Название | Ruhrpottliebe |
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Автор произведения | Lena Schätte |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783865067586 |
Das herzzerreißende Szenario am anderen Tischende führt mir mein Scheitern als Single vor Augen, wie eine Walze, die langsam über mich rollt und mir die Innereien aus allen Poren drückt. „Och Kev-Kev!“, faucht Katja, als Kevin den Rest Cola aus seinem Glas versehentlich auf die beigefarbene Tischdecke kippt. Kev-Kev? Da kann sie dem armen Jungen auch gleich eine Kugel ins Knie jagen. Während Katja ihrem Liebsten die Cola von der Chino tupft, sorgt sie locker-lässig dafür, dass die Situation noch unangenehmer wird.
„Du, der Kevin hat übrigens noch ’nen ganz netten älteren Bruder, den solltest du unbedingt mal kennenlernen.“
„Ja, genau“, pflichtet Kevin ihr überflüssigerweise bei, und ich höre mir eine Weile die Vorzüge des Bruders an, der ein echter Verkaufsschlager zu sein scheint. Bis vor ein paar Monaten war Katja selbst noch die Promiskuität in Personality, immer auf der Jagd, in ihrem Handtäschchen Zettel mit ihrem Namen und ihrer Handynummer, ein kleines Herzchen über dem j. Doch nun hat sie Kevin gefunden, ihr treudoofes Schoßhündchen, und plötzlich ist James Blunt gar nicht mehr so furchtbar schwul. Spazierengehen entpuppt sich als eine überaus anregende Freizeitbeschäftigung, und der Anzahl der Male zufolge, an denen sie mein Angebot auszugehen wegen eines DVD-Abends ausgeschlagen hat, wäre ihr ein Führungsposten als Filmkritiker bei Deutschlands populärsten Fernsehzeitungen bombensicher. Und Kevin? Er lebt nun ein Leben im offenen monogamen Vollzug, in dem er mit plüschigen rosafarbenen Hello-Kitty-Handgranaten beworfen wird.
„Ja, scheint ja ein netter Kerl zu sein“, heuchle ich und lenke das Gespräch auf gemeinsame Freunde, um nicht komplett dem Zynismus zu verfallen. Carmen hat mal etwas sehr Schlaues gesagt. Nicht dass sie nicht generell ein sehr schlauer Mensch wäre, doch manchmal hat sie diese hellen Momente, in denen sie mir einen Einblick in die tiefen Erkenntnisse der Carmen-Rotblatt-Verhaltenspsychologie gewährt. Dabei umschmeichelt sie gleißend weißes Licht, und ich erkenne die Weisheit in ihren meist betrunkenen Augen. Einmal, in einem dieser Momente, hat sie jedenfalls gesagt: „Dana, weißt du was?“
Ich erkannte die Gunst der Stunde.
„Ja, bitte?“
„Weißt du, welche Art von Paaren ich besonders schlimm finde? Also im Grunde sind sie ja alle furchtbar, eine regelrechte Mutation aus Aids, Krebs, Pest und Tuberkulose für jeden, der nicht mit Zweisamkeit gesegnet ist, aber es gibt diese eine Sorte, die alle anderen in den Schatten stellt. Praktisch die Schalker unter den Pärchen: die, die schon zu einem einzigen Knäuel aus rosa Fleisch geworden sind, das nur noch Sätze von sich gibt, die von dem Wörtchen WIR angeführt werden. Die, die auf Konzerte gehen, aber nicht ein einziges Mal auf die Bühne sehen, weil sie mit Knutschen beschäftigt sind. Die, bei denen Händchenhalten einfach nicht reicht. Ineinander verhakt laufen sie durch die Städte, die Arme so fest um die Körper geschlungen, dass sie kaum noch laufen können, aber Hauptsache, 90 % des Körpers berührt den anderen kontinuierlich. Und falls sie dann hinfallen und sich die Knie aufschürfen, ist das völlig okay, denn sie tun es als beziehungspflegende Aktivität. Wenn man nicht so ein Schalke-Paar werden will, muss man Folgendes tun: Man muss sich hin und wieder im übertragenen Sinne voneinander wegstoßen, um zu erkennen, dass man noch ein eigenständiger Mensch ist und nicht längst ein siamesischer Zwilling.“
Bei Kev-Kev und Katja scheint sich das Zeitfenster dafür schon längst geschlossen zu haben. Würde es durch irgendeinen unglücklichen Zufall dazu kommen, dass man die beiden trennt, wäre es wie bei einem Astronauten, der nach einer anstrengenden, harten und wirklich sehr, sehr langen Mission zurück auf die Erde kommt … die Muskeln haben sich zurückgebildet, und der vermeintliche Held wird wie ein dünnes Würmchen mit Rollstuhl zu seiner Familie gerollt.
Kaum ist das Dessert gekommen, reden sie sogar von Hochzeit.
Nach einer endlos langen weiteren Stunde verlassen wir das italienische Restaurant mit dem Versprechen, bald zu telefonieren, und während die beiden in ihrem Mini in Richtung überprivilegierte-Kleinfamilien-Siedlung im Klosterviertel düsen, klappe ich meinen Kragen hoch und schlendere durch die Stadt. Eine Reihe meiner Freunde, und auch meine Familie, hat es sich in den vergangenen Wochen zur Eigenart gemacht, mir das Gefühl zu vermitteln, ich bräuchte für mein Singlesein einen Behindertenausweis.
