Die Musenfalle. Nora Miedler

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Название Die Musenfalle
Автор произведения Nora Miedler
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783867549561



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verloren? »Ludwig –«

      »Sag bloß, Frieda hat dich doch noch angerufen.«

      »Nein, nein.«

      »Was dann? Spuck’s aus, Alex, willst du absagen?«

      »Und du?«, fragte er und merkte, wie jämmerlich hoffnungsvoll die beiden Worte klangen.

      »Um nichts in der Welt! Hältst du mich für verrückt?«

      »Nein.« Er räusperte sich. »Also dann, wir sehen uns morgen um zwei.«

      »Wunderbar. Freu dich!«

      »Ja«, antwortete Alexander und legte den Hörer auf. Er wollte sich nicht freuen, er wollte nur wieder zehn Jahre alt sein.

      3

      Mittwoch, 20. Oktober

      Lilly, 8:00

      Als der Wecker mich aus dem Schlaf riss, war mein erster Gedanke, dass gestern irgendetwas Unangenehmes passiert war. Ich fing zu überlegen an. Ich hatte die Werbung bekommen, das war gut. Meine Eltern dachten, es wäre eine Fernseh­serie, und im Kostüm sah ich aus wie eine XL-Barbarella, das war schlecht. Aber da war noch was. Ich hatte mich wieder eingeraucht, auch schlecht … Und dieser Strehl hatte mich angerufen, das war es! Oh Gott, was hatte ich palavert? Irgendeinen Blödsinn?

      Ich setzte mich auf. Unter Schmerzen konnte ich meine Zunge vom Gaumen befreien. In meinem Schädel klang das wie das Öffnen eines Klettverschlusses. Meine Klamotten vom Vortag lagen auf dem Boden bereit. Ich schlüpfte hinein und tapste barfuss in die Küche. Vor Brittas wachsamem Auge trank ich einen Liter Mineralwasser aus der Flasche. Britta spitzte die Lippen.

      »Sorry«, sagte ich.

      »Du riechst wie ein Aschenbecher«, begann sie.

      »Sorry –«

      »Wie ein Aschenbecher auf einer Hanfplantage.«

      »Das war sowieso das letzte Mal«, murmelte ich und inspizierte den Kühlschrank nach was möglichst Fettigem.

      Britta machte sich mit einem Schwamm über den Tisch her. Als ich mich mit Streichkäse und Baguette an den Tisch setzte, fing sie gerade an, ihn mit einem Geschirrtuch zu polieren. Ich spürte ihren musternden Blick und musste mich zusammenreißen, um nicht Grimassen zu schneiden.

      »Was ist?«, knurrte ich.

      Plötzlich lachte Britta. Es klang leicht und perlend und verblüffte mich zutiefst. Britta lachte normalerweise weniger als ein Mönch mit Schweigegelübde.

      »Was ist?«, wiederholte ich misstrauisch.

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich dachte nur gerade, dass du dich nie ändern wirst. Macht aber nichts, du bist ganz in Ordnung so.« Damit hängte sie das Tuch fein säuberlich an den dafür vorgesehenen Haken an der Wand und verließ die Küche.

      Ich merkte, dass mir der Mund offen stand, und schloss ihn, indem ich in mein Baguette biss.

      Sport war nie wirklich meins gewesen, obwohl man mich von der Statur her für eine Schwimmerin halten könnte. Und genau da lag das Problem. Ich durfte gar nicht viel trainieren, sonst würde ich noch breiter und muskulöser werden. Das Einzige, was ich angehen konnte, war mein Bauch. Und dazu hatte ich null Lust. Das Stimmchen in meinem Ohr konnte sich ein paar ätzende Kommentare zu meiner Figur nicht verkneifen. Ich schluckte den letzten Bissen von meinem Frühstück hinunter und sagte laut: »Halt endlich die Klappe.«

      Trotzdem drehte ich nach dem Frühstück den Fernseher auf und legte mich auf den Boden. Während der Neun-Uhr-Nachrichten brachte ich sechs Sit-ups von zweifelhafter Qualität zustande. Nebenbei bekam ich Neues von der Wirtschaftskrise, irgendeinem Börsenindex und dem Mord an ­einem bekannten Richter zu hören. Mit einem Brieföffner, wie altmodisch war denn das? Ich rappelte mich auf und warf einen Blick auf den Bildschirm, auf dem ein älteres Foto des Toten gezeigt wurde. Er sah behaart und gemütlich aus, wie ein alter Balu der Bär. Er tat mir leid und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass er hoffentlich ein Arschloch gewesen war.

