Beckett bei Karl Valentin. Ingo Fessmann

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Название Beckett bei Karl Valentin
Автор произведения Ingo Fessmann
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783866743120



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war Beckett Anhänger der Philosophie des Existentialismus, seine Texte zeugen davon.

      Und noch etwas trennt die beiden: Karl Valentin hatte Humor, während Becketts Stücke geradezu humorfrei scheinen. Vielleicht, dass sich in ihnen englischer bzw. irischer Humor verbirgt, der unsereinem verschlossen bleibt, und durchaus denkbar auch, dass sich in ihnen »philosophische Clowns-Spiele« (James Knowlson) verbergen.1 Doch über Becketts Figuren lässt sich nicht unbedingt lachen, so verzerrt-komisch sie zuweilen auch sind. Allenfalls, dass einem angesichts ihres jeweiligen Handelns oder Nichthandelns das Lachen im Halse steckenbleibt. Bei Karl Valentin dagegen gehört das Lachen stets dazu, ist Lachen, Lachenkönnen immer ganz selbstverständliches und unmittelbar zugehöriges Sprachelement. Seine Stücke sind in weitestem Sinne »Kabarett«. Und in ihnen spiegelt sich gerade auch die befreiende Wirkung, die Lachen zu erzeugen vermag.

      Ob Beckett an dem Aufführungsabend oder bei jener privaten Begegnung im April über Karl Valentins Texte und Gesten nicht nur geschmunzelt, sondern auch gelacht hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Unumstritten ist jedoch, dass er offenbar für dessen Humor empfänglich gewesen ist. »Really crazy« – kürzer und treffender lässt sich jedenfalls Karl Valentins bis heute reichende Ausstrahlung kaum beschreiben.

      WÄHREND vermutlich jeder Abiturient in Deutschland wie in Italien weiß, wer Franz Kafka ist, löst die Frage nach Gabriele D’Annunzio hierzulande für gewöhnlich Ratlosigkeit aus. Bei unseren südlichen Nachbarn hingegen gilt D’Annunzio nicht nur als bedeutender Fin-de-siècle-Autor, sondern sogar als eine Art Nationalheld – dies weniger seiner Schriften wegen als vielmehr mit Blick auf die Taten, die er im Ersten Weltkrieg vollbracht hat. Vielen Deutschen ist der Name allenfalls aus dem Italienurlaub vertraut, wo sie, vielleicht auf der Suche nach einem Parkplatz, auf ihn gestoßen sind, gibt es doch in den meisten italienischen Kommunen, ganz gleich, ob groß oder klein, eine »Viale Gabriele D’Annunzio« – und sei dies auch nur des klangvollen Namens wegen.

      Was Franz Kafka und D’Annunzio miteinander verbindet? Beide haben an einem Septembertag des Jahres 1909 an der damals berühmten Flugschau von Brescia teilgenommen, dem »Circuito Aero«: Kafka als Zuschauer, von Riva am Gardasee aus angereist, wo er im von Hartungschen Sanatorium die Ferien verbrachte, in dem kurz zuvor bzw. danach Heinrich und Thomas Mann zur Kur weilten, ebenso wie Sigmund Freud, wie kürzlich in einer zur Geschichte dieses Hotels verfassten Studie in Erinnerung gerufen wurde.1 D’Annunzio gehörte sogar zu den eigentlichen Protagonisten jener Veranstaltung: Halb Abenteurer, halb Dichter, war er nicht weniger von dem neuen Fortbewegungsmittel namens aeroplano fasziniert als der Prager Versicherungsangestellte, der in seinem Büro täglich mit den neuesten technischen Entwicklungen und deren Unfallgefahren zu tun hatte. Protagonist war D’Annunzio deshalb, weil er mit den Betreibern der Flugschau befreundet gewesen ist und mit zu ihren Organisatoren gehörte. Anders als Kafka hat er denn auch bei dem Großereignis nicht nur zuschauen und darüber schreiben wollen, sondern es ging ihm mindestens genauso darum, mitzufliegen, sich selber in das Luft-Abenteuer zu stürzen – der Geschwindigkeitsrekord lag damals bei sage und schreibe 76 km/​h! –, was ihm übrigens auch gelang, wurde er doch gegen Ende der Schau von einem der Starpiloten, Glenn Curtis, mitgenommen und durfte so, für wenige Minuten wenigstens, »Höhenluft« atmen. Kafka war zu dem Zeitpunkt schon wieder abgereist. Zusammen mit Max Brod und dessen Bruder Otto hatte er den Zug zurück nach Desenzano bzw. Riva nehmen müssen.