„Ja, das Kind geht auch zu wenig unter Leute“, warf meine Mutter in die Kaffeerunde. Sie liebt es, mit anderen über mich zu reden, als sei ich nicht anwesend, während ich ihr genau gegenübersitze.
„Geh doch mal in die Disco, wie junge Leute das heute so machen“, hat meine Tante mir daraufhin geraten. Ich hasse Discos. Schon die solariumbraunen Hauptschulabsolventen am Eingang, die einem erzählen wollen, man sei sturzbetrunken, obwohl man gerade mal ein Bier getrunken hat, um dann mit strengem Blick auf deinen Ausweis zu starren. Als wüssten wir nicht alle, dass der IQ zum Nachrechnen kaum reicht. Und dann betrittst du die mit Glitzer besprühten Hallen. Das Erste, was dir vor die Augen kommt, sind 40 Kilo Schminke auf zwei Mädchen verteilt, das beste Paillettentop aus dem Schrank gekramt, den Push-up auf Anschlag. Und während Sean Paul durch dein Hirn schallt, bewegst du dich durch ein Meer wackelnder Hintern, gibst dein Hartverdientes für Cocktails mit Schirmchen aus, und wenn du Glück hast, begegnet dir jemand wie Katja, die schon ein Zettelchen für dich bereithält.
„Als ich so alt wie du war, hatte ich schon seit zwei Jahren einen Freund“, hat meine Schwester dann betont. „Na, schön für dich“, entgegnete ich zähneknirschend.
„Ich geh jetzt mal zum Speed-Dating. Komm doch auch mit. Leichter wird es einem sonst wirklich nicht gemacht, Männer kennenzulernen“, schlug mir meine dickliche Cousine vor, der ich auch schon Johannes zu verdanken hatte, doch ich will nicht. Da sitzt man so zum Sonderpreis von 39,99 € mit hochgeschnürten sekundären Geschlechtsmerkmalen und führt verschämte Zwangskonversationen mit Outlet-Singles und betreibt dabei, wahrscheinlich sogar ohne sich verlogen vorzukommen, verschrobene Selbstdarstellung, heftiger als bei jedem Vorstellungsgespräch. Nicht mein Ding.
„1, 2 oder 3, ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht, Singles dieser Welt“, nuschele ich mir in meinen imaginären Bart, während Matheos vertraute Kleinstadtkneipe meinen Weg kreuzt, ich kurz innehalte und hineinstarre. Der Laden ist voll, seine Insassen auch, und der Elektrobeat schallt dumpf zu mir auf die Straße. Im roten Licht, zwischen all den Köpfen, entdecke ich meine Schwester Lisa. Sie hält ein Glas Weißweinschorle am langen Arm in die Luft, während sie sich an einer Gruppe Jungs vorbeidrückt, die sie grinsend mustern. Kurz zögere ich, doch da habe ich schon den Türgriff in der Hand. Mit einem „Yeeeeeah!“ werde ich von Matheo begrüßt, der mir prompt ein schaumloses Bier und einen Deckel mit meinem Namen in großen verschmierten Lettern in die Hände drückt.
Als Lisa mich entdeckt, fällt sie mir überschwänglich um den Hals, und bald machen wir es uns auf einer Reihe Barhockern an der Wand gemütlich. Die Fluppe hängt entspannt zwischen meinen Lippen, die Kehle brennt vom Tequila. Wie ich es liebe, beinahe stocknüchtern dazusitzen und schweigend die betrunkene Menge zu beobachten. Es ist Samstagnacht, und wieder sind sie alle versammelt, die gebrandmarkten Insassen meiner ausstrahlungsarmen, seelenfressenden Betonklotzkleinstadt.
Vorteilhaft drapiert, billig dekoriert, allesamt im selben Hugo-Boss-Aftershave ersoffen. Niemand von ihnen ist wirklich aus Überzeugung hier, vielmehr sind sie hier gestrandet, von den nymphenartigen Lockrufen der Alkoholindustrie angezogen. Der Geist ist stark, das Fleisch ist rar. Es scheint Brunftzeit zu sein, denn alle tänzeln umeinander herum. Die Männer klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, um sich feierlich ins Spiel zu schicken. So machen sie sich zu vertrauten Fremden, die sich die Abwesenheit von Zweifel und Schüchternheit und deren Verwandten und Bekannten ertrunken haben und nun taumelnd dahängen.
Eine bekannte Mittvierzigerin schiebt sich grinsend eine Mettwurst zwischen die Dritten, und alle lachen dreckig. Ich glaube, ich muss kotzen. Es belustigt mich gleichzeitig, denn sie scheinen enthemmt, berauscht, belanglosen Radiopop in die Nacht prügelnd, als würden sie jedes Wort, das sie mitgrölen, genauso meinen. Auf minder kreativen Zweischrittfoxtrott tanzend, von links nach rechts dribbelnd.
Ein