Leben - Wie geht das?. Matthias Beck

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Название Leben - Wie geht das?
Автор произведения Matthias Beck
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783990402306



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und die Aneignung von Wissen ist aber nur ein Teil der Entwicklung und der Gewissensbildung. Es bietet dem Kind eine grobe Orientierung. Es handelt sich um das sogenannte Über-Ich Sigmund Freuds. Dem jungen Menschen wird von außen gesagt, was er zu tun und zu lassen hat. Sigmund Freud hielt dieses Über-Ich, das von außen geprägt wird und sich im Menschen internalisiert, schon für das ganze Gewissen des Menschen. Aber in all dem „Von außen“ ist immer auch schon ein „Von innen“ angelegt. Dieses „Von innen“ ist etwas je Einmaliges und Individuelles, das in den Bereich des Absoluten hineinragt. Es überschreitet das innerweltliche und relative Über-Ich sowie das Ich des Menschen. Daher ist das Gewissen mehr als das Über-Ich, es beinhaltet trotz aller innerweltlichen Prägung eine ganz andere Dimension des Seins.

      Diese ganz andere Dimension ist das schon angesprochene Absolute auf dem Grund der menschlichen Seele. Dieses Absolute stellt nach christlicher Auffassung eine personale Größe dar, die ein personales Antlitz und ein Gesicht hat. Dieses personale Absolute ist jene Größe, die nach jüdischer Sicht im Lauf der Geschichte angefangen hat zu sprechen und sich nach christlicher Auffassung in der Person Jesu Christi verleiblicht hat. Sie ist auch in jedem Menschen „da“ und kann den Menschen im Gewissen „ansprechen“. Allerdings – so hat es Heidegger formuliert – spricht diese Stimme im Menschen in der Weise des Schweigens. Diese schweigende Stimme im Innersten des Menschen ist die Stimme der Wahrheit, christlich gesprochen die Stimme Gottes. Diese Stimme Gottes, die sich in der Person Jesu verleiblicht hat und die Stimme der Wahrheit ist („Ich bin die Wahrheit“, Joh 14,6), ist in jedem Menschen präsent.

      Gäbe es diese „Stimme“ nicht, die mehr ist als das Über-Ich der Eltern oder äußerer Autoritäten, könnte ein Kind niemals zu einer anderen Gewissensentscheidung gelangen als die Eltern. Diese Stimme ist etwas Einmaliges und Neues. Sie ist in jedem Menschen präsent, wenngleich er zunächst von außen geprägt und damit fremd-bestimmt ist. Sie ist „da“, obwohl zunächst viele andere „Stimmen“ der Mutter, des Vaters, der Geschwister, der Freunde, des Über-Ich im jungen Menschen „sprechen“. Schon frühzeitig kann man dem Kind und dem späteren Erwachsenen helfen, diese fremden Stimmen von der leisen Stimme des Absoluten und der Wahrheit unterscheiden zu lernen . (Darauf wird später in Teil C über die Berufung des Menschen und die innere Stimmigkeit detailliert eingegangen.) Diese leise Stimme ist die Stimme eines ganz anderen und zugleich die tiefste Stimme des eigenen Ich, die das Ich im Sinne des Ego überschreitet. Der tiefste Grund im Menschen ist Dialog mit dem Absoluten. Dieser Dialog ist überlagert von vielen anderen Stimmen.

      Es bleibt eine lebenslange Aufgabe, diese fremden Stimmen immer mehr von jener Stimme der Wahrheit unterscheiden zu lernen, die den Menschen schrittweise vom Fremden zum Eigenen, von der Heteronomie zur Autonomie führen will. Wirkliche Autonomie erlangt der Mensch, wenn er im absoluten Grund seinen Halt findet, der das Leben trägt und das innerweltliche Ich übersteigt. So wird die Unterscheidung der verschiedenen Stimmen, die in der geistlichen Literatur als Unterscheidung der Geister bezeichnet wird, zur zentralen Lebensaufgabe. Die frühzeitige Erziehung dazu hin ist von lebensentscheidender Bedeutung, da jeder wichtigen Entscheidung diese Unterscheidung vorausgehen sollte. Später wird genauer darauf eingegangen.

      Neben dieser inneren Ausbildung muss das Kind aber auch eine äußere Ausbildung durchlaufen, es muss sozialisiert werden und Beziehungen leben lernen. Gerade auf diese Sozialisierung ist der Mensch existentiell angewiesen, da er als „physiologische Frühgeburt“ (Portmann) eigentlich viel zu früh und damit ganz unreif auf die Welt kommt. Er ist somit vollständig hilflos und total angewiesen auf die Zuwendung durch andere Menschen. Diese Sozialisierung geschieht zunächst in der Beziehung zur Mutter und zum Vater, dann auch in den Auseinandersetzungen mit Geschwistern und anderen Kindern.

      Das Kind erfährt Freiräume und Grenzen. Es muss sich mit anderen reiben lernen und im wörtlichen Sinn mit ihnen auseinander-setzen. Das bedeutet zu erkennen: hier bin ich und dort bist du, hier ist meine Freiheit, dort ist deine Freiheit. Wir beide sind zwei ganz verschiedene Menschen und meine Freiheit endet dort, wo deine anfängt. Schon der junge Mensch muss in kleinen Schritten den anderen als den anderen erkennen und respektieren lernen. Er lernt Jungen von Mädchen zu unterscheiden, er wird Freunde und Gegner gewinnen, Freude und Enttäuschungen erfahren.

