dann endlich ertönte das erlösende Läuten der letzten Stunde. Ben verkündete, er wolle sich noch ein Buch aus der Bibliothek besorgen und dann gleich nachkommen, also verließ ich das Gebäude allein.

      Auf dem großen Parkplatz, wo die meisten Fahrzeuge bereits die Ausfahrt verstopften, hielt ich Ausschau nach Charlie. Sie war noch nicht da, also war noch Zeit für ein kleines Sonnenbad. Ich lehnte mich an die von der Nachmittagssonne aufgewärmte Begrenzungssteinmauer, die mir bis zu den Schulterblättern reichte, und versuchte, beschallt von aufbrüllenden Motoren einiger betagter Transportmittel, mit geschlossenen Augen die unerwarteten Strahlen zur Vitamin D-Gewinnung zu nutzen, während ich ohne Ungeduld auf Charlie und Ben wartete.

      Ein kleiner Lufthauch streifte mich am Hals und ich dachte für eine Sekunde, Ben habe sich angeschlichen, um mir in den Nacken zu pusten, wie er es früher manchmal getan hatte. Blitzschnell schlug ich mit dem Handrücken wie nach einer lästigen Fliege nach hinten, traf aber auf keinen Widerstand. Lachend drehte ich mich um, weil