Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

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Название Der mondhelle Pfad
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783867779579



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ging.

      Silvanus, mit normaler Halslänge, deutete mit respektvoller Miene auf die kleine, farbige Glasfigur.

      „Das ist wunderschön. So zart und bunt wie die Flügel von einem Schmetterling. Wo hast du eine solche Kunstfertigkeit gelernt?“

      „Ich habe es nicht gelernt. Ich habe es bei einem Glasmacher in Massalia gesehen, als sie mich vom Hafen zum Sklavenmarkt geführt haben“, erklärte Hanibu in einem Kauderwelsch aus drei Sprachen.

      Silvanus verstand sie trotzdem und nickte versonnen. Voller Bewunderung strich er über die Form und schüttelte langsam den Kopf.

      „Ich kann Glasarmbänder aus einem Stück, aber so etwas habe ich noch nie … Ich weiß gar nicht, wofür das gut sein soll. Eine kleine Kanne ohne Henkel aus Glas. Ziemlich unpraktisch. Viel zu dünn. Die zerbricht bestimmt noch schneller, als meine Glasarmbänder. Selbst, wenn sie dickwandiger wäre … Mit der Haltbarkeit von Tonkrügen kann sie nicht mithalten. Lass mich mal nachdenken …“ Stirnrunzelnd betrachtete er das Gebilde von allen Seiten. „Hm. Zart, bunt … man kann was rein tun … wenn das Lavinia nicht aufheitert …“

      Er sah sich in der Menge um und suchte Lavinia und Robin. Doch selbst als sich die Leute zerstreuten, waren sie nirgendwo zu sehen. Also ging er mit Hanibu wieder zu ihrem Feuer zurück, denn er konnte sich schon denken, wo sie abgeblieben waren.

      Und wirklich, da lagen die beiden nebeneinander unter ihren Decken und schlummerten schon tief und fest. Armanu und Belisama lagen zwischen ihnen.

      „Das ging aber schnell!“, murmelte Silvanus und drapierte die Kanne neben Lavinia im Gras. Sie bemerkte es nicht.

      Viviane kam mit Tinne über die Wiese, führte sie zu dem Feuer, wo die Krieger mit ihren Frauen saßen und gesellte sich zu ihrer eigenen Familie.

      „So, jetzt kann es losgehen. Wenn sie Holz nachgelegt haben, kommt der Eröffnungstanz.“

      Loranthus hob erwartungsvoll den Kopf.

      „Wer macht den heute? Wieder die jungen Leute wie zu Beltaine?“

      „Nein, Loranthus, heute ist ein Sonnenfest. Der König tanzt. Zuerst mit Elektra und dann mit … mir.“

      Loranthus beugte sich erstaunt vor, Silvanus noch viel mehr und gab ihr einen Kuss.

      Viviane wurde schlagartig rot und ringelte einen Grashalm um ihren Finger.

      „Na ja, Loranthus, das ist so: Heute ist der längste Tag und die kürzeste Nacht des Jahres. In dieser Nacht wird aus dem ersten Weib des Sonnenkönigs das zweite.“

      Loranthus zog verwirrt die Augenbrauen hoch, Viviane sah hilfesuchend zu Silvanus.

      „Ich erkläre es dir“, meinte der auch sogleich, drehte sich zu Loranthus und musterte ihn wie ein Lehrer, der seinen ersten Schüler vor sich hatte.

      „Du weißt doch, Loranthus: Der Sonnenkönig hat drei Weiber und sie stehen für ein und dasselbe. Sie symbolisieren den Jahreszyklus von Mutter Natur. Als erste die Jungfrau. Sie steht für die ruhende Erde vor der Aussaat, wenn die Natur erwacht und sich in ihren schönsten Farben zeigt wie eine junge Maid zur Hochzeit. Dann bestellen die Bauern die Felder und Mutter Erde trägt die Saat in sich. Durch sie gedeihen unser Korn, unser Gemüse und unsere Früchte wie ein Kind im Leib eines Weibes.“

      „Aha! Jetzt weiß ich’s!“, jubelte Loranthus und wedelte aufgeregt mit den Händen. „Das ist wie bei dem Geisterflug, den Viviane zu Beltaine erzählt hat. Der König mit seinen drei Weibern! Sein zweites Weib hatte ein Kind im Arm und ein Ährenbündel!“ Stolz über seine schnelle Auffassungsgabe, hob er sein Horn und nahm einen Schluck.

      Silvanus nickte anerkennend und zeigte auf Viviane.

      „Kein Wunder, dass dich der König zum Tanz gebeten hat. Du hast den höchsten Rang. Jede andere Schwangere muss vor dir zurückstehen.“

      Viviane nickte und schmunzelte wegen Loranthus. Der nuckelte immer noch an seinem Horn und saugte nebenbei auch jedes Wort in sich ein. Seine Augen huschten mit einem seltsam gierigen Glitzern zwischen ihr und Silvanus hin und her.