      Kurz bevor Alexander in die Haydngasse einbog, bremste er seinen Wagen herunter. Sollte Polizei vor Ort sein, würde es keinen guten Eindruck machen, wenn er mit quietschenden Reifen vor dem Haus eines Mordopfers hielt. Selbst wenn das Opfer sein bester Freund gewesen war. War … was für ein unglaubliches Wort im Zusammenhang mit Ludwig.

      Lediglich eine Streife parkte auf dem Gehsteig vor dem Grundstück – für einen ordentlichen Parkplatz war die Straße zu schmal –, doch das genügte, um ihm einen Schlag in den Magen zu verpassen.

      Er fuhr die Gasse weiter hinauf und stellte seinen BMW auf einem Rasenstück ab. Dann stieg er aus. Das Wissen, dass er diese Chance unbedingt nutzen musste, dass er es einzig hier und jetzt in der Hand hatte, sein Leben zu retten, verlieh ihm immerhin Willenskraft genug, um die zittrigen Beine unter Kontrolle zu bekommen.

      Die wirren Gedankenfetzen, die seit dem Anruf heute Morgen sein Hirn malträtiert und ihm höllische Kopfschmerzen beschert hatten, waren wie weggeblasen. Sein Schädel pochte zwar, doch ansonsten fühlte er nur eine große Menge Nichts. Sein Kopf war so leer wie eine Western-Einöde, durch die Tumbleweeds wehen. Am liebsten wäre er nach Hause gefahren und hätte sich im Bett verkrochen. Bis zum Frühjahr.

      Das Tor zum Grundstück stand offen. Er hielt nach dem obligatorischen gestreiften Polizeiband Ausschau, das er aus dem Fernsehen kannte, fand aber nichts dergleichen. Natürlich nicht, der Tatort lag neun Kilometer entfernt in der Innenstadt. In Ludwigs Büro.

      Er duckte sich hinter einen Busch und hoffte inständig, dass ihn niemand entdeckte. Ein sechzigjähriger Anzugträger im Kaschmirmantel, der sich wie ein kleiner Junge im Gebüsch verschanzte, musste unweigerlich auffallen. In diesem Moment sah er etwas, das seinen Atem stocken ließ.

      Frieda stürmte aus dem Tor.

      Seine Hände fühlten sich augenblicklich glitschig an, als er sich bewusst machte, was es bedeuten würde, wenn sie ­einen Blick die Gasse hoch werfen würde, wo sein Auto stand. Halb schloss er die Augen, als könnte er sie auf diese Weise dazu bewegen, ebenfalls weniger zu sehen. Sie marschierte, ohne sich umzudrehen, die Haydngasse abwärts. Vor Erleichterung schloss er die Augen ganz. Er würde das Glück nur noch ein einziges Mal strapazieren müssen, nur für die nächsten zehn Minuten. Bitte. Danach würde er ein anständiger Mensch sein. Für immer.

      Aus seinem Versteck beobachtete er den Eingang und versuchte zwischen zwei Möglichkeiten abzuwägen. Wobei er schnell merkte, dass er gar keine Wahl hatte. Es würde nichts bringen, förmlich an die geöffnete Tür zu klopfen und höflich zu fragen, ob man vielleicht eintreten und ein paar Dinge mitnehmen dürfe. Genauso zwecklos wäre es, der Polizei seine Hilfe anzubieten oder sich – offiziell – um die verwitwete, verwaiste Familie kümmern zu wollen. Nein, er musste es unbedingt vermeiden, sich der Polizei überhaupt zu zeigen. Seine einzige Chance bestand darin, ungesehen ins Haus zu kommen. Wilde Inkognito-Ideen stritten in seinem Hirn. Natürlich alles Unsinn.

      Er musste unsichtbar werden. Und das ging nur auf eine einzige Weise. Er musste es irgendwie in den hinteren Garten schaffen, dort unbemerkt die schwere Falltür öffnen, die unter der Wiese begraben lag, und dann die etwa sechzig Meter durch den unterirdischen Gang bis direkt in Ludwigs Arbeitszimmer schleichen. Wo natürlich das nächste Problem auf ihn wartete: Ebendort würden sie am genauesten suchen.

      Egal, es war der einzige Plan, den er hatte.

      Der Drahtzaun, der den Garten begrenzte, war auf der linken Seite an einer Stelle undicht. Alexander wusste das, denn Ludwig hatte sich des Öfteren darüber beschwert, dass der Nachbarshund in seinen Garten gekrochen kam. Er konnte nur hoffen, dass eine Lücke, die groß genug für einen Ungarischen Hirtenhund war, auch ihn durchließ. In den Nachbarsgarten zu kommen stellte kein Problem dar, er war lediglich von Hecken umsäumt.

      Er