Müllers Morde. Monika Geier

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Название Müllers Morde
Автор произведения Monika Geier
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783867549288



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dreckigen Flur in Richtung Arbeitszimmer.

      Es war Peter Welsch-Ruinart. Richard seufzte innerlich und blickte zum Wandkalender. So dringend konnte die Wiederentdeckung von Atlantis auch wieder nicht sein, er war doch erst vor vierzehn Tagen bei dem Anwalt gewesen, Geld für das Eulengefäß war noch keins überwiesen worden, und vor einer weiteren Woche würde er für diesen Spinner nicht den kleinsten Finger rühren. »Ihr Auftrag mit dieser Vase ist ziemlich – bizarr«, sagte er abweisend. »Aber ich bin dran, und sowie ich Erfolg habe, melde ich mich bei Ihnen, versprochen.«

      »Es geht um etwas anderes«, sagte Peter. »Könnten Sie bitte sofort in mein Büro kommen?« Seine Stimme hörte sich müde an, zittrig, doch auch gewohnheitsmäßig autoritär. »Ich meine natürlich nicht – entschuldigen Sie, das sollte keine – wie soll ich sagen: Bitte. Ich >muss mit Ihnen sprechen, so bald wie möglich.«

      »Hm.« Wenn es nichts mit Atlantis zu tun hatte, wollte Richard erst recht nicht in Peter Welsch-Ruinarts Löwenhöhle. Nie und nimmer. »Tut mir leid«, sagte er. »Heute ist nichts zu machen.«

      »Dann komme ich zu Ihnen«, verkündete Peter ohne Umschweife. »Sie telefonieren übers Festnetz, also sind Sie in Ihrem Büro, Ihre Adresse hab ich, und eine Viertelstunde werden Sie sicher erübrigen können.«

      »Nein.« Richard sah sich entsetzt in seiner Wohnung um, und erst jetzt, mit der realen Bedrohung eines Besuchs, sah er die Wohnung wirklich mit fremden Augen, die Fliegenleichen auf der Fensterbank, das Fahrradskelett im Flur, das Mordillo-Poster über seinem Schreibtisch. »Aber ich habe nichts für Sie! Der Sammler, der für Ihr Projekt interessant ist, empfängt erst nächste Woche wieder Kundschaft, und bis dahin können wir gar nichts tun! Was wollen Sie überhaupt? Können wir das nicht telefonisch klären?«

      »Leider nicht«, sagte Peter düster und ließ eine noch düsterere Pause folgen.

      Richard schloss die Augen, schüttelte den Kopf, ballte die Linke zur Faust und sagte: »Okay, in einer halben Stunde bei Ihnen.« Weil er eben kein glatter, wohl frisierter Geschäftsmann mit straffem Terminkalender war. Sondern Richard Romanoff, der heute noch nichts Besonderes vorhatte und der es sich nicht leisten konnte, diesen Atlantis-Spinner zu verlieren.

      Tagsüber sah die Kanzlei Welsch-Ruinart anders aus, sie summte vor Aktivität, Menschen in Businesskleidung kurvten mit Papieren und Handys durch die Gänge, als hätten sie Rollen unter den Füßen, sie zogen Wolken von künstlichen Düften hinter sich her, aufreizende Parfums, kantige Aftershaves, je akkurater sie angezogen waren, desto animalischer rochen sie. Unter ihnen fiel Richard auf wie ein Trapper, aber er fiel immer auf, weil er gut zwei Meter groß war und immer noch seinen Pferdeschwanz trug. »Zu Herrn Welsch-Ruinart«, sagte er zu der Elfe, die am Empfang der Chefetage saß. Sie hatte schräge Augen, weißblonde Haare und trug ihr helles Kostüm wie ein lästiges Zugeständnis an irdische Konvention. »Dr. Romanoff?«, fragte sie. In ihrem süßlichen Parfum lag eine leicht schmutzige Straßennote. Wie Kastanienblüten im Regen.

      »Richard Romanoff.«

      Sie lächelte. »Peter Welsch-Ruinart erwartet Sie.«

      »Vulkanische Gase!«, schnaubte Peter kurz darauf, nichts war mehr mit Likörchen und der tüchtigen Valeska und dem aufreizenden Lauern hinter Mahagoni auf einem maßgeschneiderten Lederthron. Fiebrig vor Wut tigerte Peter durch sein riesiges Büro, das im Tageslicht weit gediegener wirkte, und wedelte mit einem Packen Zeitungen. »Hier: Dr. Gunter S., Manager eines bekannten Energiekonzerns, von CO2 aus Vulkangas erstickt. – Und stellen Sie sich vor: Das ist alles! Die Ermittlungen sind seit einer Woche eingestellt, beziehungsweise haben nie stattgefunden, niemand ist verantwortlich, und dann sagt mir dieser Polizist ins Gesicht, dass Gunni an diesem Maar tatsächlich von vulkanischen Gasen erstickt worden wäre! Dass es ein Unfall war! In einem spontan entstandenen Kohlendioxid-See! Ist das nicht irre?!«