      „Man munkelt …“, raunte Viviane verschwörerisch. „ … Königin Elsbeth solle ihren Sohn Lothaar beim ersten Göttertanz empfangen haben. Sie durfte ja damals immer für die junge Maid tanzen, obwohl sie vorher schon geboren hatte, nur leider …“

      Loranthus spuckte seinen Met aus und schwang hastig das Horn darunter, um den Verlust möglichst gering zu halten.

      „Welchn ersdn Gödderdans?“, nuschelte er, während er sich über den Mund wischte und in sein Horn lugte, um den Erfolg seiner Rettungsaktion zu überprüfen.

      Viviane schüttelte nachsichtig den Kopf und wischte sich ein paar Tropfen Met von den Armen.

      „Den zur Frühjahrstagundnachtgleiche, natürlich. Ihr Sohn Lothaar wurde drei Sonnenfeste später, zur Zeit des Apfelbaumes, geboren.“

      Viviane machte ein Gesicht, als ob sie es ihm gleich noch vorrechnen wollte, doch Loranthus hob die Hand, und sie hielt inne.

      „Wenn ich dich richtig verstanden habe, Viviane, also … äh …“ Loranthus lugte misstrauisch von einem zum anderen. „Was habt ihr denn hier für seltsame Tänze, von denen man schwanger wird?“

      Sein Blick huschte zu Vivianes Kräuterrock und dann schnell wieder hoch zu ihren belustigten Augen, um Silvanus nicht auf falsche Gedanken zu bringen. Doch der prustete seinen Met auch zurück ins Horn und klopfte ihm dabei noch überschwänglich auf die Schulter. Beides tat seine Wirkung: Alle in seiner Umgebung blieben trocken, nur Loranthus musste schon wieder in seinem Horn nachsehen. Der gesunkene Pegel entlockte ihm ein „Bacchus steh mir bei!“ und besagter Bacchus tat natürlich prompt, wie ihm geheißen.

      In göttlichem Tempo schlug Loranthus die Hand aufs Horn und machte sich steif … genau im rechten Moment, denn Silvanus wischte sich über den Mund und schlug noch einmal krachend zu. Er war allerdings stärker als Bacchus und Loranthus zusammen.

      „Lass dich überraschen, mein griechischer Freund. Ich, für meinen Teil, bin froh, dass Viviane mit dem zweiten Tanz geehrt wird … und außerdem ist es sowieso recht praktisch, wenn zu den Sonnenfeiern die Weiber schon schwanger sind.“

      Jetzt prustete Viviane ihren Tee zurück ins Horn, weil Loranthus aus seiner extremen Schräglage hochkam und dabei so komisch von einem zum anderen schaute. Er hatte aber dermaßen viel Schwung, dass er gleich weiter nach hinten kippte und mit Medan zusammenstieß. Der zuckte nicht und beschwerte sich auch nicht, sondern starrte mit finsterem Blick ins Feuer und zerpflückte ein paar Grashalme in winzige Schnipsel.

      Loranthus deutete mit den Daumen auf Medan, sah Viviane fragend an und drehte den Zeigefinger neben seinem Kopf.

      Viviane schaute strafend zurück, aber ihre Augen funkelten schelmisch. „Hat der Himbeersaft geschmeckt, Medan?“

      Medan knurrte. Viviane ließ sich davon aber nicht in die Flucht schlagen. Sie setzte sich zu ihm und sah aufmerksam in seine Augen.

      „König Gort meinte, der wäre dieses Jahr besonders gut gelungen. Willst du dir noch ein Horn voll holen? In deinem Alter kann man davon ruhig drei oder vier trinken.“

      Medan schnaubte, stemmte sich grummelnd hoch und stapfte über die Wiese hinüber zum Fass. Dort standen schon seine gleichaltrigen Freunde und prosteten sich übertrieben laut zu. Auf die Entfernung hörte es sich an wie: „Die Tage sind gezählt. Auf das vorletzte Horn voll Himbeersaft … auf das letzte Horn voll Himbeersaft … Wer noch eins schafft, wird zum Himbeerkönig gekrönt.“ Medan wurde lauthals in der Runde willkommen geheißen und zum Wettsaufen aufgefordert. Johlend stellte er sich den Herausforderern und Silvanus wettete, das er der Himbeerkönig werden würde. Viviane hielt dagegen, die Konkurrenz war stark. Loranthus enthielt sich der Stimme. Sie hatten viel Spaß beim Zuschauen, bis die Hörner erschallten.

      Das Feuer loderte blau auf. Afal stand daneben und breitete die Arme aus.

      Alle