Wenn die Götter auferstehen und die Propheten rebellieren. Oliver Glanz

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Название Wenn die Götter auferstehen und die Propheten rebellieren
Автор произведения Oliver Glanz
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783815026182



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      Wir sehen, dass es innerhalb der Wissenschaft sehr unterschiedliche rationalistische Ansätze gibt, Phänomene reduktionistisch zu erklären. Unser Beispiel hat drei Wissenschaftszweige (Biologie, historische Wissenschaft, Psychologie) in Konkurrenz gezeigt. Während für den einen die Evolutionsidee subjektiv und historisch bedingt ist (Historismus), ist für den anderen der Historismus subjektiv und psychisch bedingt (Psychologismus), und für einen weiteren sind die entwicklungspsychologischen Abläufe selbst nur Produkt der Evolution (Biologie). Eine Art Kampf um Objektivität findet statt. Der Kampfschauplatz ist die Arena der Universität. Während wir glaubten, dass wissenschaftliches Denken uns ein objektives Bild von der Wirklichkeit zeichnen kann, spricht jede Wissenschaft einen Subjektivitätsverdacht über die anderen Wissenschaften aus. Es gibt nicht die eine wissenschaftliche Stimme, die uns die objektive Wahrheit erzählt, sondern viele, in Konkurrenz stehende, rationale Stimmen. In diesem Kontext spricht Max Weber von der Wiederauferstehung der Götter. Jeder versucht, Einfluss bei den Menschen zu gewinnen, aber keiner kann wirklich überzeugen und siegen. Das einzige, was die Götter unserer modernen materialistischen Zeit von den antiken unterscheidet, ist, dass sie unpersönlich und rationalistisch sind. Aber wie früher haben diese Götter ihre Priester (Biologen, Psychologen, Historiker) und ihre Gläubigen (die modernen Menschen). Die Konkurrenz um die Wahrheit zwischen den Wissenschaften hat dazu geführt, dass es immer mehr interdisziplinäre Initiativen gibt, um herauszufinden, welche Berechtigungen und welche Art von Wissen jede einzelne Wissenschaft hat. Dieses Bemühen ist sehr wichtig, aber solange es modernistisch bleibt, ist die Problematik nicht zu überwinden.

      Fazit: Die Wissenschaft hat nicht die Antwort auf die Fragen des Lebens. Viele verschiedene wissenschaftliche Theorien stehen miteinander im Konflikt.

      2.6 Problembehandlung

      Die Konstrukteure des modernen Dilemmas wurden vorgestellt und ihr Verlangen nach Mündigkeit deutlich gemacht. Sie wollten frei werden vom Wahrheitsdiktat verschiedener Kräfte und ihre ethische Verantwortung ernst nehmen, indem sie versuchten zu verhindern, dass länger im Namen der Wahrheit gemordet wird. Aber leider haben sie einen Weg eingeschlagen, der die Menschen schlussendlich in eine noch düsterere Gasse geführt hat. Zwei Probleme sind dabei ständig präsent: (1) Die Beantwortung der Frage nach dem »Wer bin ich? Was ist der Mensch?« rückt immer ferner, je moderner wir werden. (2) Die Antwort auf die Frage nach der objektiven Wirklichkeit scheint nicht durch neutrales rationalistisches Denken möglich. Der moderne Mensch ist nicht im Stande, diese Probleme zu lösen. Und so dominieren Subjektivismus und Objektivismus sinnentleerend weiter den modernen Alltag.

      Es klärt sich in unserer Zeit immer mehr, dass ein Rückzug aus der Sackgasse nur mit einer Abwendung vom »cogito ergo sum« und den Denkkonzepten der Moderne geschehen kann. Aber wie soll das geschehen, wenn wir nicht wieder in einem Dreißigjährigen Krieg enden wollen?

      In den nächsten vier Reflexionen (3 bis 6) wollen wir versuchen, unserem modernen Dilemma aus der Perspektive der biblischen Propheten zu begegnen. In dieser Konfrontation tut sich ein unerwarteter Weg auf, der es vermag, uns wieder an den Sinn und die Wirklichkeit des Lebens hinzuführen. In der nächsten Reflexion wird aus einer biblischen Perspektive erläutert, was passiert, wenn wir wissenschaftlich/​rational denken und arbeiten, und weshalb die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen gleichsam dem alten Götterkampf miteinander um die objektive Sichtweise kämpfen. Dabei sollen auch die Propheten zu Wort kommen. Daran anschließend wird in der Reflexion 4 skizziert, wie die Frage nach dem »Wer bin ich?« im Pentateuch (5 Bücher Mose) behandelt wird. Dort lässt sich eine Vision vom Leben finden, die den Menschen zurückführen will in die Selbstbegegnung und der Begegnung mit dem Mitmenschen. In Reflexion 5 wird in den prophetischen Zugang zur Objektivität eingeführt, ohne dass damit der Objektivismus als Bedrohung einhergeht. In Reflexion 6 wird gezeigt, wie aus prophetischer Perspektive Subjektivität und Objektivität in einem harmonischen Verhältnis zueinander stehen.