      Er wird Laufen lernen und dabei immer wieder hinfallen. Die Schmerzen des Hinfallens werden ihn zu mehr Wachsamkeit erziehen. Würde das Hinfallen nicht Schmerzen verursachen, würde das Kind wohl nie wachsam genug werden, um richtig laufen zu lernen. Man schneidet sich in einer Sekunde in den Finger und es dauert Tage und Wochen, bis es heilt. Diese Diskrepanz kann dazu dienen, beim nächsten Mal aufmerksamer zu sein, um eine neuerliche Verletzung zu vermeiden. Wäre man genauso schnell wieder gesund, wie man sich verletzt hat, würde wohl kein Erkenntnisfortschritt stattfinden. Schmerz und Leiden können in diesem Sinn zu einer tieferen Erkenntnis und „Heilung“ führen. Das gilt für den Rest des Lebens und zwar nicht nur für körperliche Schmerzen, sondern auch für seelische.

      Schließlich werden Kinderkrankheiten das Kind plagen. Kinderkrankheiten haben einen ganz physiologischen Sinn, nämlich jenen, das Immunsystem aufzubauen und zu stärken. Dieses Immunsystem ist für das ganze weitere Leben das Zentrum des physiologischen Abwehrsystems, das den Organismus vor Krankheiten schützen soll. Das Immunsystem hat – wie andere Zellen auch – ein Gedächtnis und muss ein Leben lang Bakterien, Viren, Pilze oder auch Krebszellen, die jeder in sich trägt, als fremd erkennen und abwehren. Krebszellen im fortgeschrittenen Stadium entziehen sich allerdings dem Immunsystem.

      Gesundheit und Krankheit sind als Folgen von diesen Prozessen eine Frage des ständig aufrecht zu erhaltenden Gleichgewichtes zwischen „Angreifern“ und dem abwehrenden Immunsystem. Der Mensch steht in einem ständigen Kampf zwischen Krankheit und Gesundheit. Er ist umgeben von Millionen von Bakterien, Viren, Pilzen, und ein intaktes Immunsystem muss diese ständig in Schach halten. Durch diese ständige Auseinandersetzung bleibt das Immunsystem „fit“ und der Mensch gesund. Gesundheit ist eine Art Zwischenzustand zwischen krank und gesund. Man nennt dieses Gleichgewicht Homöostase. Die vermeintlich selbstverständliche Gesundheit muss immer wieder neu durch „physiologische Arbeit“ errungen werden. Sie ist nicht selbstverständlich.

      So ist das Leben insgesamt eine ständige Auseinandersetzung zwischen Eigenem und Fremdem, zwischen Angreifern und Verteidigern, zwischen Schwerkraft und Leichtigkeit. Dies gilt auf der Ebene der Physiologie, des Zwischenmenschlichen, des Seelischen und des Geistigen. Ohne diese Auseinandersetzung wird der Mensch träge und ohne diese positive Spannung wird der Mensch leer und stirbt letztlich ab. Man findet diese Spannung und Auseinandersetzung bereits auf der Ebene der Physik mit der Schwerkraft der Welt. Diese lässt den Menschen überhaupt erst stehen und nicht abheben, sie bringt auch das Kind zum Hinfallen.

      Nur wenn der Körper ständig mit dieser Schwerkraft „kämpft“, werden Knochen und Muskeln immer wieder aufgebaut und bleiben stabil. Jeder Astronaut, der sich im schwerelosen Raum bewegt, weiß, dass seine Knochen und Muskeln bald abgebaut sind, wenn er nicht hart trainiert. Wenn sie keinem Widerstand ausgesetzt sind, werden sie abgebaut. Ähnliches gilt für das gesamte Leben. Auch das Gehirn muss ständig trainiert werden in der Auseinandersetzung mit der Welt. Je besser diese Auseinandersetzung gelingt und je besser der Mensch geistig unterwegs ist, desto eher können Abbauprozesse im Gehirn verlangsamt werden.

      Je älter das Kind wird, desto mehr kommen eigene Entscheidungen hinzu. Diese entscheiden mit über Glück und Unglück, Gesundheit und Krankheit, Leid, Gelingen oder Misslingen des Lebens. Natürlich spielen auch äußere Einflüsse eine große Rolle. Aber in allen äußerlichen Prozesse, in all den physiologischen, psychischen und zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen sind bereits geistige Prozesse zugegen. Die Prozesse der Auseinandersetzungen trainieren die psychischen und sozialen Fähigkeiten, sie dienen dem seelischen Reifungsprozess und im günstigsten Fall der Stärkung des Ich. Dieses Ich, das im Sinne der Psychologie im Idealfall zu einer gesunden Ichstärke heranreift (ohne im Egoismus stecken zu bleiben), ist auch jenes Ich, dass erst vom Absoluten her zu sich selbst heranreift.

      In all den physischen, psychischen, sozialen Reifungsprozessen finden geistig-geistliche Prozesse statt. Der Geist ist im Menschen immer schon da und muss sich dennoch erst entfalten und entwickeln. Er muss im konkreten Lebensvollzug die verschiedenen Ebenen der naturwissenschaftlichen Vorgaben