Müllers Morde. Monika Geier

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Название Müllers Morde
Автор произведения Monika Geier
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783867549288



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Weg zum Zaun zurück. Nichts. Dann konnte er endlich Steenbergen holen.

      Steenbergens Elektroauto sprang ein bisschen anders an, aber das war kein Problem. Die Fahrt zum Totenmaar dauerte nur knapp zehn Minuten. Schwierig war es allerdings, Steenbergen aus dem hinteren Fußraum rauszukriegen, daran wäre Müller fast verzweifelt. Er trug jetzt einen weißen Overall, wie man ihn für den Aufenthalt in Reinräumen benutzte, und obwohl das Ding sehr dünn war, schwitzte Müller darunter wie blöd, das Schwitzen auf der Weide bei den Kühen war nichts dagegen gewesen. Steenbergen lag wie festgewachsen und ließ sich kaum bewegen, vermutlich hatte die Totenstarre schon eingesetzt, klar, nach gut sechs Stunden. Müller hatte gehofft, diese blöde Starre würde noch ein wenig warten, aber man konnte nicht alles haben. Immerhin hatte er an die Arme gedacht. Und da er Steenbergen rauskriegen musste, kriegte er ihn schließlich auch raus. Dann schleppte er ihn zu der Bank, die direkt an der Weide ganz in der Nähe der Schlafsenke der Kühe stand. Schließlich lag Steenbergen wirklich auf der Bank, mit angewinkelten Armen und Beinen, als ob er sich zum Schlafen dort hingelegt hätte. Sitzen wäre natürlich besser gewesen, aber das konnte man mit der totenstarren Leiche nicht machen, ohne ihre Gelenke zu brechen. Also musste Steenbergen liegen. Was aber im Tod auch keine ungewöhnliche Haltung war.

      Nur noch aufräumen. Er entfernte alles Verräterische aus Steenbergens Auto, er saugte mit einem kleinen Tischstaubsauger die Polster und Fußräume und Steenbergen ab, er steckte der Leiche Handy und Autoschlüssel ins Jackett, zog das Klebeband von ihrem toten Mund ab und behandelte alle Stellen, an denen das Tape geklebt hatte, mit Hautcreme, weil er gehört hatte, dass man damit verräterische Spuren entfernen konnte. Schließlich zog er den schrecklichen Overall aus und packte den ganzen Kram, den er gebraucht hatte, in seinen Rucksack. Er suchte nach weiteren Spuren – auf dem Schotter des Parkplatzes gab es ein paar Schleifspuren, die er mit der Fußspitze verwischte, ansonsten wies nichts mehr auf ihn hin. Dann machte er sich, endlich, in den schwitzigen Gummistiefeln und mit geschultertem Rucksack auf den Weg zu seinem eigenen Auto.

      Sie haben einen Menschen getötet.

      Das war nötig.

      Die Entschuldigung hört man öfter.

      Es war kein Familienvater mit fünf unterversorgten Kleinkindern, okay? Es war ein reicher Sack, der niemandem fehlt. Für mich war er eine echte Gefahr. Und sagen Sie selbst: Der ENERGIE-Manager mit CO2 am Totenmaar – das ist doch abgefahren!

      Sie spielen Cluedo?

      Wie kommen Sie denn darauf?

      Na, es hat sich so angehört: Der ENERGIE-Manager mit CO2 am Totenmaar. Das ist Cluedo.

      Hören Sie bloß auf. Der hätte kurzen Prozess mit uns gemacht. Und zufällig weiß ich von meiner, hm –

      Komplizin?

      Was soll denn der Ton? Ja, meinetwegen: Komplizin, wenn sie das nur wäre! In Wahrheit wollte sie alles auffliegen lassen, aber ich hab’s ihr gezeigt. Ihr lieber Steenbergen ist tot – jetzt wird sie spuren!

      Da Steenbergen tot ist, wird sie aber auch nicht mehr viel nützen.

      Sie wird den Mund halten, das ist erst mal das Wichtigste. Mit Steenbergen als Chef konnte es eh nicht mehr lange gut gehen, um den hätte man sich sowieso bald kümmern müssen! Von allen Vorgesetzten, die ich bisher hatte, hat keiner, wirklich keiner wie Steenbergen nachts im Büro herumgehockt und bereits geprüfte Geschäftsvorgänge noch mal geprüft.

      Sie rationalisieren.

      Natürlich! Egal, wer da nachkommt – es kann nur besser werden. Außerdem will ich sowieso weg von diesen simplen Tarngeschäften. Das ist mir zu anspruchslos. Ich hab ganz andere Pläne.

      Nein, ich meine, Sie rationalisieren Ihre Tat. Den Mord.

      Also erstens mal ist das im Moment noch ein einfacher Todesfall, der sich, wie ich fest glaube, als ein Unglück entpuppen wird, als Naturkatastrophe, als höhere Gewalt –

      Mord.