      Richard fand es allein schon irre, dass der unbekannte Steenbergen, dessen Existenz er massiv bezweifelt hatte, nun einfach tot und sogar schon seit einer Woche begraben sein sollte, dass Peter sich dermaßen menschlich aufregen konnte und dass er selbst, der gebildete und stets informierte Richard Romanoff, von dieser Geschichte so gar nichts mitbekommen hatte. Dabei war sie offenbar durch die Vermischtes-Spalten sämtlicher Zeitungen gegangen: »Tod am Totenmaar«, hatte es da saftig geheißen, oder schadenfroh: »ENERGIE-Manager stirbt an CO2-Vergiftung«. Peter hatte alle Artikel gesammelt, Richard kurz unter die Nase gehalten und trug sie nun herum wie die letzte schwache Verbindung zum Verstorbenen. Es sah hysterisch und gleichzeitig furchtbar traurig aus. Das Jungenhafte, das Peter umgab, machte es nur schlimmer. Er wirkte wie ein Bub, der es einfach nicht fassen konnte, dass sein bester Freund tot war.

      »Es tut mir leid, dass Sie so einen Verlust hinnehmen mussten«, sagte Richard ehrlich. »Und es tut mir auch leid, dass ich es jetzt erst von Ihnen erfahren habe, ich – na ja, ich lese selten diese Klatschspalten, Sie wissen schon.« Er verstummte, weil er sich unglücklich ausgedrückt hatte, doch Peter hatte kaum zugehört.

      »Vulkane!«, wiederholte er verächtlich. »Jetzt sagen Sie mal selbst, das ist doch irre!«

      »Die Eifel ist aber ein Vulkangebiet«, gab Richard zu bedenken.

      Peter hielt inne und starrte ihn an. »Und eines Tages hat dieses Vulkangebiet beschlossen, meinen Freund Gunni zu sich zu bestellen, um es ihm mal so richtig zu zeigen.«

      »Das klingt natürlich grotesk«, erwiderte Richard vorsichtig, »aber ich habe die Dämpfe selbst schon gesehen, wir waren mal mit der Schule da, das ist lange her, klar, aber da war so ein kleiner Kratersee, und dort im Sumpf sind tatsächlich Gase aufgestiegen, oder war es im Wasser –«

      »Mofetten«, unterbrach Peter unwirsch. »Aber die Mofetten sind am Laacher See. Nicht am Totenmaar. Dort ist keine einzige.«

      »Hm«, machte Richard, der zum Thema Mofetten nichts weiter beitragen konnte.

      »Und ganz abgesehen von diesem Vulkan-Irrsinn, fragt man sich doch, was er dort eigentlich wollte, am Totenmaar.«

      Richard fragte sich vor allem, was er selbst hier sollte. Sogar einem Peter Welsch-Ruinart würde es doch schwerfallen, eine Verbindung zwischen dem Tod des Freundes und der Suche nach Atlantis herzustellen?

      »Gunni hatte keine Freunde oder Projekte in der Eifel«, sprach Peter indessen. »Vielleicht war er mal mit seiner Tochter dort, in den Ferien, aber die lebt seit Jahren in Argentinien und ist nicht mal zur Beerdigung gekommen! Und es ist ja auch nicht so, dass Gunni sich abends ins Auto gesetzt hätte und zwei Stunden gefahren wäre, um auf einer Bank am Totenmaar den Kühen zuzugucken. Aber erzählen Sie das mal der dortigen Polizei. In der Eifel sitzt jedermann abends auf Bänken, die haben kein Fernsehen, von Theater und Kino ganz zu schweigen, die gucken Kühe.«

      »Tja«, sagte Richard und blickte unauffällig auf seine Uhr. Offenbar musste Peter sich nur ausheulen, das durfte er noch maximal zehn Minuten lang, und dann würde Richard gehen. »Sie haben mein tiefes Mitgefühl«, versicherte er.

      Peter hörte nicht hin. »Das Problem ist«, wetterte er, »dass die Eifel noch zu Rheinland-Pfalz gehört, dass also jetzt irgendwelche Provinz-Bullen für den Fall zuständig sind, während Gunni in Köln gelebt hat und die Ermittlungen eigentlich hier in NRW geführt werden müssten, verstehen Sie? Aber da sind nun leider zwei Bundesländer zuständig, und deswegen bewegt sich überhaupt nichts. Die einen sehen bloß ihre Vulkane und trauen sich nicht über die Grenze, und die anderen sind überarbeitet und schieben alles, was irgend geht, an die Nachbarn ab. Und obwohl ich Gunnis offizieller Nachlassverwalter und Testamentsvollstrecker bin, will keiner von denen offen mit mir reden.«

      »Wenn es Vulkangase waren, muss doch sowieso nicht ermittelt werden«, sagte Richard und meinte es völlig ernst.

      Peter starrte ihn an. »Sie sagen es! Das ist ein Skandal!«

      »Wenn es aber keine Vulkangase waren«, improvisierte Richard daraufhin, »was war es dann?«

      »Wer«, sagte Peter hart. »Die Frage ist: Wer war es dann?«

      Sie sahen sich an, und Richard wusste plötzlich, dass