Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

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Название Der mondhelle Pfad
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783867779579



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       „Was? Drei Wölfchen? Gestreichelt?!“

      Noeiras Worte sprudelten aus ihrem Mund und ihre Hände schoben sie wieder zurück. Deshalb kam als nächstes nur noch ein gedämpftes „Beim Geweih von Cernunnos! Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“, zwischen ihren Fingern hindurch.

      Viviane zog fragend die Augenbrauen hoch und wusch sich gemächlich das Gesicht. Noeira wackelte ungeduldig mit dem Kopf und legte die Hände in ihre typische Denkerpose – eine ans Kinn, die andere an die Hüfte, den Fuß noch zur Seite weg.

      „Ich meine doch: Hat sie ihre Kleinen geholt, damit sie dich kennen lernen oder zeigt ihnen Baria schon mal ihre zukünftige Beute?“

      Noeira schlug zur Verdeutlichung ihrer Worte die Zähne aufeinander. Viviane prustete in ihre mit Wasser voll geschöpften Hände und wischte sich die Tropfen von der Brust.

      „Es ist natürlich ein gutes Zeichen. Baria hat sehr viel Vertrauen in mich, sonst würde sie mir ihren Nachwuchs doch nicht schutzlos ausliefern.“

      „Schutzlos!?“, schnaubte Noeira verächtlich. „Ha! Wer’s glaubt! Ich dachte, Baria hat genau neben dir gesessen!? Da braucht sie doch nur mit dem Maul rum schnappen und zack …!“ Noeira spreizte die Finger und packte ihren eigenen Hals.

      Viviane wusch sich die Achseln und antwortete so geduldig, als müsse sie einem Kind erklären: „Baria hat einen Instinkt. Sie weiß, dass ich ihren Kindern nichts tue und ich weiß, dass sie mir nichts tut. So etwas nennt man Vertrauen.“

      „Aha. Und wenn Baria mal seeehr, seeeeeehr lange nichts gefressen hat, kann man ihr da auch vertrauen und sorglos in ihre Nähe kommen?“

      „Baria hat genug zu fressen im Wald.“

      „Aber was wäre, wenn nicht?“

      Viviane wiegte den Kopf, beäugte Noeira von oben bis unten, schnalzte mit der Zunge und schmatzte, als hätte sie an einem dicken Brocken zu kauen.

      „Mich würde sie nie angreifen, aber jeder andere sollte sich hüten. Wölfe sind gute Beobachter. Die würden sofort merken, wenn ein schwacher, wehrloser Mensch durch ihr Revier geht.“

      „Sag ich doch!“ Noeira schnappte wieder nach ihrem Hals, krächzte, röchelte, rollte mit den Augen und ließ den Kopf schlaff hängen. Dann zerrte sie sich mit ihren eigenen Händen wieder gerade und betrachtete Viviane argwöhnisch von der Seite, wie sie sich mit ihrem Wolltuch die Zähne polierte.

      „Und warum sollte sie ausgerechnet dich nicht fressen wollen? Du setzt dich ihr ja geradewegs auf den Tisch? Einfacher geht’s doch gar nicht mehr! Braucht nur noch das Maul aufzumachen! So wie früher, als du sie gefüttert hast!“

      „Weil wir Freunde sind“, stellte Viviane fest, ohne im Putzen inne zu halten.

      „Pfhh.“

      „Noeira!“ Viviane ließ ihr Tuch entsetzt sinken. „Würdest du deine Mutter töten?“

      „Bei allen Göttern!“, japste Noeira. „Nein! Natürlich nicht! Der Himmel soll mir auf den Kopf fallen, wenn ich bloß darüber nachdenken sollte!“ Sie legte den Kopf schräg, um nach den ersten Anzeichen derartiger Vorkommnisse zu suchen. „Und natürlich würde ich auch nicht meine Kinder und Kindeskinder töten, so wie du auch nie Baria und den Ihren etwas tun würdest. Ja.“ Sie nickte überzeugt. „Ich schätze mal, so etwas nennt man Vertrauen!?“

      Viviane wusch schmunzelnd ihr Wolltuch aus und hängte es zum Trocknen an einen Ast. Noeira lächelte ebenfalls und klatschte in die Hände.

      „Heute Abend ist Sonnenwendfeier!“, trällerte sie beschwingt.

      „Weiß ich doch, Noeira!“

      „Und? Was kann man da gebrauchen?“

      „Durchhaltevermögen und Standfestigkeit, würde ich mal sagen“, raunte Viviane verschwörerisch und warf sich aus dem Stand in den Liegestütz.