      Kafka und D’Annunzio sind einander also nur im übertragenen Sinne begegnet. Doch abgesehen von der gemeinsamen Teilnahme an der Flugschau und dem durchaus bemerkenswerten Faktum, dass Kafka D’Annunzio in seinem Text gleich zweifach erwähnt, wurden beide von diesem Ereignis zum Schreiben angeregt: der Italiener, indem er es zu seinem Roman »Forse che si, forse che no« verarbeitete, auf Deutsch 1911 immerhin vom renommierten S. Fischer Verlag unter dem Titel »Vielleicht, vielleicht auch nicht« verlegt; Kafka, indem er das Erlebte zum Gegenstand eines Aufsatzes mit dem Titel »Die Aeroplane in Brescia« gemacht hat, erschienen am 29. September 1909 in der deutschsprachigen Prager Tageszeitung »Bohemia«, seine zweite Publikation überhaupt und im übrigen wohl auch die erste Beschreibung von Flugzeugen in der deutschen Literatur. D’Annunzio findet darin, wie gesagt, sogar zweimal Erwähnung. Zunächst als Person, die jedermann kennt, dessen Berühmtheit sich quasi von selbst versteht, sodann im Kontext mit all den Notabeln und Prominenten, die sich unter den Zuschauern und vor allem im Festkomitee ausmachen lassen – die örtlichen Honoratioren, die Principessa Laetitia Savoia Bonaparte, die Principessa Borghese und nicht zuletzt Giacomo Puccini, der laut Kafka »von der Tribüne über das Geländer schaut mit einer Nase, die man eine Trinkernase nennen könnte«. Eine Anmerkung, die vermuten lässt, dass der Schreiber in bezug auf die anwesende Prominenz durchaus Bescheid wusste.

      Wer herausfinden will, was es mit Gabriele D’Annunzio auf sich hat und was ihn bis heute in Italien so berühmt sein lässt, halte im Lexikon oder im Google-Suchdienst weniger nach dem Schriftsteller Ausschau – da kennzeichnet ihn ein heute kaum mehr erträgliches schwelgerisches Pathos –, sondern nach dessen in der Tat aufregender und sehr italienischen Vita, und mache sich insbesondere einmal das Vergnügen, Gardone am Gardasee zu besuchen, genauer gesagt das dort in einem weitläufigen Parkgelände gelegene, mit einem Mausoleum und vor allem mit zahlreichen Kriegstrophäen versehene Anwesen namens »Il Vittoriale degli Italiani«, wie die ebenso faszinierende wie prunkvollkitschige Residenz heißt, die sich D’Annunzio noch zu Lebzeiten dort auf einem Hügel gebaut hat.

      Schon das Haus selbst ist eine opulente Mischung aus privatem Wohnhaus, hochstilisierter Künstler-Werkstatt und Ort der Selbstdarstellung, Selbstinszenierung (ähnlich den Künstler-Häusern Lenbachs, Stucks und Makarts gegen Ende des 19. Jahrhunderts). Das mit Heroenbüsten, Trophäen und mythologisch aufgeladenem Krimskrams angefüllte D’Annunzio-Museum liegt dabei inmitten einer auf Effekt hin inszenierten Garten- und Brunnenanlage, ergänzt um eine Freiluftarena sowie das pompöse Mausoleum für den Hausherrn mitsamt 13 seiner Mit-Heroen. Krönung des Ganzen ist ein pittoreskes, auf einem Hügel plaziertes, in Beton gegossenes Kriegsschiff aus dem Ersten Weltkrieg. Zusammengenommen bildet das Ensemble ein höchst pathetisches Sammelsurium, das D’Annunzio dem italienischen Volk und nicht zuletzt sich selbst als nationales Siegesmal widmete. Seit Mussolini steht es im Rang einer nationalen Gedenkstätte und ist heute noch eines der touristischen Highlights dieser Region, wenn nicht sogar Norditaliens überhaupt. Zwar findet sich hier auch der schriftstellerische Nachlass ausgestellt, die Sammlung von D’Annunzios Büchern, Aufsätzen und politischen Schriften. Weit stärker indes beeindrucken die damals wohl hochmodernen Kriegsgeräte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs: besagtes in den Boden eingelassenes Kriegsschiff, zwei aus der selben Zeit stammende Flugzeuge, mehrere Rennautomobile, Motorräder. Alles Objekte, die einzig und allein dazu gedacht sind, dem Ruhm des einstigen Hausherrn Ausdruck zu verleihen sowie die vielfältigen Rollen vorzuführen, in denen er Geschichte schrieb.

      So erfährt man etwa, dass D’Annunzio neben Gedichten und Romanen auch Theaterstücke verfasst hat – natürlich Tragödien! –, sogar das Libretto für eine Oper; dass er ein halbes Jahrzehnt lang der Liebhaber und Lebensgefährte Eleonora Duses war, einer anderen Ikone der italienischen Volksseele; dass er früh schon den Faschismus propagierte und hierbei zunächst Rivale Mussolinis war, später dann von diesem protegiert und gefördert wurde (daher »Il Vittoriale« als nationale Gedenkstätte); dass er sich heftig für all die neuen Erfindungen und Entwicklungen im Fahrzeug- und Flugzeugbau interessierte und begeisterte. Und man erfährt vor allem, was D’Annunzio neben seiner Schriftstellerei und seinem Dandy-Wesen für die Italiener in ganz besonderer Weise verehrungswürdig macht: dass er nämlich im und nach dem Ersten Weltkrieg mit gleich drei Aktionen sein Volk in kriegerisch-nationalistische Verzückung zu versetzen wusste:

      Im Jahr 1917 feuerte er mit einem Ein-Mann-U-Boot vor dem damals österreichischen Triest drei Torpedos auf gegnerische Schiffe ab (wobei freilich zwei davon in Fischernetzen hängenblieben und der dritte sein Ziel verfehlte). Ende des Krieges, im August 1918, unternahm er dann mit Hilfe eines höchst geübten Piloten (die Strecke betrug immerhin fast 1.100 km) einen Propagandaflug in Richtung Österreich, auf dem es ihm nicht nur gelang, bis Wien vorzudringen, sondern dort – wenn auch keine Bomben –