      Ah! Wissen Sie was: Es gibt sowieso zu viele von uns. Wir sind sieben Milliarden Menschen auf der Erde, und bald werden wir noch mal so viele sein! Wir werden uns kloppen um jeden Tropfen Öl, um jeden einzelnen Baum, um jeden Meter Land, und zwar noch in dieser Generation! Was macht es da, wenn die gehen, die sowieso niemand braucht?

      Sie haben also ein ökologisches Motiv.

      Eher ökonomisch, würde ich sagen. Ich glaube einfach nicht, dass es für alle reicht. Und ich will auch noch was von meinem Leben haben.

      Wieso wenden Sie Ihre Überzeugungen nicht auf sich selbst an? Oder auf Ihre – Komplizin? Sind Sie nicht ebenso überflüssig wie Steenbergen es war?

      Ach, lecken Sie mich doch am Arsch.

      Zwei

      Er hatte sich nie richtig verändert. Wenn Richard Romanoff, 42, freiberuflicher Historiker, sich in die Mitte seiner Wohnung stellte – also in die Küche –, dann konnte er mit einem Rundumblick die gesamte Misere betrachten: Er lebte in einer Studentenbude. Einer dreckigen Studentenbude. Er war der Freak, der in der WG-Wohnung hängen geblieben war, der Letzte von vielen. Noch heute zehrte er von den vergangenen Partys, den Dramen und Krächen, den selbstgebauten Möbeln, den Kinoplakaten. Niemals hatte er eigenes Geschirr gekauft. Und neben der Fensterbank am Esstisch hing nach wie vor der verblichene Spülplan, den die nervige Yvonne damals dorthin gepinnt hatte, damit ihn auch wirklich jeder sehen konnte. Yvonne war übrigens immer noch nervig. Wenn sie vorbeikam – das tat sie! –, konnte es passieren, dass sie Tassen mitnahm. Sie nagelte ihre High Heels in den Parkettboden, der schon vor zwanzig Jahren vernachlässigt gewesen war, zog ungeniert Schubladen auf und wunderte sich, wie klein alles war. Richard seinerseits fand Yvonne klein: Sie hatte ihr Studium abgebrochen und den Prof geheiratet. Oder umgekehrt. Auf jeden Fall war sie nun Mitglied der Unigemeinde und dekoratives Anhängsel des Fachgebietes, für das auch Richard arbeitete. Er hielt als freier Mitarbeiter die Vorlesungen über Karl den Großen, leider allerdings nicht etwa, weil man seine wissenschaftliche Kompetenz besonders schätzte, sondern weil der Chef des Fachgebiets selbst sich an den ­Ottonen festgefressen hatte und den großen Karl nur für ein lästiges Hindernis seiner Forschung hielt. Wobei der Prof in seiner Abneigung sogar heimlich mit der Illig-These sympathisierte. Die Studierenden kamen zuweilen völlig überdreht aus seinen Seminaren und zettelten dann bei Richard heiße Diskussionen darüber an, ob es Karl den Großen und die ganze Karolingerzeit überhaupt gegeben hatte. Eventuell war das aber auch nur eine kleine Rache dafür, dass der Prof jetzt die nervige Yvonne an der Backe hatte, die hatte er nämlich seinerzeit hier in der WG kennengelernt. Wie auch immer, auf jeden Fall hatte Richard außerdem die Übersetzungen aus dem Russischen und dann, mit etwas Glück, seine Aufträge. Die waren seine eigentliche Arbeit. Er besaß nämlich einen besonderen Riecher für bedeutsame ­Altertümer, und wenn er Glück hatte, wurde er von anerkannten Museen und Wissenschaftlern um Hilfe gebeten. So hatte er bereits mehrere seltene Papyri wiederentdeckt, außerdem eine anderthalb Meter hohe Sandsteinstatue des persischen Königs Solsol in der Rolle des Volkshelden Rostam und noch so einiges andere, was verborgen und unerkannt in Museumskellern gelegen hatte. Man konnte sogar gut Geld damit verdienen, nur eben leider nicht regelmäßig. Manchmal war dermaßen viel zu tun, dass er einen Helfer einstellen musste, doch darauf folgten stets wieder Durststrecken. So wie jetzt gerade.

      Richard seufzte tief. Er stand immer noch in der Küche und zwang sich, den Anblick des chaotischen Flurs mit fremden Augen zu sehen. Mit den Augen einer jungen, attraktiven Museumskuratorin beispielsweise, die ihn beauftragen würde, den Schatz des Priamos nach Deutschland zurückzuführen. Unmöglich, würde er sagen, da könnte ich noch so gut russisch reden, St. Petersburg rückt den nicht in hundert Jahren raus, die haben viel zu viel Angst, dass wir ihn behalten, ist ja Beutekunst gewesen. Eine Million, würde sie sagen, vorausgesetzt, dass der Flur aufgeräumt war, mein Publikum will den Schatz sehen, und