Oooh, Dicker, mein Dicker .... Jamo Mantam

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Название Oooh, Dicker, mein Dicker ...
Автор произведения Jamo Mantam
Жанр Короткие любовные романы
Серия
Издательство Короткие любовные романы
Год выпуска 0
isbn 9783960081067



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Schussfahrt beflügelt, verließ ich die relativ sicheren Gefilde meines funkelnagelneuen Herrenrades, stieg empor in die Lüfte, breitete meine Schwingen aus, merkte, dass ich gar keine hatte, und klappte sie kurz vor der Landung resigniert wieder ein. Die Landung selber spürte ich nicht mehr. Es heißt ja, dass das menschliche Gehirn in der Lage sei, kurz vor eintretenden Katastrophen auf Stand-By zu schalten. So war das wohl auch bei mir. Mein Hirn wollte sich vermutlich die direkte Erfahrung ersparen, wie ich buchstäblich auf Bauch und Fresse zu landen kam, und meine Erinnerung setzt erst dort wieder ein, wie ich auf meinen beiden Beinen auf der Straße herumtorkelte und rechts nichts mehr sehen konnte.

      Mein neuer Freund hampelte aschgrau um mich herum, brüllte herzerweichend: „Wat machst’n du? Wat machst’n du bloß?!“, und hinter mir quietschten Autoreifen. Als nächstes waren wir von lauter fremden Leuten umringt. Ein Mann klebte bereits am Handy, eine Frau packte mich, zog mich in den Straßengraben, legte mich hin, kniete neben mir nieder und legte mit ihrem eigenen aufgestellten Knie meine Unterschenkel auf, um, wie sie mir erklärte, dem Schock entgegenzuwirken. Sie erklärte, sie sei selbst Ärztin, fühlte meinen Puls, mahnte mich, ruhig liegen zu bleiben. Eine andere Frau drückte mir ein ganzes Päckchen Tempo über das rechte Auge. Der Herr Glaubert kniete neben mir, hielt meine blutverschmierte Hand und gellte in die wunderschöne Landschaft hinein: „Wat mach’ ick denn jetz’ bloß? Wat soll ick denn jetz’ mach’n???“

      Fakt ist, dass schlussendlich mehrere Leute ihn umringten und den außer Rand und Band geratenen Jungen zu beruhigen suchten, während ich blutend und jammernd mit der Ärztin im Graben lag.

      Dann kam der Krankenwagen.

      Und dann ging’s ins Krankenhaus. Noch ehe sich die Türen des Krankenwagens hinter mir und den Sanitätern schlossen, brüllte Herr Glaubert mir nach, er würde nachkommen. Dann sah ich nur noch, wie er sämtliche Fahrräder und meinen Rucksack einsammelte und uns zutiefst unglücklich hinterher schaute.

      In der Klinik machte man Bestandsaufnahme. Ich hatte großes Glück gehabt. Eine Platzwunde über der rechten Augenbraue, rechtes Schlüsselbein gebrochen, drei Rippen rechts durch, diverse Hautabschürfungen, Klamotten kaputt. Eingipsen konnte man nichts. Man steckte mich in eine Art Gurt, der das Schlüsselbein ruhig stellen sollte, klebte meine Platzwunde, verpasste mir diverse Spritzen und schickte mich nach zwei Stunden nach Hause, bewaffnet mit einer Überweisung zum nächsten Unfallarzt, bei dem ich mich tags darauf vorzustellen hatte. Man schob mich im Rollstuhl – obwohl ich gut zu Fuß war – wieder nach unten zur Aufnahmeabteilung, die mich auch wieder entlassen würde. Und dort, in der Wartehalle, saß schon meine neue Bekanntschaft, noch immer kreidebleich und mitgenommener als ich. Aber er hatte Wort gehalten! Behutsam geleitete er mich zum Parkplatz, wo schon mein treues Auto – also MEIN Auto – auf mich wartete, welches er geborgt hatte, um mich abzuholen. Denn als man mich ins Krankenhaus abgeholt hatte, hatte ich lediglich meinen Geldbeutel mit meinen ganzen Unterlagen mitgenommen. Alles andere war in meinem Rucksack zurückgeblieben. Unter anderem auch mein Schlüsselbund.

      Wir fuhren zurück nach Brummelbach, er wieder unentwegt quasselnd seinem Entsetzen und gleichsamer Erleichterung Ausdruck verleihend. In Brummelbach angelangt, wollte ich eigentlich nur noch meinen Kram einsammeln und dann die Heimfahrt antreten, um mich von diesem Alptraum zu erholen. Doch er bestand darauf, dass ich mit ihm nach oben auf eine Tasse Kaffee käme. Mir war zwar alles andere als nach Kaffee zumute, außerdem musste ich dringend aufs Klo, aber allein aus letzterem Grunde ging ich mit. Schon einmal der Neugier wegen, da mich brennend interessierte, wie ein solcher Hungerleider denn wohl wohnen mochte. Ich muss sagen, ich war angenehm überrascht. Eine typische Junggesellenbude erwartete mich, nichts Hochtrabendes, aber alles sehr sauber und ordentlich. Es war alles da, was man so braucht, die Einrichtung zwar schon älteren Datums, aber gepflegt. Und alles zeugte von Geschmack. Also ganz, ganz anders, als ich es mir bei diesem merkwürdigen Kasper vorgestellt hatte.