      2.7 Klärung

      Wir haben gesehen, dass da, wo versucht wird, Dinge verständlich werden zu lassen, indem sie in logischer Kausalität erklärt werden, die Freiheit des Menschen sehr schnell verdrängt wird. Das wird vor allem sichtbar, wenn man sich mit der Vergangenheit beschäftigt. So wird – ganz zurecht – der Aufstieg des Nationalsozialismus vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Kaiserreichs und der sich daran anschließenden, unverhältnismäßig hohen Reparationszahlungen an die Siegermächte nach dem 1. Weltkrieg erklärt (Versailler Vertrag). Des Weiteren haben die brutale Oktoberrevolution in Russland und die dramatische Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre die Bevölkerung in der nationalsozialistischen Bewegung Hoffnung auf die Sicherung von Gerechtigkeit, Recht und Freiheit suchen lassen.

      Diese historischen Rekonstruktionen der Abläufe und ihrer Dynamiken auf die Entscheidungen der Menschen zu verstehen, hilft, das erneute Aufkommen eines grausamen Nationalsozialismus zu verhindern. Aber genau hier fängt unser Problem an: Wo die Vergangenheit als eine kausale Kette von Ereignissen und Entscheidungen verstanden wird, kann schnell davon ausgegangen werden, dass der Nationalsozialismus unausweichlich war. Es hätte also gar nicht anders kommen können: A erzeugt B (nach A kommt nicht C). Wenn man allerdings anfängt so zu denken, gibt man die menschliche Freiheit auf. Schnell ist man dann geneigt zu sagen: »Mein Großvater hatte gar keine andere Möglichkeit, als der NSDAP beizutreten.« Menschliches Handeln, Entscheidungen und Überzeugungen sind dann nur noch Produkte der Umstände. Dass das aber nicht der Fall ist, wird immer dann klar, wenn der nächste Schritt aus der Gegenwart in die Zukunft gegangen wird. Deutlich wird, dass als Reaktion auf A neben B1 auch B2, B3 und Bn bestehen.

      Diskutiere, wie sich Kausalität und menschliche Freiheit zueinander verhalten. In welchem Verhältnis steht unsere Betrachtung der Vergangenheit zu unserer Zukunftsschau?

       Die Religionen der Völker zeigen uns oft die bizarrsten Vorstelllungen des göttlichen Wesens, aber wir dürfen uns die Sache nicht so leicht machen und sie als Aberglauben, Irrtum und Betrug verwerfen, sondern das höhere Bedürfnis ist, den Sinn und das Wahre, kurz das Vernünftige darin zu erkennen.

      (Hegel, G. W. F. Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Berlin: Duncker und Humblot, 1840, 78.)

      Literatur: Clouser, R. A. The Myth of Religious Neutrality: An Essay on the Hidden Role of Religious Belief in Theories. Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2005; Dooyeweerd, H. »The Secularization of Science«, Montpellier, 1953; Woudenberg van, R. Gelovend Denken: Inleiding Tot Een Christelijke Filosofie. Amsterdam, Kampen: Buijten & Schipperheijn; KoK, 2004.

      3.1 Einleitung: Theorie-Denken und Alltags-Denken

      Jeder Mensch denkt. Ohne zu denken wären wir nicht in der Lage zu überleben. Im Alltag denken wir meist, ohne es zu merken. Denken ist nichts anderes als die sinnvolle Verarbeitung von Information. Diese Verarbeitung besteht aus zwei Elementen: (1) Erkennen von Unterschieden (Analyse) und (2) Erkennen von Zusammenhängen (Synthese). Das, was man im Denken differenziert, fügt man in einem weiteren Schritt wieder in einen sinnvollen Zusammenhang. So unterscheide ich zwischen dem Mann, der Frau und dem Kind, die ich sehe (Analyse). Es sind drei verschiedene Wesen. Und gleichzeitig erkenne ich, dass ein Zusammenhang zwischen der Frau, dem Mann und dem Kind existiert (Synthese): Es handelt sich um eine Familie mit Vater, Mutter und Tochter. Es liegt in der Natur des Denkens, dass Analyse und Synthese zusammengehören. Wer keinen Unterschied zwischen Frau und Mann machen würde, stünde in der Gefahr, die beiden Personen in einen falschen Zusammenhang zu stellen: z. B. als Geschwister (siehe Abb. 7).

      Fazit: Denken findet statt, wo Unterschied und Zusammenhang von Informationen erkannt werden.

      In unserem Alltagsdenken unterscheiden wir zwischen verschiedenen Phänomenen (Donner und Blitz, Brot und Apfelsaft, Essen und Trinken) und bringen sie in einen Zusammenhang (Unwetter, Nahrung, Mittagessen). Nur so können wir überleben.