      „Gute Idee! Davon kann man bei so einem Fest nie genug haben!“, kiekste Noeira und begann mit Hüftkreisen.

      Nach dem Frühstück gingen alle in den Schuppen und holten sich Kützen. Nur Noeira und Taberia hatten keine, denn die trugen ja schon ihre Babys auf dem Rücken. Lavinia und Robin liefen mit Ethmanja um die Wette über die Wiesen, Loranthus sah ihnen belustigt nach und atmete tief ein.

      „Sammeln wir heute wieder Blumen, Viviane?“

      „Nein, Loranthus. Heute sammeln wir Arnika, Gundermann, Beifuß, Johanniskraut und Eisenkraut.“

      „Aha. Und was macht man mit dem ganzen Grünzeug?“

      „Arnika stecken wir um unsere Felder, damit die Götter unsere Ernte segnen. Alles andere binden wir nach dem Mittag zu Röcken und Kränzen zusammen und bekleiden uns damit. Hier, schau mal! Das mit den gekerbten violetten Blüten ist Gundermann. Damit kann man prima Haarkränze flechten. Und nachher kommt auch was davon in die Suppe. Das dort, mit den kleinen schmalen Blättern und den gelben Blüten ist Johanniskraut – auch bestens geeignet für Kränze.“

      Sie gingen ein Stück weiter und Viviane zeigte auf eine buschige Pflanze mit silbrig behaarten Blattunterseiten.

      „Das ist Beifuß.“

      „Die kenne ich! Beifuß sagst du? Wir nennen sie Artemisia.“

      „Ach, nach eurer Göttin des Mondes? Interessant. Passt perfekt!“

      Loranthus zückte sein Messer und setzte es an den langen Stiel, doch Viviane hob mahnend den Finger.

      „Je länger du den Beifuß lässt, desto länger wird auch dein Rock sein, Loranthus!“

      Loranthus hielt sofort inne und musterte Viviane argwöhnisch.

      „Ich werde nur ein Röckchen aus diesem Grünzeug anhaben? Oh, nein! So was zieh ich nicht an! Da mach ich mich ja lächerlich! Ich bin der Spross einer uralten Händlerdynastie, die schon zur Hochzeit der alten Sumerer …!“

      „Ah, die alte Schule! Dann dürftest du dich ja bestens auskennen! Und ob es ein Röckchen wird oder ein Rock, liegt ganz an dir! Je nachdem, was du zeigen oder verbergen willst!“

      Loranthus kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief.

      „Ob du’s glaubst oder nicht, Viviane: Ich hab dich schon verstanden. Und die Weiber?“

      „Die haben meistens Röcke aus Eisenkraut um Hüfte und Busen.“

      „Meistens? Bei allen Göttern! Zeus sei mir gnädig! Das wird ein toller Tanz! Schlimmer kann es gar nicht kommen!“

      Kopfschüttelnd beugte er sich sehr weit hinunter und schnitt das Artemisia ganz knapp unter der Erde ab. „Jetzt weiß ich auch, warum das Kraut Bei – Fuß heißt“, vor sich hin brummelnd, betrachtete er missbilligend sein zukünftiges, im Moment noch recht dürftiges, Gewand und rannte schnell zum nächsten Büschel.

      Allerdings hatte Loranthus seinen allmächtigen Göttervater Zeus nicht überzeugt, denn es kam noch viel schlimmer. Und das lag nicht am langen Weg, den er in einem sehr dichten und sehr langen Rock aus wohlriechenden Kräutern gehen musste, die auch hierzulande der Mondgöttin geweiht waren. Zeus kam extra zu Besuch und hatte einen Heidenspaß.

      Das ganze Königreich traf wieder auf der großen Wiese vor der Burg zusammen, wo schon ein neuer Wall aus Holz und Gras aufragte, im Kreis darum viele kleinere Holzhaufen. Die Leute begrüßten sich, als hätten sie sich schon ewig nicht mehr gesehen und Loranthus verkniff sich das Lachen, indem er sich fest auf die Zunge biss. Seine Mundwinkel zeigten jedoch verräterisch nach oben und zuckten ab und zu.

      Er fand es einfach urkomisch, dass alle wie wandelnde Büsche aussahen. Aber das Interessanteste war, dass es keinem außer ihm abnormal erschien und schon gar nicht amüsant.

      Hanibu stand so ungezwungen bei Hirlas und Susanne, als würde sie jeden Tag in ihrem Kräuterzweiteiler