      Es folgte die Tasse Kaffee, dann wurde mir schwindlig, dann wurde mir schlecht, dann setzten, nachdem die Wirkung der Spritzen nachzulassen begann, die Schmerzen ein. Ich nahm eine der Tabletten, die ich vom Krankenhaus mitbekommen hatte, legte mich ein halbes Stündchen auf die große, schwarze Ledercouch, und als ich einzuschlafen drohte, rappelte ich mich wieder auf, schlurfte noch einmal aufs Klo, ehe ich endlich die Heimreise anzutreten gedachte – …

      Und merkte dort, dass plötzlich nichts mehr ging. Nichts mehr wollte funktionieren. Ich bin eingeschworener Rechtshänder! Und die gesamte rechte obere Körperhälfte war kaputt. Auf einmal ging rechts gar nichts mehr! Das fing damit an, mir nach dem Pinkeln die Hosen wieder hochzuziehen! Und das sollte die nächsten vier Wochen so bleiben …

      Nach dem Klogang eröffnete ich dem Herrn Glaubert, es sei Zeit für mich, nach Hause zu fahren. Aber er schaute mich an, schüttelte den Kopf und tat sehr leise diesen einen, folgenschweren Satz, der etwas ins Rollen brachte, das bis heute, acht Jahre später noch immer am Rollen ist.

      „Nee! Du bleibst hia! Ick lass dia jetz’ nich’ alleene …“

      Nach einer halbherzigen Diskussion sah ich mich gezwungen, einzulenken. Denn ich musste mir nun selbst eingestehen, dass es mir von Stunde zu Stunde schlechter und schlechter ging. Wir fuhren kurz zu mir nach Hause nach Piepshausen, wo ich etwas Wäsche zusammensuchte, ein kleines Köfferchen packte und noch einige Telefonate tätigte, ehe ich für die nächste Zeit in einer Versenkung namens Brummelbach verschwinden würde. Dies alles geschah nicht aus beginnender Zuneigung zu dem komischen Vogel, der mir das alles eingebrockt hatte. Dies alles geschah aus purer Notwendigkeit, da ich mir mit meinem lädierten Körperchen einfach nicht mehr allein zu helfen wusste. Ich hätte mich pflegen lassen müssen. Das wollte ich niemandem zumuten. Höchstens dem, der mir die Suppe eingebrockt hatte. Ich würde gespannt sein dürfen, wie es ihm gefiele, mir den Hintern abwischen zu müssen. Aber er bestand ja darauf …

      Ich war krank! Ich war verletzt! Mal sehen, wie er damit umgehen würde. Und wenn ich tatsächlich die Nase voll hatte, würde ich mir einfach ein Taxi rufen und das Weite suchen. So einfach stellte ich mir das vor …

      Was dann folgte, war tatsächliche Hilflosigkeit meinerseits. Ich konnte mich nicht mehr allein anziehen, ich konnte mich nicht mehr allein ausziehen. Als ich an unserem ersten gemeinsamen Abend mit ansehen musste, wie er in seinem Schlafzimmer eine zweite Bettgarnitur für sein Doppelbett bezog, protestierte ich. Ich würde keinesfalls die Nacht mit einem wildfremden Kerl im Ehebett verbringen! Er, so entschied ich, würde, sollte er auf meiner werten Anwesenheit in Brummelbach weiter bestehen, mit der Couch im Wohnzimmer vorlieb nehmen müssen. Ich hingegen, verletzt, angeschlagen und uneingeschränkter Ruhe bedürfend, würde das Schlafzimmer mein eigen nennen. Allein! Doch – das funktionierte ebenfalls nicht. Denn lag ich erst einmal, gab es kein Zurück mehr. Meine Misere bestand darin, dass ich, rechtsseitig nur noch aus Bruch bestehend, mich zur Nachtruhe auf links darnieder zu legen hatte. Links kann ich aber nicht schlafen. Somit zwang mich mein Handycap in Rückenlage. Aus welcher ich aber allein nicht mehr herauskam. Um das Bett zu verlassen, brauchte ich einen Kran! Der mich am linken Arm aus der Heia zog! Und dieser Kran stand nun neben mir, predigte mir meine eben selbst erlangte Erkenntnis und gab zu bedenken, dass, sollte ich auch weiterhin auf die mir vorgezogene Einsamkeit beharren, ich die nächsten Wochen die Dienste eines Pflegeheimes in Anspruch nehmen müsse. Denn eines war Fakt, es war mir klar, es war uns beiden klar: allein konnte ich mir nicht behelfen. Ich konnte nicht einmal mehr Auto fahren. Und ins Pflegeheim wollte ich nicht …

      Und so kam es also, dass ich, zähneknirschend und bis über beide Ohren verschämt, einen mehrwöchigen Aufenthalt im Hause Glaubert antrat. Es wurde ein Zusammensein mit einer nicht still stehen wollenden Quasselstrippe, die mir schon bald auf die Nerven ging, mich aber nach bestem Wissen und Gewissen umsorgte. Eine einseitige Symbiose, die selbst Intimitäten, da notwendig, nicht ausließen. Und mich in ein mir fremdes Ehebett zwangen …

      Jetzt werden viele wohl hinter vorgehaltener Hand grinsen und wissend murmeln: Aha! SO nennt man das jetzt! Aber sehen Sie sich bitte enttäuscht. Denn ich kann Ihnen nicht ohne Stolz erzählen, dass während meiner ersten drei Wochen Brummelbacher Quarantäne gar nichts passierte. Es geschah nichts weiter, als dass er mich ankleidete, mich auskleidete, mir die Haare wusch, mir in die Dusche half, mir aus der Dusche wieder heraus half, mich trocknete und salbte, meine